Apothekerhaus

ABDA streitet um Millionen Julia Pradel, 09.12.2015 10:22 Uhr

Berlin - 

Es gibt Risse im Apothekerhaus in der Jägerstraße – nicht metaphorisch, sondern im wahrsten Sinne des Wortes. Die Sanierung kostet laut früheren ABDA-Prognosen rund drei Millionen Euro. Die versucht man sich vom Nachbarn zurückzuholen. In der gestrigen Güteverhandlung vor dem Landgericht Berlin gab es zwar noch keine Einigung. Klar ist allerdings bereits jetzt, dass die ABDA auf einem mehr oder weniger großen Teil der Kosten sitzen bleiben wird – schon weil sie mit einer Forderung von nur zwei Millionen Euro in die Verhandlung gegangen ist.

Die Risse entstanden laut ABDA, als 2012 auf dem Nachbargrundstück mit dem Bau von Luxuswohnungen begonnen wurde. Zuvor hatten sich die Apotheker gegen den Erwerb des Grundstücks und die Erweiterung ihres Standorts entschieden. Dass Arbeiten nebenan zu Schäden im Mendelssohn-Palais geführt haben, glaubt auch Richter Ralf Perschau. In der Güteverhandlung machte er deutlich, dass es wohl zu einer Verurteilung der Groth-Gruppe kommen werde. Den Baukonzern Hochtief, der sich um das neue Fundament gekümmert hatte, in die Pflicht zu nehmen, ist aus Sicht des Richters schon schwieriger.

Das Problem: Es muss genau nachgewiesen werden, wer welchen Schaden zu verantworten hat. Wie schwierig das ist, zeigt sich schon bei Hochtief. Bereits zu Beginn der Bauarbeiten habe es Setzungen gegeben, die nicht zugenommen hätten, als Hochtief mit den Arbeiten begann. Das Unternehmen habe zudem nur die Fundamentplatte entfernt und war mit den restlichen Arbeiten nicht mehr betraut. Es müsse daher geklärt werden, ob diese Tätigkeit überhaupt eine stützentziehende Vertiefung darstelle, so Perschau.

Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich dadurch, dass das erste aus Sicht des Richters vernünftige Gutachten im Februar 2012 entstand, als Hochtief schon nicht mehr mit Erschütterungen arbeitete. Deshalb fehlt es an einer Vergleichbarkeit.

Die Groth-Gruppe zu einer Zahlung zu verpflichten, ist aus Sicht des Richters deutlich einfacher. Grundlage ist der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch bei Beschädigung des eigenen Gebäudes aufgrund der Baumaßnahmen des Nachbarn. Doch auch hier gestaltet sich die Zuordnung der Schäden als Herausforderung. Denn der Bauträger argumentiert, dass es seit dem Bau der Bodenplatte keine Senkungen mehr gab und spätere Schäden auf den Bau des Titanic-Hotels in der Französischen Straße zurückzuführen seien.

Um die offenen Fragen zu klären, vergab Richter Perschau verschiedene Arbeitsaufträge: Die ABDA soll die Risse neu tabellarisieren und die Schäden ausrechnen. Und die Groth-Gruppe soll ein Gutachten zahlen, mit dem die Prozesse der Senkung und Vertiefung genau untersucht werden. Mit diesem Gutachten, mit dem der Berliner Bauphysiker Professor Axel Rahn beauftragt werden soll, könnte womöglich auch untersucht werden, wie alt die einzelnen Risse im Haus sind. Auf diese Weise könnten sie den einzelnen Verursachern zugeordnet werden.

Wegen der hohen Kosten, die auf beide Parteien zukämen, schlug der Richter vor, sich zu einigen. Doch ABDA und Groth-Gruppe sehen sich zu weit auseinander: Die ABDA kommt in dem von ihr beauftragten Gutachten auf eine Forderung von zwei Millionen Euro, während die Groth-Gruppe von 200.000 bis 300.000 Euro ausgeht. „Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zahlen falsch sind“, betonte Rechtsanwalt Dr. Nicolaus Pieper von der Berliner Kanzlei Schwenke & Schütz, die die ABDA vertritt. Ansatzweise vergleichbares Zahlenmaterial sei von der Gegenseite nicht vorgelegt worden.

