Notfallschutzmaßnahme

Iodblockade: Schutz für die Schilddrüse Deniz Cicek-Görkem, 19.07.2017 14:24 Uhr

Berlin - 

Wenn Radionuklide aufgrund eines kerntechnischen Unfalls in die Umwelt gelangen, wird es gefährlich für den Menschen. Krebserkrankungen vor allem der Schilddrüse können die Folge sein. In einem solchen Fall ist die „Iodblockade“ als Notfallschutzmaßnahme von essenzieller Bedeutung. Da das belgische Kernkraftwerk Tihange im näheren Umkreis liegt, bereitet sich die Region Aachen auf eine mögliche Katastrophe vor: Ab dem 1. September können Bürger kostenfrei Iodtabletten über die Apotheke beziehen.

Mithilfe von Kernreaktoren werden Spaltprodukte von schweren Atomkernen erzeugt, bei diesem Prozess wird viel Energie freigesetzt. Zu diesen Produkten gehören verschiedene radioaktive Isotope des Iods. Das Halogen ist auch von biologischer Bedeutung, denn es wird im Rahmen physiologischer Prozesse in die Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3) eingebaut. Aufgrund hoher Temperaturen in den Kernreaktoren liegt Iod im gasförmigen Zustand vor. Bei einem Unfall wird das radioaktive Iod in die Umwelt abgegeben. Der Stoff wird vom Menschen pulmonal resorbiert. Außerdem kann eine Aufnahme über die Nahrungskette erfolgen.

Das radioaktive Iod verhält sich im Organismus wie stabiles Iod und führt unter anderem zu einer Akkumulation in der Schilddrüse. Das Ausmaß der Speicherung richtet sich nach der Funktionsfähigkeit des Organs. Bei einer Euthyreose hängt es insbesondere davon ab, wie viel Iod in der Nahrung zur Verfügung steht – je geringer das Iodangebot, desto mehr wird gespeichert. Das bei einem Unfall freigesetzte Iod induziert die Bildung von Schilddrüsenkarzinomen; vor allem Kinder sind gefährdet. Als Notfallschutzmaßnahme werden Iodtabletten eingesetzt, die die Schilddrüse sättigen. Somit wird verhindert, dass die radioaktive Substanz vom Körper aufgenommen wird. Man spricht von einer „Iodblockade“.

Ab dem 1. September beginnt im Raum Aachen sowie in den Kreisen Düren, Euskirchen und Heinsberg die vorsorgliche Verteilung von Iodtabletten. Die Bürger können sich über ein Onlineportal der Kommune, das noch freigeschaltet wird, anmelden und einen sogenannten Bezugsschein beantragen. Anschließend können die Tabletten in einer Apotheke abgeholt werden. Die Liste der teilnehmenden Apotheken ist auf der Website der Kammer Nordrhein einsehbar. Sowohl das Umweltministerium als auch die Kammer weisen darauf hin, dass diese Tabletten vorsorglich verteilt werden und erst nach Aufforderung durch die Katastrophenschutzbehörde eingenommen werden dürfen.

Zur Verfügung steht „Kaliumiodid Lannacher“ von G.L. Pharma; die Tabletten sind für die Iodblockade bei einem Kernreaktorunfall zugelassen und rezeptfrei erhältlich (PZN 5556222). In einer Tablette sind 65 mg Kaliumiodid enthalten, was einer Menge von 50 mg Iodid entspricht. Eine unsachgemäße Verwendung im Ernstfall kann zu einer Einlagerung von radioaktivem Iod im Körper führen.

Laut Umweltministerium ist der Schutz am wirksamsten, wenn die Tabletten kurz vor oder gleichzeitig mit dem Einatmen von radioaktivem Iod eingenommen werden. Eine spätere Einnahme verringere den möglichen Schutz. Die erstmalige Einnahme sollte jedoch nicht später als einen Tag nach der Aufnahme von radioaktivem Iod erfolgen, da eine so späte Anwendung eher schädlich sei.

