Fehlinformationen und Verschwörungstheorien

Spike- vs. Plazentaprotein: Macht die Covid-Impfung unfruchtbar? APOTHEKE ADHOC, 01.02.2021 08:00 Uhr

Keine Antikörper gegen die Plazenta: Experten zufolge sind die Behauptungen zur Unfruchtbarkeit durch die Corona-Impfung unbegründet. Foto: Numstocker/shutterstock.com
Berlin - 

Um die Corona-Impfung ranken sich zahlreiche Mythen. Einer von ihnen: Frauen könnten durch die Verabreichung der Vakzine unfruchtbar werden. Hintergrund ist eine ähnliche Aminosäuresequenz bei einem Plazentaprotein. Experten wollen diese Behauptung nun aufklären: Die Impfung beeinträchtige die Fruchtbarkeit nicht. Im Gegenteil: Sie empfehlen die Impfung, um eventuelle – auch noch unbekannte – Folgen einer Covid-Erkrankung zu vermeiden.

Die These der Unfruchtbarkeit hält sich hartnäckig. Vor allem junge Frauen haben aufgrund der Berichte Sorge, sich impfen zu lassen, wenn es soweit ist. Häufig ist es einer der Hauptgründe, der Impfung skeptisch gegenüberzustehen. Professor Dr. Udo Markert, Leiter des Plazenta-Labors der Klinik für Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Jena und Präsident der European Society for Reproductive Immunology, klärt gemeinsam mit Professor Dr. Ekkehard Scheußner, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Jena und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin, auf.

Pandemie als Nährboden für Fehlinformationen

Impfen sei „eine der Erfolgsgeschichten der modernen Medizin“, leiten die beiden Experten ihre Stellungnahme ein. Dennoch nehme die Zahl der Impfkritiker eher zu – gerade jetzt in Zeiten der Pandemie. Mit der daraus folgenden Angst und Verunsicherung sei es offensichtlich „ein fruchtbarer Nährboden für Verschwörungstheorien und Impfgegner“. Schon seit Beginn der Pandemie seien Fehlinformationen im Umlauf.

Seit Ende 2020 finde sich in den sozialen Medien vermehrt die Behauptung, dass die spezifischen Antikörper, die nach der Verabreichung der mRNA-Impfstoffe im Körper gebildet werden, auch die Bestandteile der Plazenta angreifen können – dadurch könne es zu Unfruchtbarkeit kommen.

Die Experten erläutern die Hintergründe: Das Spikeprotein von Sars-CoV-2 bestehe aus 1273 Aminosäuren, unter anderem ist die aus fünf Aminosäuren bestehende Sequenz „VVNQN“ enthalten. Eine ähnliche, aber nicht identische Sequenz aus fünf Aminosäuren – nämlich „VVLQN“ – befinde sich im Protein Syncytin-1 an Position 378-382. „Syncytin-1 ist ein Protein aus 538 Aminosäuren, das in der menschlichen Plazenta gebildet wird, und somit eine Strukturähnlichkeit von circa 0,75 Prozent aufweist.“ Die VVLQN-Aminosäuren-Sequenz liege aber im Synzytiotrophoblast unterhalb der Oberfläche zwischen den beiden Lipidschichten der Oberflächenmembran und sei somit für eventuelle Antikörper gar nicht direkt erreichbar.

Belastung bei Infektion deutlich höher

In Berichten werde jedoch behauptet, dass die Impfstoffe auch eine Immunantwort gegen das Syncytin-1 in der Plazenta hervorrufe können. Wäre dies jedoch der Fall, müsse auch – oder erst recht – eine Covid-Erkrankung selbst zu Unfruchtbarkeit führen können, da „die Antigen-Belastung deutlich höher und unkalkulierbarer als im Falle einer Impfung wäre“. Die Behauptung sei damit „höchst unwahrscheinlich“ und durch die bisherigen Erfahrungen nicht bestätigt.

Markert und Scheußner führen noch einen Aspekt heran: Der IgG4-Antikörper Temelimab beispielsweise besitze eine 81-prozentige Homologie mit dem Syncytin-1-Protein. Er wurde zur Behandlung von verschiedenen Autoimmunerkrankungen wie Diabetes mellitus und Multipler Sklerose entwickelt. Bei In-vitro-Untersuchungen habe sich gezeigt, dass er praktisch nicht an Syncytin binde und demnach keinen Einfluss auf die Funktionalität von Syncytin in Bezug auf die Synzytiotrophoblastzell-Fusion hat, die für eine normale Plazentaentwicklung wichtig ist.

Die verbreiteten Behauptungen seien daher aus Sicht der Plazenta-Forschung und Reproduktionsmedizin „völlig unbegründet“. Im Gegenteil: „Wir würden allen Frauen eine Impfung empfehlen, um eine Covid-19-Erkrankung und deren großenteils noch unbekannten langfristigen Folgen zu vermeiden“, erklären die Experten.