Pharmaverbände

BAH und BPI wollen fusionieren APOTHEKE ADHOC, 17.12.2019 10:45 Uhr

Gemeinsame Sache: Die Pharmaverbände BPI und BAH um Dr. Martin Zentgraf (l.) und Jörg Wieczorek planen eine Fusion. Foto: BPI/BAH
Berlin - 

Überraschung in der Verbandslandschaft: Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) und der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) wollen fusionieren. In intensiven Sondierungsgesprächen haben die Vorstände die Möglichkeiten einer zukünftigen Zusammenarbeit diskutiert. Als Ergebnis schlagen die Vorstände beider Verbände den Mitgliedsunternehmen eine Verschmelzung vor.

Der als Resultat entstehende Verband würde mehr als 90 Prozent der in Deutschland tätigen pharmazeutischen Unternehmen vertreten. Durch eine optimale Ergänzung der Leistungs-Portfolios und eine Bündelung von Ressourcen könnten die Bedürfnisse und Anforderungen der Mitgliedsunternehmen von einer noch stärkeren Interessensvertretung besser wahrgenommen werden.

In Anbetracht der gesundheitspolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene eröffnet ein gemeinsamer Verband aus Sicht beider Vorstände perspektivisch einen echten Mehrwert. In den kommenden Monaten werden die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für den neuen Verband vorbereitet und der Mitglieder- beziehungsweise der Delegiertenversammlung von BAH und BPI im Sommer 2020 zur Abstimmung vorgestellt.

Nach vorliegenden Angaben soll der neue Verband gemeinsam von den derzeitigen Hauptgeschäftsführern Dr. Kai Joachimsen (BPI) und Dr. Hubertus Cranz (BAH) geleitet werden. Die rund 35 Mitarbeiter des BPI und gut 50 Mitarbeiter des BAH werden vom neuen Verband übernommen. Auch der BAH-Standort Bonn soll erhalten bleiben.

Der BAH ist nach eigenen Angaben der mitgliederstärkste Branchenverband der Arzneimittelindustrie in Deutschland. Er vertritt die Interessen von rund 400 Mitgliedsunternehmen, die in Deutschland circa 80.000 Mitarbeiter beschäftigen. Die im BAH organisierten Unternehmen stellen fast 80 Prozent der in Apotheken verkauften rezeptfreien und fast zwei Drittel der rezeptpflichtigen Arzneimittel sowie einen Großteil der stofflichen Medizinprodukte bereit. Im BPI sind 270 Arzneimittelhersteller mit 78.000 Mitarbeitern organisiert. Neben den beiden Verbänden vertritt der VFA die Interessen der forschenden Arzneinmittelhersteller und Pro Generika die Interessen der Generikahersteller.

Sowohl beim BPI als auch beim BAH gab es in letzter Zeit an der Spitze personelle Veränderungen: Im September 2018 trat Joachimsen die Nachfolge von Dr. Henning Fahrenkamp als Hauptgeschäftsführer an. Dr. Norbert Gerbsch schied wenig später aus. Fahrenkamp hatte in seiner 17-jährigen Amtszeit den BPI von Frankfurt ins politische Berlin geholt und dem Verband eine starke Stimme gegeben. „Bei zahlreichen Kostensenkungsgesetzen ist es Fahrenkamp gelungen, die größten Klippen mit den folgenschwersten Nebenwirkungen für die Industrie zu umschiffen“, lobte der Vorstandsvorsitzende Dr. Martin Zentgraf seinen Verdienst.

Gerbsch galt eigentlich als Fahrenkamps Nachfolger, er verließ aber den Verband zum 31. Januar. Zuvor hatte man beim BPI Wert darauf gelegt, dass Joachimsen und Gerbsch auf Augenhöhe stünden und nicht entschieden sei, wer letztendlich den Posten des Hauptgeschäftsführers übernehme. Gerbsch war 13 Jahre beim BPI; er ist jetzt bei Pohl-Boskamp.

