Zuweisungverbot gilt auch bei Betriebsaufgabe

BGH verbietet Verkauf von Patientenstämmen Patrick Hollstein, 04.02.2022 10:26 Uhr

Der Verkauf einer Patientenkartei bei Betriebsaufgabe kann laut BGH ein Verstoß gegen das Zuweisungsverbot sein. Foto: Marcus Witte
Berlin - 

Gibt eine Apotheke ihren Betrieb auf, sind für die Mitbewerber vor allem die Kund:innen interessant. Vor allem im Versandhandel fließen mitunter Millionenbeträge für den Zugriff auf die Kundenstämme. Doch der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt im Falle einer Zahnärztin entschieden, dass dies im Sinne des Zuweisungsverbots unzulässig sein kann.

Im konkreten Fall ging es um eine Zahnärztin aus Regensburg, die 2018 ihre Praxis aufgeben wollte. Mit einem Kollegen schloss sie ein Jahr zuvor einen „Kaufvertrag Patientenstamm“: Demnach sollte mit vollständiger Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 12.000 Euro die Patientenkartei mit sämtlichen Krankenunterlagen in das Eigentum und den Besitz des anderen Zahnarztes übergehen – die schriftliche Einwilligungserklärung der Patient:innen vorausgesetzt. Darüber hinaus sollte die Praxis alle Unterlagen der Vorgängerin in Verwahrung nehmen; vor Zugriff geschützt in einem verschlossenen Aktenschrank beziehungsweise durch ein Passwort.

Insgesamt sollten die Akten von rund 600 Patient:innen den Besitzer wechseln. Um sicherzustellen, dass diese durch die übernehmende Praxis versorgt würden, vereinbarten die beiden Vertragspartner unter anderem die Umleitung sowohl der Anrufe als auch der Website. Zur „Überleitung von Patienten“ verpflichtet sich die Verkäuferin außerdem, ihre Patient:innen über die Beendigung der Tätigkeit als Zahnärztin und von der „Übernahme der Patienten“ durch den Kollegen rechtzeitig durch ein Rundschreiben zu informieren. Außerdem sollte sie ihren Patient:innen dabei die Fortsetzung der Behandlung durch den Kollegen empfehlen und sie bitten, diesem zukünftig ihr Vertrauen zu schenken.

Allerdings kam der Deal nie zustande, denn vorsorglich holte die Zahnärztin noch eine Auskunft bei der Landeszahnärztekammer ein. Auf der Grundlage dieser Auskunft verweigerte sie die Erfüllung des Vertrags, da dieser aufgrund der enthaltenen Regelungen wegen Verstoßes gegen Verbotsnormen unwirksam sei.

Vertrag gilt als Bestechung

Der Zahnarzt klagte, blieb aber erfolglos. Nach dem Landgericht Regensburg erklärte auch das Oberlandesgericht Nürnberg den Vertrag für nichtig nach § 134 BGB: Der vereinbarte „Verkauf des Patientenstamms“ erfülle den objektiven Tatbestand der Bestechlichkeit beziehungsweise Bestechung im Gesundheitswesen nach §§ 299a und 299b Strafgesetzbuch (StGB). Durch die Gewährung eines Vorteils in Bezug auf die Zuführung von Patienten sei er als Unrechtsvereinbarung zu bewerten.

Zwar ließ das OLG Revision zum BGH zu, da es „noch keine höchstrichterliche Entscheidung zur Zulässigkeit des Verkaufs eines Patientenstamms unter dem Gesichtspunkt der neu eingeführten Strafnormen zur Korruption im Gesundheitswesen (§§ 299a, 299b StGB)“ gebe und diese Frage von großer praktischer Bedeutung für eine Vielzahl von betroffenen Personen sei.

Berufsordnung verbietet Zuweisung

Doch der BGH sah die Sache nicht so: Die aufgeworfene Rechtsfrage sei nicht entscheidungserheblich; zudem sei nicht zu erkennen, dass sie umstritten wäre. Die Nichtigkeit des Kaufvertrags ergebe sich bereits daraus, dass die vereinbarte Veräußerung des Patientenstamms – anders als der Verkauf einer Arztpraxis im Ganzen – eindeutig gegen berufsrechtliche Standesvorschriften verstoße, nämlich der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte.

