Pseudoephedrin: Herzinfarkt durch Erkältungsmittel? 04.09.2025 14:29 Uhr
Können frei verkäufliche Erkältungsmittel mit Pseudoephedrin bei dafür sensiblen Menschen Infarkte auslösen? Dieser Frage wollen Wissenschaftler:innen an der Uniklinik Hamburg-Eppendorf (UKE) nachgehen. Denn: Der Inhaltsstoff ist zwar fester Bestandteil von verschiedenen Erkältungskombis, weil er die Nase frei macht, aber es kann durchaus zu schweren Nebenwirkungen kommen. Das stellte auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) fest: „Pathophysiologisch ist der Zusammenhang der Koronarspasmen mit der Einnahme von Pseudoephedrin plausibel.“
Rezeptfrei erhältliche Erkältungsmittel mit Pseudoephedrin sollen Betroffenen helfen schnell wieder Durchatmen zu können. Die Substanz gehört zur Wirkstoffgruppe der indirekten Sympathomimetika. Bei Anwendung wird das Hormon Noradrenalin aus sympathischen Nervenendigungen freigesetzt. Darauf beruht der gefäßverengende Effekt – die Nase wird frei. Aber: Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder einzelne Berichte, dass nach Einnahme von Erkältungs-Präparaten Infarkte, Schlaganfälle oder andere akute schwere Ereignisse auftraten.
Forschungsarbeiten unter der Leitung von Professor Dr. Thomas Eschenhagen, Direktor des Instituts für Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie am UKE sollen nun zum Risiko einer Pseudoephedrineinnnahme aufklären. Die Studie mit dem Titel „Assoziation zwischen Einnahme von Pseudoephedrin-haltigen Erkältungsmitteln und Herzinfarkten“, wird unter anderem auch von der Deutschen Herzstiftung unterstützt.
Risikobewertung von Pseudoephedrin
„Gerade bei weit verbreiteten und rezeptfrei erhältlichen Erkältungsmitteln mit Pseudoephedrin ist eine fundierte Risikobewertung unerlässlich“, betont Professor Dr. Heribert Schunkert, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Bislang unzureichend untersuchte Nebenwirkungen sollen durch die Analyse besser eingeordnet werden können. „Wir wollen genau verstehen, für wen und unter welchen Voraussetzungen diese Mittel gefährlich werden könnten, um so gegebenenfalls Patienten besser zu schützen“, so die Experten.
Anstoss für die Studie sei auch der von der AkdÄ erst kürzlich berichtete tragischen Fall eines 42-jährigen Mannes. Der Patient hatte Aspirin Complex eingenommen und nur 30 Minuten später einen schweren Herzinfarkt erlitten, an dem er einige Tage später starb. Der Mann sei zuvor gesund gewesen und habe nicht an Herz-Kreislauf-Problemen gelitten, hieß es in dem Bericht. In einem Röntgenbild nach dem Infarkt seien aber diffuse Verkrampfungen der Herzkranzgefäße zu sehen gewesen.
Pseudoephedrin wirkt wie Kokain
„Dieser Fall war der Anlass, mich intensiver mit der Materie zu beschäftigen“, so Eschenhagen. „In der Literatur findet man seit Jahren ähnliche Fallberichte, oft bei zuvor völlig unauffälligen, häufig jungen Menschen.“ Als Pharmakologe sei für ihn der Zusammenhang von Koronarspasmen mit der Einnahme von Pseudoephedrin vollkommen plausibel: „Pseudoephedrin ist ein indirektes Sympathomimetikum, das – übrigens ähnlich wie Amphetamine, also etwa Ecstasy oder Kokain – zur Freisetzung des Neurotransmitters Noradrenalin führt“, erklärt er.
