Anti-Korruptionsgesetz

Strafrecht: „Leporello für die Kitteltasche“ Alexander Müller, 03.12.2015 12:00 Uhr

Berlin - 

Apotheker und Ärzte machen sich künftig strafbar, wenn sie sich Vorteile verschaffen und dabei gegen ihre heilberufliche Unabhängigkeit verstoßen. Das geplante Anti-Korruptionsgesetz sieht eine Anbindung an das Berufsrecht der verkammerten Berufe vor. Doch die geladenen Experten einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags äußerten fast unisono Bedenken.

Als Experte geladen war unter anderem Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK). Er findet es problematisch, die genaue Definition strafbarer Handlungen den Kammern der Heilberufe zu überlassen. Die meisten Ärzte könnten mit der bisherigen Formulierung gar nichts anfangen, andere im Gesundheitswesen Tätige hätten gar keine Berufsordnung. Montgomery forderte die Aufnahme konkreter Tatbestandsmerkmale und eine bundeseinheitliche Regelung. Die Ärzte bräuchten einen „Leporello für die Kitteltasche“, so Montgomery.

Dr. Uwe Broch, Jurist beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA), äußerte Bedenken: Er sieht einen „Flickenteppich heterogener berufsrechtlicher Normen“. Was in einem Bundesland erlaubt sei, sei in dem anderen verboten. Dass die Kammern über Änderungen im Berufsrecht Einfluss auf die strafrechtliche Würdigung haben, sieht der VFA-Jurist ebenfalls kritisch: „Normadressaten werden so zu Normgebern.“

Der im Gesundheitswesen tätige Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen befürchtet Rechtsunsicherheit, weil die Berufsordnungen oft zu unbestimmt seien. Die Apotheker hätten – anders als die Ärzte – auch gar keine Musterberufsordnung. So sei in einem Bundesland etwa das kostenlose Verblistern für Pflegeheime berufsrechtlich explizit verboten, in anderen nicht. Eine unterschiedliche strafrechtliche Wertung könne nicht im Sinne des Gesetzgebers sein. Douglas wies auf die Gefahr hin, dass sich bundesweit tätige Versandapotheken in dem Bundesland mit den niedrigsten Standards niederlassen könnten.

Der Kölner Strafrechtsprofessor Dr. Michael Kubiciel hat weniger Bedenken. Der Gesetzestext sei tatsächlich auslegungsbedürftig, das sei aber in anderen Bereichen auch weit verbreitet. Die Kammern könnten unklare Regeln präzisieren, das sei geradezu ein idealer Vorgang. Kubiciel sprach von „Selbstheilungskräften“ der Kammern. Das Strafrecht könne nicht alles regeln. „Ich bin überzeugt, dass klar ist, was gemeint ist“, so Kubiciel.

Laut dem Stuttgarter Oberstaatsanwalt Dr. Peter Schneiderhahn, Präsidiumsmitglied des Deutschen Richterbundes, kommt es auf die Möglichkeiten der Kammern an. Wenn der Passus über die berufsrechtliche Unabhängigkeit einfach gestrichen werden könnte, würde das Gesetz aus seiner Sicht ins Leere laufen – mit den entsprechenden Folgen für die Akzeptanz der Strafnorm.

Als Vertreter des GKV-Spitzenverbands war Dr. Stephan Meseke als Experte im Rechtsausschuss geladen. Der Leiter der Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen wies auf eine Studie hin, wonach jeder fünfte Mediziner das Zuweisungsverbot aus seiner Berufsordnung überhaupt nicht kenne. Die Chancen für eine unzulässige Vereinbarung seien übrigens immer dann besonders groß, wenn ohne Beteiligung einer Krankenkasse agiert werde, so Meseke.

