Unwort des Jahres

Basisapotheker schlagen Lieferengpässe vor APOTHEKE ADHOC, 05.08.2019 15:11 Uhr

Unwort: Jetzt haben die Basisapotheker aus Westfalen-Lippe das Wort „Lieferengpässe“ offiziell als Vorschlag für das Unwort des Jahres angemeldet. Screenshot
Berlin - 

Tagtäglich sorgen Lieferengpässe in Apotheken für Ärger. Trotz aller Bemühungen hat die Politik das Problem nicht in den Griff bekommen. Im Jour Fix beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wird zwar darüber diskutiert, die Ursachen sind aber nicht zu beheben. Jetzt haben die Basisapotheker aus Westfalen-Lippe das Wort Lieferengpässe offiziell als Vorschlag für das Unwort des Jahres angemeldet. Nach Angaben aus Bayern verursachen Lieferengpässe in Apotheken wöchentlich einen Mehraufwand von fünf bis zehn Stunden.

Der Begriff „Lieferengpässe“ sei eine verharmlosende und durch seine kategorische Stringenz die Ursachen nicht hinterfragende Beschreibung der Nichtlieferbarkeit eines Produktes, vielfach von meist verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, einzelne Stärken und/oder einzelne Packungsgrößen eines Arzneimittels eines einzelnen Arzneimittelherstellers betreffend oder mehrere Arzneimittel auch mehrerer Hersteller bis hin zur weitgehenden oder auch kompletten Lieferunfähigkeit eines ganzen Wirkstoffes“, schreiben die Basisapotheker als Begründung.

Insbesondere bei Arzneimitteln seien Lieferengpässe verbunden mit einem erhöhten Aufwand bei sämtlichen Beteiligten. Das gelte insbesondere für die Apotheken und Pharma-Großhändler. Patienten könnten nicht wie gewohnt das vom Arzt verschriebene oder das seitens der Krankenkassen aufgrund bestehender Rabattverträge vorgesehene Medikament erhalten. In nicht wenigen Fällen müssten sie sogar erneut von den behandelnden Ärzten einbestellt und auf andere Wirkstoffe umgestellt werden.

Noch vor 30 Jahren seien Lieferengpässe im Arzneimittelmarkt, zumindest im Westen, kein Thema gewesen. „So richtig Fahrt nahmen Lieferengpässe mit der zunehmenden Globalisierung, mit dem Kostendruck, mit der Produktionsverlagerung ins Ausland (vor allem in Billiglohnländer) und mit den Rabattverträgen der Krankenkassen auf“, so die Apotheker aus Westfalen-Lippe. Bereits diese unvollständige Aufzählung zeige, dass Lieferengpässe sicher nicht auf eine Ursache allein zurückzuführen sind, aber Kostendruck und Rabattverträge direkt und indirekt Treiber der Engpässe seien.

In den Medien sei davon kaum etwas angekommen. Vielmehr seien es einzelne Apotheker wie Hans Rudolf Diefenbach gewesen, die sich Lieferengpässe, ihre Auswirkungen und mögliche Lösungsansätze auf ihre Fahnen geschrieben hätten, was wiederum einzelne Medien aufgriffen hätten. Dann folgt ein Seitenhieb auf die ABDA: „Ärzte – aufgrund ihrer Verantwortlichkeit insbesondere die in den Krankenhäusern – scheinen die Missstände eher anzuprangern und Lösungen einzufordern als die Standesvertreter der Apothekerschaft“.

Die Politik reagiere bisher nur zaghaft, versuche es mit einer BfArM-Liste und einer „unverzüglichen Informationspflicht seitens der Hersteller“ und schaue bisher zu oder darüber hinweg. Die Tagesschau-Redaktion habe nun jüngst versucht, den Lieferengpässen auf den Grund zu gehen mit dem Fazit, dass sich Hersteller, Behörden und Krankenkassen die Schuld gegenseitig zuschöben. Die Ursachen seien vielfältig:

- Ausfall oder weitgehender Ausfall eines Wirkstoffes

- Ausfall einer oder mehrerer Produktionsstätten

- Ausfall eines oder mehrerer Wirkstoff-Hersteller

- Rabattverträge der Krankenkassen, die nur einen oder wenige Hersteller vorsehen

- Bei höherem Bedarf als zuvor von den Krankenkassen/den Rabatt-Herstellern eingeplant

- zu knappe Ressourcenplanung der Hersteller als Reaktion auf zu geringe Abgabepreise oder zu geringe Vorgaben durch Rabattverträge der Krankenkassen und daraus resultierend zu geringe Margen

- geringere Preise in Deutschland aufgrund der G-BA- oder Rabattvertrags-Vorgaben gegenüber höheren in anderen Ländern insbesondere EU-Staaten

Als mögliche Lösungsansätze schlagen die Basisapotheker eine verschärfte Definition für Lieferengpässe durch das Bundesgesundheitsministerium zum Beispiel bei einer Nicht-Lieferbarkeit des Herstellers einer mittleren Bestellmenge über einen Zeitraum von vier Wochen oder länger bei einer Filiale eines vollversorgenden Pharmagroßhändlers vor. Es müsse verpflichtende Meldung durch Hersteller und auch durch die Pharmagroßhändler geben. Rabattverträge müssten präzisiert werden und es müsse stärkere Vorgaben von den Krankenkassen für die Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung im Inland bei der Vergabe von Rabattverträgen geben. Auch die „Handelsgepflogenheiten“ von vollversorgenden und insbesondere von nichtvollversorgenden Pharmagroßhändlern durch die jeweils zuständigen Überwachungsstellen müssten untersucht werden.

Jedes Jahr bestimmen vier Professoren um Professor Dr. Martin Wengeler das Unwort des Jahres. Die sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“ wurde 1991 von Prof. Dr. Horst Dieter Schlosser ins Leben gerufen. Noch nie wurde ein gesundheitspolitischer Begriff von der Jury ausgewählt. Die Aktion möchte auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Alle Bürger können Vorschläge zum Unwort des Jahres mit Angabe einer Quelle des sprachlichen Missgriffs einreichen. Die Entscheidung ist nicht abhängig von der Zahl der Unterstützer eines Vorschlags. Im letzten Jahr wurde der von CSU-Politiker Alexander Dobrindt geprägte Begriff Anti-Abschiebe-Industrie ausgewählt.

Nach einer Umfrage von Landesapothekerverband und Landesapothekerkammer Bayern unter BAV-Beiratsmitgliedern verursachen Lieferengpässe in Apotheken einen Mehraufwand im Durchschnitt fünf Stunden pro Woche und nicht selten auch das Doppelte: „Die Apotheken verbringen mehrere Stunden in der Woche damit, die Auswirkungen von Lieferengpässen auf ihre Patienten so gering wie möglich zu halten“, sagt Apothekersprecher Dr. Volker Schmitt. „Diesen Aufwand an Zeit und Personal erbringen sie ohne zusätzliche Vergütung.“ Beratungsbedarf entstehe zum Beispiel, weil Tabletten verschiedener Hersteller unterschiedlich aussehen. Das verunsichere manche Patienten stark und könne ohne persönliche Beratung zur Nichteinnahme des Medikaments führen, so Dr. Schmitt. Vor diesem Hintergrund sei es die Aufgabe der Politik, für eine Verbesserung der Situation zu sorgen.