„Wir haben ein Recht darauf, dass wir gehört werden“

Ampel: Gesundheitsexpert:innen auf Tauchfahrt Patrick Hollstein, 11.05.2022 12:13 Uhr

Keiner zu sprechen? Die Verbände ärgern sich über den fehlenden Austausch mit den Gesundheitsexpert:innen der Ampel. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Seit knapp einem halben Jahr ist die Ampel an der Macht. Während sich das Spitzenpersonal von SPD, Grünen und FDP plötzlich mit einem Angriffskrieg mitten in Europa herumschlagen muss, war Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zunächst mit Corona beschäftigt. Doch während man jetzt zur Tagesordnung übergehen und die Apotheken- und Pharmabranche mit einem Spargesetz überziehen will, sind die Gesundheitsexperten auf Tauchfahrt. Die Verbände sind zunehmend verzweifelt.

In Berlin finden nach zwei Jahren Pause wieder erste gesundheitspolitische Veranstaltungen und parlamentarische Abende statt, man trifft sich wieder zum Netzwerken. Wer dabei schmerzlich vermisst wird, ist die Politik. Aktuelles Beispiel ist der Unternehmertag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), bei dem Vorstandschef Dr. Hans-Feorg Feldmeier eigentlich mit Thomas Müller, Leiter der Abteilung „Arzneimittel/Medizinprodukte“ im Bundesgesundheitsministerium (BMG) über das Thema „Gesundheitspolitik in Zeiten von Krisen und knapper Kassen – Wie wird die Versorgung gesichert und gestärkt?“ sprechen wollte. Doch Müller kam nicht, so wie auch schon beim Empfang am Vorabend keiner der führenden Gesundheitsexperten von SPD, Grünen und FDP gesichtet wurde.

Das Problem: Alle Verbände teilen derzeit dasselbe Schicksal. Gesprächsangebote an das BMG seien im Sande verlaufen, klagte unlängst der BPI-Vorsitzende Dr. Hans-Georg Feldmeier. Nach seiner Kenntnis habe es noch kein Gespräch von Verbändevertretern mit dem Minister gegeben, auch nach den von Corona geprägten ersten Wochen seien Gesprächsangebote nicht beantwortet worden. „Wir haben ein Recht darauf, dass wir gehört werden“, sagte er auch beim BPI-Unternehmertag. Man werde dies auch öffentlich machen, denn niemand habe das Recht, weiter aus dem stillen Kämmerlein heraus „Pharma-Schelte“ zu betreiben. „Wir müssen uns zusammensetzen, das sind wir den Patientinnen und Patienten schuldig.“

Tatsächlich scheint Lauterbach vor allem dort anzutreffen sein, wo er schon vor seinem Amtsantritt einen Schwerpunkt hatte – bei den Kassenärzten etwa oder im Klinikbereich. Von den beiden Staatssekretären Sabine Dittmar und Dr. Edgar Franke (beide SPD) hört man seit Amtsantritt so gut wie nichts. Nicht einmal die Aufgabenverteilung ist den Lobbyisten so richtig klar.

Ähnlich sieht es in den Fraktionen aus: Beim E-Rezept etwa sei nicht der gesundheitspolitische Sprecher Janosch Dahmen zuständig, sondern Paula Piechotta, heißt es aus der Fraktion. Die Radiologin aus Leipzig ist aber nur stellvertretendes Mitglied im Gesundheitsausschuss – und hat als Mitglied im Haushaltsausschuss und Obfrau im Rechnungsprüfungsausschuss seit Wochen ausschließlich mit Haushaltsthemen zu tun. Abgesehen davon soll sie nach wie vor als Ärztin tätig sein.

Ähnliche Erfahrungen wie die Hersteller haben auch schon die Apotheker aus Baden-Württemberg gemacht, deren parlamentarischer Abend in den Jahren vor Corona als Pflichttermin galt und stets prominent besetzt war. Zugegeben: Früher hatte die Abgeordneten aus dem Ländle in der Gesundheitspolitik eine führende Rolle. Eine Gelegenheit zum Austausch wäre es allemal gewesen, die aber nur Michael Hennrich (CDU) nutzte. So blieben die Pharmazeut:innen weitgehend unter sich.

Einzig Tino Sorge (CDU) sucht die Öffentlichkeit, schon in seiner ersten Woche musste er seinen Parteifreund Jens Spahn gegen Angriffe verteidigen. Doch die Union ist in der Opposition – und Sorge damit kein erster Ansprechpartner für Reformvorhaben der Ampel.

Schon die Koalitionsverhandlungen hatten komplett hinter verschlossenen Türen stattgefunden. „In diesem Klausurformat, das wir so noch nicht kannten, hatten wir als Verbände keine Möglichkeit, Stellung dazuzunehmen, wie Vorhaben konkret ausgeformt werden könnten“, so Feldmeier. „Also müssten wir das jetzt nachholen.“ Dass nun auch noch ein Spargesetz im Raum steht, macht die Sache nicht einfacher.