Dr. Christian Fischer, Geschäftsführerin der Ärzte-Initiative „Mezis“ (Mein Essen zahl ich selbst), findet das Gesetzesvorhaben insgesamt zu lasch, weil es auf Bestechung fokussiere. „Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung sind in der Praxis typischer“, so die Ärztin. Mediziner würden von Herstellern mit Vorteilen überzeugt, etwa Fortbildungen mit kostenloser Anreise und Unterkunft – mit Auswirkungen auf das künftige Verschreibungsverhalten. Für Vorträge auf Kongressen gebe es vierstellige Honorare, auch Anwendungsbeobachtungen zählt Fischer zu den „potenziell korruptiven“ Bereichen.

Montgomery hielt dagegen, dass die Hersteller bei patentgeschützten Arzneimitteln ein Wissensmonopol hätten und die Mediziner daher auf die Fortbildung angewiesen seien. Die BÄK zertifiziere in jedem Jahr mehr als 4000 Fortbildungen. Man müsse schon unterscheiden zwischen „dazulernen“ und „beeinflusst werden“. Fischer findet, dass es generell keine Fortbildungspunkte für Pharmafortbildungen geben sollte.

Mehrere Experten regten an, das Antragsdelikt in ein Offizialdelikt umzuwandeln. Nur dann könnte ein Staatsanwalt auch von sich aus aktiv werden. Die Unterscheidung würde Schneiderhahn zufolge in der Praxis allerdings keine große Bedeutung zukommen. Denn auch bei einem relativen Antragsdelikt kann der Staatsanwalt von sich aus aktiv werden, wenn das öffentliche Interesse berührt ist.

Schneiderhahn sieht die Probleme eher beim Tatsachenbeweis: „Dreh- und Angelpunkt ist die Unrechtsvereinbarung, die nachgewiesen werden muss. Das wird in der Regel nicht einfach sein“, so der Oberstaatsanwalt. Ohne verdeckte Ermittlungsmöglichkeiten wie eine Telefonüberwachung wird es aus seiner Sicht schwierig, einen Tatnachweis zu erbringen. Dies sollte Schneiderhahn zufolge noch einmal diskutiert werden, auch wenn er sich der Problematik ärztlicher Schweigepflicht bewusst sei.

Diskutiert wurde auch über die Strafverschärfung. Da ein besonders schwerer Fall laut Entwurf vorliegt, wenn eine Bande aktiv ist, befürchten vor allem die Hersteller, überhart bestraft zu werden. Doch auch bei den Ärzten gibt es diese Bedenken, Montgomery verwies auf das Problem der Gemeinschaftspraxis. Schneiderhahn beruhigte: „Nicht jede Gemeinschaftspraxis ist eine Bande.“ Die Ärzte müssten sich zusammenschließen, um eine Straftat zu bestehen.

Douglas wünscht sich einen besseren Schutz für Hinweisgeber. Patienten müssten einen intensiven Schutz genießen, wenn sie auf Missstände hinweisen. Gerade in ländlichen Gebieten mit wenig Alternativen könne nur so sichergestellt werden, dass der Patient weiter behandelt werden kann. Meseke zufolge ist Deutschland ein „Entwicklungsland beim Hinweisgeberschutz“.

Einig waren sich die Experten darin, dass bundesweit Schwerpunktstaatsanwaltschaften zu dem Thema eingerichtet werden sollten. Meseke zufolge gibt es derzeit in Nord-Süd-Gefälle. Mit den drei spezialisierten Staatsanwälte aus Bayern gab es zuletzt ein Treffen mit Vertretern der Krankenkassen. Selbst die Ärzte sind für eine Spezialisierung: „Mit Experten kann man besser zusammenarbeiten“, so Montgomery.

Nach der öffentlichen Anhörung steht als nächstes die zweite und dritte Lesung des Anti-Korruptionsgesetzes an. Diese könnte dann Anfang nächsten Jahres erfolgen, das Gesetz soll jedenfalls nach dem Willen der Regierung noch vor der Sommerpause in Kraft treten.