Nach der Strahlenschutzkommission ist neben dem Zeitpunkt der Verabreichung die Menge des stabilen Iods entscheidend für die Reduktion der Speicherung radioaktiven Jods. Die Blockade muss möglichst vollständig sein, daher ist eine anfänglich hohe Plasmakonzentration an stabilem Iodid unabdingbar. Dies sei mit einer Dosis von 130 mg Kaliumiodid zu erreichen, ohne das gastrointestinale Nebenwirkungen auftreten. Eine Verringerung der Dosis reduziere eventuelle Nebenwirkungen nicht. „Eine Erhöhung wäre nicht schädlich, erbringt aber keine weitere nennenswerte Verringerung der Strahlenbelastung“, heißt es in der Empfehlung.

Die Tabletten können geschluckt oder in etwas Flüssigkeit aufgelöst werden. In der Regel ist eine einmalige Einnahme ausreichend, die nicht auf nüchternen Magen erfolgen sollte. Die Behörde beziehungsweise der Arzt können in Ausnahmefällen die Dosis erhöhen. Bei Neugeborenen ist die Tabletteneinnahme auf einen Tag, bei schwangeren und stillenden Frauen auf zwei Tage zu beschränken.

Die Dosierung richtet sich nach dem Lebensalter. Ab 45 Jahren wird die Einnahme der Tabletten nicht mehr empfohlen, da mit zunehmendem Alter häufiger Stoffwechselstörungen in der Schilddrüse auftreten. Eine solche sogenannte funktionelle Autonomie erhöht das Risiko der Nebenwirkungen einer Iodblockade. Außerdem nimmt mit steigendem Lebensalter das Risiko einer malignen Schilddrüsenkarzinoms, die durch Strahlung verursacht wird, stark ab. Für Schwangere gilt diese Altersbegrenzung nicht.

Schwangere, Stillende sowie Personen zwischen 13 und 45 Jahren nehmen in Zusammenhang mit einem Reaktorunfall zwei Tabletten ein. Dadurch werden 130 mg Kaiumiodid zugeführt; dies entspricht einer Menge von 100 mg Iodid. Säuglinge unter einem Monat sollen ein Viertel der Tablette einnehmen. Vom ersten bis zum 36. Lebensmonat wird eine halbe Tablette genommen. Kinder ab drei bis unter 13 Jahren sollen eine Tablette mit 65 mg Kaliumiodid schlucken.

Die Tabletten dürfen nicht eingenommen werden, wenn eine Schilddrüsenüberfunktion, Überempfindlichkeit gegenüber Iod oder der sonstigen Bestandteile der Tabletten, Dermatitis herpetiformis Duhring sowie eine hypokomplementämische Vaskulitis vorliegen. Zu den bekannten Nebenwirkungen zählen Schilddrüsenüberfunktion, dazu gehörend erhöhter Puls, Schweißausbrüche und Gewichtsabnahme. In seltenen Fällen kann erstmals eine Iodallergie auftreten.

Damit die Bevölkerung mit Kaliumiodid-haltigen Arzneimitteln bei Kernreaktorunfällen versorgt werden kann, wurde 2003 die Kaliumiodidverordnung (KIV) erlassen. Diese regelt den Umgang mit der Substanz im Katastrophenfall und beinhaltet mehrere Ausnahmen vom Arzneimittelgesetz (AMG).

Demnach können die Bundeswehr, die Bundespolizei sowie weitere Bereitschaftspolizeien der Länder das Arzneimittel von Herstellern und Großhändler beziehen, vorrätig halten und zum Endverbrauch abgeben. Weiterhin müssen Arzneimittel, die zu diesem Zweck eingesetzt werden, kein Verfallsdatum auf den Behältnissen, den äußeren Umhüllungen und den Durchdrückpackungen aufweisen. Die Angabe auf den Begleitpapieren ist hier ausreichend.