Psychopharmaka

Umdenken bei ADHS-Therapie dpa, 30.05.2008 14:56 Uhr

Berlin - 

Ärzte und Regierung fordern ein Umdenken bei der Therapie der Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung (ADHS), denn immer mehr Kinder werden mit Psychopharmaka behandelt. Rrund 500.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland litten an ADHS, sagte Dr. Carl- Heinz Müller, Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Jedes Jahr kämen schätzungsweise rund 5 Prozent dazu. Den Krankenkassen werde nun ein neuer Vertrag angeboten mit dem Ziel, die Betroffenen zunächst verstärkt psychotherapeutisch zu behandeln.

Mehr als die Hälfte der kranken Kinder erhalten heute Ritalin oder entsprechende Psychopharmaka. Die verschriebenen Ritalin-Mengen hätten sich zwischen 1995 und 2000 verzehnfacht, sagte die Parlamentarische Gesundheitsstaatssekretärin Marion Caspers-Merk (SPD). Alternative Therapiemöglichkeiten müssten ausgebaut werden und vor einer Medikamentenbehandlung an die erste Stelle rücken.

In der Wissenschaft gibt es tiefe Gräben zwischen Anhängern der Medikamenten- und einer verstärkten psychologischen Therapie. Manche Forscher erklären die ADHS-Entstehung vor allem neurobiologisch mit anatomischen Abnormitäten und sehen Medikamente als zentrales Mittel dagegen. Andere warnen vor exzessivem Ritalin-Gebrauch. Sie sehen Kinder am stärksten betroffen, wenn sie depressive Mütter haben oder medialer Reizüberflutung und Leistungsdruck ausgesetzt sind. Diese Mediziner befürworten mehr soziale Hilfsangebote, psychotherapeutische Behandlungen oder Verhaltenstherapien.

Mehrfachen „Korrekturbedarf“ bei den aktuellen Therapien sieht Caspers-Merk. Bei vielen Kindern bliebe ADHS unerkannt, andere würden behandelt, obwohl sie andere Störungen hätten. Bei vielen Kindern mit Konzentrationsschwäche, zunehmender Sprunghaftigkeit und wachsenden Problemen in Schule und Elternhaus werde in akuter Drucksituation rasch auf eine medikamentöse Behandlung zurückgegriffen. Müller sagte, durch eine stärkere frühe Behandlung durch Kinder- Psychotherapeuten könnten Klinikeinweisungen und spätere Erwerbsunfähigkeit vermieden werden. Die Kassen, die einen ADHS- Vertrag abschlössen, hätten zunächst höhere Ausgaben, könnten dann aber Arzneimittelkosten einsparen.