Die Präparate seien auch deshalb so beliebt, weil sie zusätzlich aufputschend wirken, so der Experte. Pseudoephedrin ist in vielen frei verkäuflichen Erkältungsmitteln enthalten: „Etwa in Aspirin Complex, Boxagrippal, Grippostad Complex, Grippal Complex Doppelherz, RatioGrippal, Wick Duogrippal, Rhinopront Kombi.“ Genaue Verkaufszahlen seien zwar nicht bekannt, doch es sei davon auszugehen, dass diese Präparate während einer Erkältungssaison allein in Deutschland hunderttausendfach genommen werden. „Eine Beliebtheit, die ich eher bedenklich sehe“, so Eschenhagen.
Seltene Gen-Konstellation?
Weil auch epidemiologische Studien keine statistisch nachweisbare ungünstige Wirkung von Pseudoephedrin auf das Herz-Kreislauf-System nachgewiesen haben, sei für ihn klar: „Diese schweren Nebenwirkungen müssen sehr selten sein. Eine naheliegende Erklärung ist, dass eine besondere seltene Gen-Konstellation existiert, die einzelne Menschen dafür besonders empfänglich macht.“ Nach genau dieser Gen-Konstellation wolle man suchen.
Dazu müssten zunächst Fälle, in denen es zu solchen schweren Nebenwirkungen gekommen ist, gefunden werden. „Das ist gar nicht so einfach, weil die Einnahme frei verkäuflicher Erkältungsmittel bislang nicht routinemäßig bei einer Medikamentenanamnese nach einem Herzinfarkt erfasst wird“, sagt Eschenhagen. Dies habe man am UKE aber nun geändert. „Dort wird seit einigen Monaten bei Patienten, die mit einem Infarkt eingeliefert werden, routinemäßig nach der Einnahme frei verkäuflicher Erkältungsmittel gefragt“, so der Experte. „Dafür wurde ein kurzer einseitiger Fragebogen, mit Bildern der in Frage kommenden Kombi-Präparate entwickelt. Ich möchte zudem gerne weitere Ärzte und Kliniken animieren, den Fragebogen zu nutzen, um so noch mehr Daten zu erhalten.“
Auch das eingelagerte Blut von Infarktbetroffenen wird am Universitären Herz- und Gefäßzentrum Hamburg des UKE auf Pseudoephedrin getestet. Verglichen werde dann mit einer Gruppe von Patient:innen, die aus anderen Gründen aufgenommen wurden. Die Frage. Unterscheidet sich die Häufigkeit eines Pseudoephedrin-Nachweises in den beiden Gruppen? „Vielleicht gibt es auch Infarktpatienten mit Pseudoephedrin-Nachweis, die Koronarspasmen hatten, und die man nun im Nachhinein noch genetisch testen könnte“, so Eschenhagen.
Gentest vor Pseudoephedrin-Einnahme
Das Studienziel sei, mindestens 20 Patienten zu finden, die nach Einnahme der Schnupfenmittel gefährlichen Gefäßspasmen erlitten haben. „Aber auch mit weniger Fällen – vielleicht nur drei bis fünf – ließen sich bereits Aussagen zum genetischen Risiko machen“, erklärt Eschenhagen. Er denkt: „Es könnte sich um Genvarianten handeln, die zu einer Überaktivität der gefäßverengenden Signalwege oder auch einer Fehlfunktion der gefäßerweiternden Signale führen.“ Gelänge es, solche Genvarianten zu identifizieren, könnten Menschen in Zukunft vielleicht einen Gentest machen, bevor sie zu den frei verkäuflichen Kombi-Erkältungsmitteln greifen, um gefährlichen Nebenwirkung vorzubeugen.
Bis dahin lautet sein Tipp: „Auch ASS, Ibuprofen oder Paracetamol allein können bei grippalen Infekten das Fieber senken und Gliederschmerzen lindern. Und Nasensprays mit den Wirkstoffen Oxy- oder Xylometazolin können die Nase wieder frei machen.“ Denn die zusätzlich aufputschende Wirkung von Pseudoephedrin in den Kombi-Präparaten sieht er ohnehin kritisch: „Es ist die Frage, ob es der Genesung förderlich ist, wenn man dank der Mittel seine Alltagsaktivitäten unvermindert fortsetzt und dann vielleicht sogar eine Herzmuskelentzündung riskiert.“