Paracetamol: Studie rüttelt an Sicherheit für Schwangere 20.08.2025 09:00 Uhr
Paracetamol gilt für Schwangere seit Jahren als sicheres Mittel gegen Schmerzen und Fieber. Doch eine neue systematische Übersichtsarbeit zeigt: Das Medikament könnte die Entwicklung des kindlichen Gehirns beeinträchtigen. Besonders problematisch erscheint die Einnahme im zweiten und dritten Trimenon.
Paracetamol gehört zu den am häufigsten verwendeten Schmerz- und Fiebermitteln in der Schwangerschaft. Über die Hälfte aller Frauen weltweit greift darauf zurück, weil es von Fachgesellschaften seit Jahren als unbedenklich eingestuft wird. Paracetamol gilt in allen drei Trimestern als Analgetikum und Antipyretikum der Wahl, sofern eine klare Indikation besteht und es in der niedrigsten wirksamen Dosis sowie nur so lange wie nötig angewendet wird.
Einzelne Beobachtungsstudien hatten bereits angedeutet, dass die Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft nicht völlig folgenlos bleiben könnte, beispielsweise eine 2022 veröffentlichte Arbeit, die ein erhöhtes Risiko für pränatale Exposition und spätere Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern zeigte. Immer wieder fanden Forschende Zusammenhänge mit Entwicklungsstörungen bei Kindern – andere Studien wiederum nicht.
Erhöhtes Risiko für ADHS und Autismus?
Forschende der Harvard T.H. Chan School of Public Health und weiterer Universitäten nahmen diese widersprüchlichen Hinweise nun zum Anlass, die bislang verstreuten Daten erstmals systematisch mit der Navigation-Guide-Methode auszuwerten. Vor diesem Hintergrund prüften sie, ob Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft Paracetamol eingenommen haben, ein erhöhtes Risiko für ADHS, Autismus-Spektrum-Störungen oder andere Entwicklungsstörungen zeigen. „Das sich entwickelnde Gehirn ist besonders anfällig für Umwelteinflüsse, da die Blut-Hirn-Schranke noch nicht vollständig ausgebildet ist“, betonen die Forschenden.
Dazu führten sie eine systematische Übersichtsarbeit durch. Grundlage war der Navigation Guide, ein strukturiertes Verfahren zur Bewertung von Gesundheitsrisiken. Zwischen dem 2. und 25. Februar 2025 durchsuchten sie systematisch die Datenbank PubMed, ergänzt durch Web of Science und Google Scholar. Von insgesamt 516 identifizierten Arbeiten erfüllten 46 die Kriterien für eine detaillierte Analyse.
Mehrheit der Studien zeigt erhöhtes Risiko
Die eingeschlossenen Studien waren sehr unterschiedlich angelegt. Kleine Kohorten mit wenigen Hundert Mutter-Kind-Paaren standen neben großen Registern mit Millionen Teilnehmenden. Die größte Arbeit, eine schwedische Registerstudie, erfasste fast 2,5 Millionen Kinder.
Die Auswertung ergab, dass 27 Studien einen Zusammenhang zwischen pränataler Einnahme und Entwicklungsstörungen fanden, 9 keinen Effekt und 4 sogar einen schützenden Zusammenhang. Besonders die methodisch stärkeren Studien, etwa mit Biomarker-Daten, wiesen auf ein erhöhtes Risiko hin. In Arbeiten, die den Zeitpunkt der Einnahme genauer betrachteten, zeigten sich die Zusammenhänge vor allem bei Paracetamol-Gebrauch im zweiten und dritten Trimenon. Hauptautor Diddier Prada betont, dass künftige, hochwertigere Studien den Zusammenhang voraussichtlich noch klarer bestätigen werden. Er warnt: „Aufgrund der weitverbreiteten Anwendung dieses Medikaments könnte bereits eine kleine Erhöhung des Risikos zu erheblichen Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit führen.“
Daraus leiten die Autorinnen und Autoren konkrete Empfehlungen ab: „Angemessene und sofortige Schritte sollten unternommen werden, um schwangere Frauen zu beraten, den Konsum von Paracetamol zu begrenzen“.
Die Studie mit dem Titel „Evaluation of the evidence on acetaminophen use and neurodevelopmental disorders using the Navigation Guide methodology“ wurde an der Harvard T.H. Chan School of Public Health, der University of California, Los Angeles sowie weiteren beteiligten Einrichtungen durchgeführt und in der Fachzeitschrift Environmental Health veröffentlicht.