Mehrwertsteuer runter

AOK-Umfrage: Sparen bei Arzneimitteln Patrick Hollstein, 29.08.2022 14:37 Uhr aktualisiert am 29.08.2022 14:52 Uhr

Die AOK hat durch eine Umfrage herausfinden lassen, dass die Versicherten vor allem bei Arzneimitteln sparen würden. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Die Krankenkassen fordern die ursprünglich von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplante Absenkung der Mehrwertsteuer – und sehen sich durch eine eigene Umfrage bestätigt. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersdteller (BAH) reagierte umgehend.

Auf der Ausgabenseite müssten die aktuellen Pläne des GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (FinStG) noch nachgebessert werden, fordert die Vorsitzende des AOK-Bundesverbands, Dr. Carola Reimann. „Wir fordern, dass die Mehrwertsteuer auf Humanarzneimittel wie bei den Tierarzneimitteln von 19 auf 7 Prozent abgesenkt wird. Dadurch könnten die gesetzlichen Krankenkassen sofort 5 bis 6 Milliarden Euro pro Jahr sparen.“

Eine solche Maßnahme finde auch breiten Rückhalt in der Bevölkerung: In einer Civey-Befragung erklärten 83 Prozent der befragten GKV-Versicherten, dass der Mehrwertsteuersatz auf Humanarzneimittel ihrer Meinung nach von 19 auf 7 Prozent gesenkt werden sollte, um die Krankenkassen zu entlasten. „Wir setzen darauf, dass es hier noch Nachbesserungen geben wird“, so Reimann.

Sparen bei Arzneimitteln

Die höchste Zustimmung gibt es für ohnehin eine stärkere Preisregulierung bei Arzneimitteln, die 62 Prozent der gesetzlich Versicherten als vorrangige Maßnahme sehen. Auf dem zweiten Platz steht die stärkere Bezuschussung der Krankenkassen durch Steuermittel (42 Prozent), auf dem dritten der Verzicht auf eine Anhebung der Vergütung von Ärztinnen und Ärzten (27 Prozent Zustimmung). Dagegen schneiden höhere Beiträge (knapp 8 Prozent Zustimmung), Leistungskürzungen für Versicherte (knapp 6 Prozent) und Zuzahlungen der Versicherten (4 Prozent) am schlechtesten ab.

„Wir fühlen uns in unseren Forderungen nach einer stärkeren Begrenzung der stetig steigenden Ausgaben für Arzneimittel und nach einem stärkeren Engagement des Bundes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenkassen bestätigt“, kommentiert Reimann. Der Bund müsse seiner Finanzverantwortung gegenüber der GKV gerecht werden – insbesondere durch die Umsetzung der im Koalitionsvertrag angekündigten höheren Beiträge für ALG-II-Beziehende.

Beim BAH weist man die Forderung zurück: „Die Bevölkerung nach Sparmaßnahmen in verschiedenen Bereichen des Gesundheitsversorgung zu fragen und daraus Schlüsse zu ziehen, ist höchst fragwürdig“, so Hauptgeschäftsführer Dr. Hubertus Cranz. „GKV-Versicherte kommen doch mit den Kosten für die spezifischen Leistungen im Gesundheitswesen gar nicht in Berührung. Wie sollen sie diese dann einschätzen können?“

Laut Cranz hätte der AOK-Bundesverband fairerweise den Befragten vorher erklären müssen, wie sich Preise für Arzneimittel zusammensetzen. „Dazu hätte er dann auch erläutern sollen, wie die zahlreichen sozialrechtlichen Steuerungsinstrumente, wie Rabattverträge, Festbeträge, das Preismoratorium und so weiter, die Preise für Arzneimittel bereits heute wesentlich begrenzen. Dann wäre den Befragten bewusst gewesen, wie der hohe Preisdruck durch diese Zwangsmaßnahmen gerade in Zeiten hoher Energie-, Rohstoff- und Logistikkosten die Arzneimittel-Hersteller belastet und die Arzneimittelversorgung gefährdet, anstatt sich eine stärkere Preisregulierung für Arzneimittel zu wünschen. Und dann hätte der AOK-Bundesverband sicherlich andere Befragungsergebnisse erhalten, die er wohl nicht veröffentlicht hätte.“

Breite Ablehnung

Laut der Befragung sind knapp 80 Prozent der gesetzlich Versicherten der Meinung, dass die Bundesregierung nicht genug tut, um die Bevölkerung angesichts steigender Lebenshaltungskosten infolge steigender Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung und wachsender Energiekosten zu entlasten. Die Pläne der Ampel zur weiteren Belastung der Beitragszahlenden stoßen in der Bevölkerung auf große Ablehnung: 84 Prozent der GKV-Mitglieder finden es falsch, das Defizit der Krankenkassen in Höhe von 17 Milliarden Euro vor allem über höhere Beiträge auszugleichen, nur 9 Prozent äußern Zustimmung.

Knapp zwei Drittel der gesetzlich Kranken- und Pflegeversicherten haben laut der Civey-Befragung nur geringes Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des deutschen Sozialversicherungssystems. 64 Prozent der Befragten gaben an, ihr Vertrauen sei „eher gering“ oder „sehr gering“. Nur 15 Prozent der gesetzlich Versicherten erklärten, sie hätten „eher großes“ oder „sehr großes“ Vertrauen.

„Die Ergebnisse zeigen die große Unsicherheit der Menschen in Bezug auf die weitere Perspektive der sozialen Absicherung im Krankheitsfall oder bei Pflegebedürftigkeit. Die Verunsicherung liegt wie ein Schatten über der gesamten Sozialversicherung. Angesichts wachsender Defizite und der strukturellen Unterdeckung in der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist die Skepsis der Menschen nachvollziehbar, aber das Ausmaß des Vertrauensverlustes ist erschreckend“, so Reimann. Populär sei die Zusage des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach, auf Leistungskürzungen für gesetzlich Versicherte zu verzichten: 82 Prozent der Befragten sind mit diesem Kurs einverstanden und lehnen Leistungskürzungen aufgrund des aktuellen Finanzierungsdefizites ab.

„Die Ergebnisse zeigen, dass die Bundesregierung hier dringend handeln sollte“, so Reimann. „Maßnahmen zur Vermeidung steigender Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung müssen Teil des Entlastungspaketes werden, das die Ampel aktuell plant. Es darf nicht sein, dass zur finanziellen Belastung infolge steigender Energiepreise und galoppierender Inflation nun auch noch politisch forcierte Anhebungen des Zusatzbeitrages kommen.“ Durch den Abbau von Rücklagen der Krankenkassen werde die Krankenversicherung von der Politik darüber hinaus noch weiter geschwächt.

Das Meinungsforschungsunternehmen Civey hat zwischen dem 18. und dem 20. August im Auftrag des AOK-Bundesverbandes insgesamt 5000 Personen befragt. Die Ergebnisse der Online-Befragung sind repräsentativ für die Einwohner ab 18 Jahren. Der statistische Fehler der Gesamtergebnisse liegt bei 2,5 Prozent.