Beim BAH gab es im Mai ebenfalls einen überraschenden Wechsel: Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Weiser musste seinen Posten abgeben, für ihn übernahm Dr. Hubertus Cranz, der zuvor den EU-Dachverband AESGP geleitet hatte. Der stellvertetende Hauptgeschäftsführer Dr. Hermann Kortland gab die Ressorts Politik und Öffentlichkeitsarbeit ab. Mit der Zielsetzung, die Schlagkraft des Verbandes national und international weiter zu erhöhen, habe der Vorstand eine umfassende Neuausrichtung seiner Geschäftsführung beschlossen, teilte der BAH mit.

Weiser war ab 2011 Hauptgeschäftsführer des BAH; davor war er Cheflobbyist für Boehringer Ingelheim. Er galt als exzellenter Netzwerker und Kenner der Branche. Verbandserfahrung sammelte er in den Gremien des BAH und des VFA sowie in der ABDA-Fachgruppe der Apotheker in Wissenschaft, Industrie und Verwaltung (Fachgruppe WIV-Apotheker), als deren Vorsitzender er mehr als sieben Jahre lang auch Mitglied des Gesamtvorstandes war. In Regensburg hatte er Pharmazie studiert und bei Professor Dr. Ernst Mutschler in Frankfurt promoviert. Bei Hoechst stieg er in der Arzneimittelzulassung ein. Seine Frau arbeitet als Apothekerin in einer öffentlichen Apotheke.

Cranz ist ebenfalls Apotheker; 30 Jahre lang hatte er den AESGP geführt. 1988 kam er vom BPI in Frankfurt nach Paris, dem damaligen Sitz von AESGP. Mit dem Lobbyverband zog er nach Brüssel, auf 500 Meter Nähe an die EU-Kommission. Der 61-Jährige hatte ab 1977 Pharmazie in Tübingen studiert und in dieser Zeit Praxiserfahrung in der Offizin gesammelt. Prägend waren jedoch erste Berufserfahrungen in der Pharmaindustrie bei Ciba und Bayer. Nachdem er seinen Lebenslauf in Düsseldorf durch Promotion und Wirtschaftsstudium abgerundet hatte, zog es ihn jedoch nach ans Kieler Institut für Gesundheits-System-Forschung (IGSF). In einem vierköpfigen Team um Institutsgründer und CDU-Politiker Professor Dr. Fritz Beske sammelt er dort Erfahrungen in Gesundheitspolitik und -ökonomie. Er machte sich einen Namen in der Branche, sodass Ende der 80er-Jahre der BPI auf ihn aufmerksam wurde.

Inhaltlich kommen sich VFA und Pro Generika naturgemäß nur selten in die Quere. Dagegen treten sich BPI und BAH mitunter auf die Füße: 1989 hatten die beiden Verbände ein Abkommen geschlossen, mit dem dem BAH die Zuständigkeit für den Bereich der Selbstmedikation zugesprochen wurde. Doch infolge der Streichung von OTC-Medikamenten aus der Erstattung dehnte der BAH 2003 seine Aktivitäten auch auf den Bereich der rezeptpflichtigen Arzneimittel aus, mit Ausnahme der patentgeschützten Präparate. Seitdem hat der BAH seine Mitgliederbasis ausgebaut. Der BPI musste dagegen in den vergangenen 15 Jahren einen Mitgliederschwund hinnehmen – statt 300 sind derzeit rund 270 Firmen vertreten.

Im BPI sind zahlreiche Mittelständler wie Bionorica, Cheplapharm, Desitin, Symbiopharm, Verla und Wörwag. In letzter Zeit sind außerdem verschiedene Cannabisfirmen hinzugekommen. Beim BAH sind dagegen große OTC-Hersteller wie Bayer, GSK, Beiersdorf, Dr. Theiss, Galderma, Hermes, Klosterfrau, Merz, Omega, P&G, Pfizer, Pierre Fabre, Queisser, Reckitt Benckiser, Sidroga, Stada und Weber & Weber an Bord. Auch Infectopharm ist beim BAH, Medice ist – wie viele andere Firmen – in beiden Verbänden Mitglied. Die Generikahersteller sind teilweise auch bei Pro Generika.