Der kognitiven Alterung zuvorkommen

Spermidin: Futter fürs Gehirn Cynthia Möthrath, 22.04.2021 15:01 Uhr

Positive Auswirkungen auf Kognition und Gedächtnis: Spermidin kann den Alterungsprozess des Gehirns positiv beeinflussen. Foto: Andrus Ciprian/shutterstock.com
Berlin - 

Mit zunehmendem Alter lässt die Leistung des Gehirns nach. Dieser Alterungsprozess ist normal und vollkommen natürlich. Forscher:innen aus Graz, Berlin und Innsbruck konnten nun zeigen, dass die natürliche Substanz Spermidin diesen schleichenden Prozess günstig beeinflussen kann: Neben einem verbesserten Denkvermögen war eine Spermidin-reiche Nahrung außerdem mit einer stärkeren Gedächtnisleistung verknüpft.

Das Alter eines Menschen macht sich nicht nur an seiner körperlichen Verfassung bemerkbar. Neben typischen Beschwerden des Bewegungsapparates kommen oft auch kognitive Einschränkungen hinzu, die sich beispielsweise durch Vergesslichkeit bemerkbar machen. Dabei ist es völlig normal, dass auch das Gehirn altert und seine Leistung entsprechend abnimmt, wie mittlerweile wissenschaftlich belegt ist. Die genauen Hintergründe und molekularen Mechanismen sind jedoch weiterhin zu großen Teilen ungeklärt.

Ein wesentliches Ziel der Forschung ist es daher, diesen Alterungsprozess zu verstehen und mit geeigneten Maßnahmen zu verlangsamen, um präventive – aber auch therapeutische – Konzepte zu entwickeln. Forscher:innen der Universität Graz, der Freien Universität Berlin und der Medizinischen Universität Innsbruck haben sich diesbezüglich mit der Substanz Spermidin beschäftigt, welche in verschiedenen Studien vielversprechende Ergebnisse erzielen konnte. Sie ist unter anderem in Nüssen, Pilzen und Weizenkeimen enthalten und kommt auch im menschlichen Körper vor.

Das Team stellte fest, dass Mäuse und Fliegen durch eine mit Spermidin angereicherte Nahrung bessere kognitive Leistungen zeigten. „Auch im Menschen scheint eine erhöhte Spermidin-Zufuhr mit einem verbesserten Denkvermögen und einer stärkeren Gedächtnisleistung verknüpft zu sein“, erklären die Wissenschaftler:innen. Ihre Ergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal „Cell Reports“ veröffentlicht.

Spermidin konnte in den Untersuchungen zu einer verbesserten Funktionsweise der Mitochondrien im Hirn beitragen. Durch den hohen Energieverbrauch der Nervenzellen sind Mitochondrien dort von besonderer Bedeutung: „Funktionieren sie besser, kann das zu einer gesteigerten Gedächtnisleistung beitragen“, so das Team. „Dazu haben wir alten Fliegen und Mäusen Spermidin ins Futter beziehungsweise Trinkwasser gemischt. So konnte gezeigt werden, dass oral verabreichtes Spermidin das Gehirn von Mäusen erreicht und dass diese im Alter in verschiedenen Gedächtnistests besser abschneiden als Mäuse, die keine Extraportion Spermidin bekamen“, erklärt Andreas Zimmermann von der Uni Graz, Co-Erstautor der Studie.

Die neuroprotektive Wirkung sei dabei auf eine verbesserte Qualitätskontrolle der Mitochondrien im neuronalen Gewebe zurückzuführen. „Bereits in unseren vorangegangenen Arbeiten konnten wir darlegen, dass Spermidin-gefütterte Fliegen ein besseres Gedächtnis im Alter haben und dass dafür die Autophagie – ein zellulärer Reinigungsprozess – notwendig ist“, erläutert Co-Erstautor Sebastian Hofer.

In der neuen Untersuchung wurde nun gezeigt, dass die Verbesserung der mitochondrialen Funktion durch Spermidin sehr wahrscheinlich ein weiterer, wesentlicher Faktor ist: Spermidin fördert demnach eine spezielle Modifikation eines zentralen Proteins der Proteinherstellung, das „eIF5A“. Diese sogenannte „Hypusinierung“ sei für die Funktion von eIF5A essentiell und fördere unter anderem die Herstellung mitochondrialer Proteine, wodurch wiederum die Funktion der Mitochondrien verbessert werden kann.

Mithilfe der Bruneck-Studie konnten die Forscher:innen die Ergebnisse aus dem Tiermodell auch auf den Menschen übertragen. Insgesamt nahmen an der Studie über 800 Probanden teil. Für die Rückschlüsse wurde ein Kollektiv ausgewählt, dass im Jahr 1995 kognitiv normal leistungsfähig war. Teilnehmer:innen, die in den folgenden fünf Beobachtungsjahren kognitive Einbußen entwickelten, wurden mithilfe der neuropsychologischen Testbatterie CERAD (Consortium to Establish a Registry for Alzheimer's Disease) identifiziert. „Dabei wurden die Domänen Gedächtnis, Exekutivleistungen (Planen) und Sprachkompetenz überprüft.“

Anschließend wurde die Spermidinaufnahme über die Nahrung bestimmt: Teilnehmer:innen, die 1995 mehr Spermidin aufgenommen hatten, zeigten in den Folgejahren wesentlich weniger kognitive Einschränkungen. „Diese Beobachtung belegt einen Zusammenhang, der in naher Zukunft auch mit einer Interventionsstudie bestätigt werden sollte, zumal es im kognitiven Bereich sehr wenige Möglichkeiten einer positiven Beeinflussung gibt“, meint Neurologe Stefan Kiechl, Direktor der Universitäts-Klinik für Neurologie an der Medizin Uni Innsbruck.

Wissenschaftler der Uni Graz hatten bereits 2009 das „Anti-Aging-Potenzial“ von Spermidin entdeckt: Die Substanz setzt einen zellulären Reinigungsprozess in Gang, der als Autophagie bezeichnet wird. „Im Zuge dieses Recyclings werden fehlerhafte oder unbrauchbare Zellbestandteile abgebaut und wiederverwertet, was Organismen länger fit hält.“ Mittlerweile arbeiten über 100 Labore weltweit an unterschiedlichen Anti-Aging-Aspekten der Spermidin-Supplementierung.

Die natürliche Substanz wird inzwischen von verschiedenen Herstellern in Form von Pulvern oder Kapseln angeboten. So hat beispielsweise das Unternehmen Infectopharm die Spermidinelife Kapseln in zwei verschiedenen Größen auf dem Markt. Auch Köhler Pharma bietet verschiedene Packungsgrößen an.