Nutzenbewertung

Schulnoten für Arzneimittel Benjamin Rohrer, 18.01.2012 12:40 Uhr

Berlin - 

Für Pharmahersteller geht es um Millionenbeträge, wenn das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) über die Frage entscheidet: Hat ein Medikament einen Zusatznutzen oder nicht? Auch wenn am Ende der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Daumen hebt oder senkt – das Urteil der Gutachter ist nur selten schwarz oder weiß. Oft entscheidet schlichtweg die Datenlage über das Schicksal eines neuen Arzneimittels. So muss die Branche derzeit lernen mit einem Votum umzugehen wie: „Anhaltspunkt für einen Zusatznutzen, dessen Ausmaß jedoch nicht quantifizierbar, aber maximal beträchtlich ist“.

 

Nach der Zulassung reichen die Hersteller ihre Dossiers beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ein. Dieser beauftragt das IQWiG mit der wissenschaftlichen Bewertung der Studien. In das Urteil, das als Grundlage für die Preisfindung dient, fließt am Ende allerdings nicht nur die Meinung der Experten aus Köln ein: Auch externe Sachverständige sowie Patienten werden zu ihren Erfahrungen mit dem Arzneimittel befragt.

Um einen Zusatznutzen attestiert zu bekommen, muss das Medikament entweder einem ähnlich wirkenden Arzneimittel mit Festbetrag oder einer anderen sogenannten „zweckmäßigen Vergleichstherapie“ überlegen sein. Was als Standard herangezogen wird, entscheidet der G-BA – nicht selten zum Ärger der Hersteller.

Die Experten des IQWiG prüfen das Medikament unter verschiedenen Gesichtspunkten: Für jede Patientengruppe werden drei sogenannte „patientenrelevante Endpunkte“ erfasst: Mortalität, Morbidität (Beschwerden und Komplikationen) sowie gesundheitsbezogene Lebensqualität. Zusätzlich wird berücksichtigt, inwieweit Nebenwirkungen aufgetreten sind.

 

 

Von großer Bedeutung ist auch das Design der eingereichten Studien: Nur wenn sie vollständig und nicht interessengeleitet sind, kommen Untersuchungen für die Nutzenbewertung in Frage. Wird der Zusatznutzen durch randomisierte kontrollierte Studien belegt, sprechen die Prüfer von einem „statistisch signifikanten“ Unterschied. Stellt sich allerdings heraus, dass die Studien tendenziös sind oder selektiv ausgewählt wurden, kann das IQWiG die gesamte Bewertung verwerfen.

Je nach Aussagekraft der Studien gibt es unterschiedliche Abstufungen: Im besten Fall ist der Mehrwert des Arzneimittels gegenüber der Vergleichstherapie „belegt“, daneben gibt es in absteigender Reihenfolge „Hinweise“ und „Anhaltspunkte“ für einen Zusatznutzen. Liegen keine Daten vor oder lassen die Daten keine Bewertung zu, hat der Hersteller Pech.

Entscheidend für das Votum durch den G-BA ist neben der Eindeutigkeit das Ausmaß des Zusatznutzens: Bestnote ist ein „erheblicher Zusatznutzen“ – dieser liegt vor, wenn mit dem Medikament eine große Verbesserung erreicht wird, insbesondere eine Heilung der Erkrankung oder eine erhebliche Verlängerung der Lebensdauer. Daneben gibt es die Urteile „beträchtlich“ und „gering“. Ein „nicht quantifizierbarer“ Zusatznutzen liegt vor, wenn die Datenlage schlecht ist.

Am Ende funktioniert die Nutzenbewertung wie ein Zeugnis bei der Bewerbung: Wer besonders gute Referenzen hat, darf über sein Gehalt verhandeln. Wer keine Zusatzqualifikation vorweisen kann, wird nach Tarif – hier: Festbetrag – bezahlt. Allerdings: Wer durchfällt, wird auch erst einmal eingestellt – also in die Festbetragsgruppe aufgenommen: Medikamente mit geringerem Nutzen als die bereits auf dem Markt verfügbaren Präparate werden anderweitig aussortiert.