„Nach § 8 Abs. 5 der Berufsordnung ist es dem Zahnarzt nicht gestattet, für die Zuweisung von Patienten oder Untersuchungsmaterial ein Entgelt oder eine sonstige wirtschaftliche Vergünstigung zu fordern, sich versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren.“ Diese Regelung sei als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB anzusehen – worüber weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur Streit bestünde.

Entscheidung beeinflusst

Die Revision habe auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg, da die Entscheidung des OLG der rechtlichen Nachprüfung standhalte. Dass es sich bei den vereinbarten „Werbemaßnahmen“ um eine entgeltliche Zuweisung handele, liege auf der Hand: Denn nach einhelliger Meinung würden vom Begriff der Zuweisung insbesondere auch Empfehlungen erfasst. Auch mit der Umleitung von Telefonnummer und Website sei einzig beabsichtigt gewesen, „die Entscheidung der Patienten der Beklagten dahingehend zu beeinflussen, sich durch den Kläger weiterbehandeln zu lassen“.

Dass die Wahlfreiheit der Patient:innen nicht eingeschränkt sei, weil die empfehlende Ärztin sie gar nicht weiterbehandeln könne und durch die Aufgabe der Praxis das Autoritätsverhältnis unterbrochen sei und ein Rechtfertigungsdruck für den Patienten nicht aufgebaut werde, ließ der BGH nicht gelten: „Dieses entgeltliche Zuweisungsverbot gilt nach dem Wortlaut der Vorschrift ohne jede Einschränkung.“

Zweck der Regelung sei, dass „sich der Arzt in seiner Entscheidung, welchem anderen Arzt er Patienten zuweist, nicht von vornherein gegen Entgelt bindet. Denn es gehe um den Schutz der ärztlichen Unabhängigkeit und den Schutz des Vertrauens des Patienten in die Sachlichkeit ärztlicher Entscheidungen: „Der Patient soll sich darauf verlassen können, dass der Arzt die gesamte Behandlung einschließlich etwaiger Empfehlungen anderer Leistungserbringer allein an medizinischen Erwägungen im Interesse des Patienten ausrichtet.“

Bloße Umsatzchance

Laut BGH werden auch keine Eigentumsrechte beschränkt: „Bei einem Patientenstamm handelt es sich, anders als bei einer Arztpraxis, nicht um eine dem ‚veräußernden Arzt‘ zugeordnete und [...] grundrechtlich geschützte Rechtsposition.“ Als „bloße Umsatz- und Gewinnchance“ werde er auch durch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Sinne einer Eigentumsgarantie nicht grundrechtlich geschützt, da selbst dies vom Bundesverfassungsgericht bislang offengelassen worden sei.

Ebenfalls nicht überzeugen konnte der Arzt mit der Behauptung, dass der Patient nach allgemeiner Lebenserfahrung von seinem behandelnden Arzt im Falle einer Praxisaufgabe in der Regel die Empfehlung eines Nachfolgers erwarte. Laut BGH ist das Empfehlen eines Nachfolgers, insbesondere auf konkrete Nachfrage ihrer Patienten, nicht generell verboten. Nur dürfe sich der Arzt hierfür von dem „Nachfolger“ eben kein Entgelt versprechen lassen. Unerheblich sei dabei, dass die Vergütung unabhängig von der Anzahl der tatsächlich wechselnden Patient:innen sei. Es genüge nämlich auch ein mittelbarer, kausaler Zusammenhang.

Dass dem versprochenen Kaufpreis eine echte Gegenleistung im Sinne eines Vermögenswerts gegenüber stehe, ließ der BGH ebenfalls nicht gelten: „Nach Aufgabe der Praxis durch die Beklagte wäre diese Chance allen im örtlichen Wettbewerb verbliebenen Zahnärzten gleichermaßen – unentgeltlich – zugekommen. Sinn und Zweck des Vertrags der Parteien war es, diese Chance für den Kläger gegen Zahlung des vorgenannten Betrags zu erhöhen, und zwar durch die vereinbarten ‚Werbemaßnahmen‘ samt Übergabe der Patientenkartei.“