Heißhunger: Zentralschalter im Gehirn 09.10.2025 08:03 Uhr
Forschende der Universität Leipzig und der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben einen Mechanismus im Gehirn entdeckt, der Hunger und Sättigung gezielter steuert als bisher bekannt. Ein Protein namens MRAP2 verstärkt die Aktivität des Rezeptors, der für die Appetitkontrolle entscheidend ist und unter anderem von Setmelanotid beeinflusst wird. Dadurch kann das Gehirn echte Hungersignale klarer von äußeren oder gedanklichen Reizen unterscheiden.
Appetit und Energieverbrauch im Körper werden unter anderem durch den Melanocortin-4-Rezeptor, kurz MC4R, gesteuert. Funktioniert dieser Rezeptor nicht richtig, kann das zu Übergewicht und Stoffwechselproblemen führen. Forschende haben nun einen Mechanismus entdeckt, der das Gehirn gezielt dabei unterstützt, Hungergefühle zu steuern.
Die Studie entstand im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1423 „Strukturdynamik der GPCR-Aktivierung und Signalweiterleitung“, einem interdisziplinären Projekt, das untersucht, wie bestimmte Rezeptoren Signale im Körper weiterleiten und regulieren.
Der zentrale Regulator des Hungers
Zentral für die Entdeckung ist das Protein MRAP2. Es bindet an den MC4R-Rezeptor und verstärkt dessen Aktivität: Signale über Hunger und Energieverbrauch werden stärker weitergegeben, der Rezeptor bleibt länger an der Zelloberfläche und reagiert besser auf entsprechende Signale.
Darüber hinaus sorgt MRAP2 dafür, dass der MC4R einzeln statt in Paaren vorliegt, was die Signalwirkung verändert. MRAP2 spielt damit eine zentrale Rolle bei der Appetitkontrolle, und Störungen an diesem Protein können erklären, warum Übergewicht entsteht. MC4R wird durch das Peptidhormon MSH aktiviert, und Veränderungen am Rezeptor zählen zu den häufigsten genetischen Ursachen für starke Fettleibigkeit.
Im Unterschied zum psychologischen Phänomen Food Noise, bei dem Gedanken an Essen und externe Reize das Essverhalten beeinflussen, steuert MRAP2 die physiologische Sättigung über den MC4R-Rezeptor. Durch die Verstärkung der Sättigungssignale kann das Gehirn klarer zwischen echtem Hunger und äußeren oder gedanklichen Reizen unterscheiden.
Neue Wege zur Appetitkontrolle
Projektleiter Dr. Patrick Scheerer erklärt: „Die Kenntnis der 3D-Strukturen des aktiven Rezeptors in Interaktion mit Liganden und Wirkstoffen wie Setmelanotid, die wir in einer früheren Studie entschlüsseln konnten, hat es uns ermöglicht, die neuen funktionellen Daten besser zu verstehen.“ Setmelanotid ist ein zugelassener Wirkstoff, der den Rezeptor aktiviert und das Hungergefühl gezielt reduziert.
Mit moderner Mikroskopie konnten die Forschenden zeigen, wie MRAP2 die Position und das Verhalten des MC4R in den Zellen verändert. MRAP2 sorgt dafür, dass der Rezeptor besser zur Zelloberfläche gelangt, wo er Signale zur Appetitkontrolle besonders wirksam weiterleitet. Gleichzeitig bindet weniger von dem Protein β-Arrestin2, das normalerweise Rezeptoren von der Oberfläche entfernt, sodass die Signale länger anhalten.
Professor Dr. Heike Biebermann, Projektleiterin am SFB 1423, betont: „Diese interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit ermöglichte es uns, mit unterschiedlichen Ansätzen wichtige neue Aspekte der Appetitregulation zu entdecken, die auch therapeutisch relevant sind.“
Die Studie mit dem Titel „MRAP2 modifies the signaling and oligomerization state of the melanocortin-4 receptor“ wurde am Max-Delbrück-Center for Molecular Medicine in Berlin sowie an mehreren internationalen Partnerinstitutionen durchgeführt und in „Nature Communications“ veröffentlicht.