So ganz aufgegeben hat Perschau die Hoffnung auf eine Einigung trotzdem noch nicht. Bis zum nächsten Termin sollen die alten Gutachten vorgelegt und die Klage neu aufgerechnet werden. Dadurch würden vielleicht auch die Zahlen „abgespeckt“ und es ergebe sich eine neue Grundlage, auf der man sich einigen könne, bevor der Sachverständige eingeschaltet würde – „der dann richtig Geld kostet“.

Die ABDA hat noch ein Problem: Wie aus internen Unterlagen hervorgeht, war die Gebäudesubstanz nämlich schon in den 1990er Jahren immer wieder ein Thema. Schon als die Telekom auf dem Grundstück an der Rückseite baute, tauchten die ersten Risse im Mendelssohn-Palais auf. 1999 zahlte der Konzern im Rahmen einer Nachbarschaftsvereinbarung eine Summe von 200.000 D-Mark an die Bank für Gemeinwirtschaft (BfG), der die Immobilie damals gehörte. Andere Nachbarn wurden gleich im Vorhinein verpflichtet, einen Gutachter mit der Beweissicherung vor, während und nach Abschluss der Bauarbeiten zu beauftragen.

47-Millionen D-Mark hatte die ABDA vor 15 Jahren für das Mendelssohn-Palais am Berliner Gendarmenmarkt bezahlt, inklusive Maklercourtage umgerechnet rund 24 Millionen Euro. In die Bücher genommen wurde das Haus 2001 mit knapp 21 Millionen Euro. Nach den üblichen Abschreibungen waren davon Ende 2014 noch 16,8 Millionen Euro übrig. Auf einen ähnlichen Betrag kam ein Verkehrswertgutachten, das die ABDA Ende 2010 auf Drängen einiger Mitgliedsorganisationen in Auftrag gegeben hatte, als über den Erwerb des Nachbargrundstücks gesprochen wurde.

Seitdem haben die Apotheker einen hohen einstelligen Millionenbetrag investiert. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt hofft, dennoch unter dem Strich eine Rendite erzielen können. „Nach dem, was wir heute über die Wertentwicklung von Immobilien in dieser 1A-Lage von Berlin wissen, sollte das möglich sein.“ Die aktuellen und künftigen Investitionen führten „unmittelbar zu einem Wertzuwachs des Objekts“, weil es modernisiert werde, so Schmidt. „Ein Totalverlust stand nie zur Debatte, wäre auch nicht hinzunehmen.“

Das Mendelssohn-Palais sei wie ein Oldtimer; man müsse für den Verkauf eben einen Liebhaber finden, so Schmidt. Das war auch vor 15 Jahren nicht anders: Allen Beteiligten sei wegen der Lage und Beschaffenheit des Gebäudes, seines historischen Bezuges und seines hohen repräsentativen Charakters bewusst gewesen, dass bei der Vermarktung keine funktionalistische Miet- oder Nutzflächenbetrachtung im Vordergrund stehen konnte, erinnert sich der damals beauftragte Makler.

Andere Interessenten – laut Makler unter anderem die Familien Porsche, Erb (Winterthur) und Albrecht (Aldi), das Kanzleramt, eine Beteiligungsgesellschaft und ein Arbeitgeberverband – winkten seinerzeit ab, die ABDA kaufte. Als der Platz zu eng wurde, wurden erst der Erwerb des Nachbargrundstücks für 23,5 Millionen Euro und dann eine Aufstockung mit Gesamtinvestitionen von 26,5 Millionen Euro erwogen. Beide Pläne wurden durch die Mitgliederversammlung verworfen. Jetzt baut die ABDA am Hauptbahnhof für 31,5 Millionen Euro; dazu kommen Nebenkosten von 4,5 Millionen Euro und Kosten für die Zwischenmiete im Linden-Corso von geschätzten 1,5 Millionen Euro pro Jahr.