Insbesondere junge Erwachsene betroffen

Generation Kopfschmerz: Bildschirmstress als Trigger 23.06.2025 08:55 Uhr

Berlin - 

Die klassischen Trigger für Kopfschmerzen und Migräne haben sich verändert: Das zeigt eine aktuelle Umfrage unter mehr als 3000 Betroffenen. Neben bekannten Auslösern wie Stress, Schlafmangel und unregelmäßigen Mahlzeiten gewinnen nun auch digitale Mediennutzung und Umweltfaktoren wie der Klimawandel stark an Bedeutung – vor allem bei jungen Menschen.

Kopfschmerzen beginnen heute nicht nur früher im Leben, sondern treten auch häufiger auf und beeinträchtigen den Alltag intensiver als noch vor wenigen Jahrzehnten. Laut dem Schmerzmediziner Dr. Jan-Peter Jansen aus Berlin sind die weltweiten Fallzahlen seit 1992 deutlich gestiegen: „Die Inzidenz nahm um 35 Prozent, die Prävalenz um 39 Prozent und die durch Kopfschmerzen verursachten belasteten Lebensjahre sogar um 41 Prozent zu.“ Besonders betroffen sei die Altersgruppe der 21- bis 29-Jährigen. Das zeige eine aktuelle Umfrage unter mehr als 3000 betroffenen Frauen und Männern deutlich, erklärt er.

Diese Entwicklung werde laut der Analyse auch durch neue Einflussfaktoren wie die intensive Nutzung digitaler Medien und klimatische Veränderungen mitbestimmt. Insbesondere der hohe Medienkonsum junger Erwachsener zeigt deutliche Auswirkungen. Die Kopfschmerzwahrscheinlichkeit in einer Schüler- und Studentengruppe, die während der Corona-Pandemie digital unterrichtet wurde, nahm mit der Zeitdauer des Online-Unterrichts kontinuierlich zu. Heißt konkret: Von denjenigen, die über 12 Monate digital arbeiteten, entwickelten ganze 86 Prozent laut Umfrage Kopfschmerzen, Migräne oder beides.

Bildschirme und Medienkonsum

Auch die Zahl der Bildschirme steigere den Druck: „Beruflich dominieren Laptop und Tablet, privat sind es Smartphone und Fernseher“, so das Fazit der Umfrage. In der Altersgruppe zwischen 18 und 29 Jahren sei die Gerätedichte besonders hoch. Den Umfrage-Teilnehmer:innen sei dies bewusst: Im Kopfschmerz- und Migräne-Report gaben demnach 64 Prozent der 18- bis 29-Jährigen an, dass ihre Kopfschmerzen beziehungsweise Migräne durch den Medienkonsum negativ beeinflusst würden.

„Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass die häufige Nutzung von Smartphone und Tablet den Kopf stärker belastet als Computerarbeit oder Fernsehen“, so die Autoren. „Eine Überanstrengung der Augen sowie eine verspannte Nackenmuskulatur könnten hier eine Rolle spielen.“ Hinzu komme die psychische Belastung durch permanente Informationsflut und verunsichernde Nachrichten. „Wir sind tatsächlich einem ‚Dauerbeschuss‘ von negativen Informationen ausgesetzt. Dauerstress führt zu einem Teufelskreis – und eben auch zu Kopfzerbrechen“, stellt Jansen fest.

Zudem sorgen Kopfschmerzen für Einschränkung auf mehreren Ebenen, wie die Befragung zeigt. 46 Prozent gaben an, unter Konzentrationsproblemen zu leiden; 43 Prozent fühlten sich bei körperlicher Aktivität eingeschränkt und 41 Prozent waren weniger psychisch belastbar. Auch die Schlafqualität ist bei 40 Prozent betroffen.

Das soziale Miteinander ist ebenfalls von Kopfschmerzen und Migräne beeinträchtigt. Über die Hälfte (52 Prozent) kann Verabredungen nicht wie gewünscht wahrnehmen, 49 Prozent gaben an, ihre sozialen Beziehungen nicht aktiv pflegen zu können. Häufige Schmerzen würden demnach zu Rückzugstendenzen führen, die oft unfreiwillig seien.

Als kopfschmerzauslösende Ursachen werden auch steigende Temperaturen, Wetterwechsel und Feinstaubbelastung von den Betroffenen genannt. Besonders auffällig: Die Sensibilität junger Menschen gegenüber klimatischen Veränderungen. So meinen 39 Prozent der 18- bis 29-jährigen Befragten, dass steigende Temperaturen ihre Beschwerden verstärken. Von den 40- bis 49-Jährigen sagen das 27 Prozent und in der Gruppe der ältesten Umfrageteilnehmer (70 bis 79 Jahre) nur 19 Prozent. „Aktuelle Studien belegen, dass die Klimaerwärmung zu einer deutlichen Zunahme von Kopfschmerzen führt“, erklärt Jansen. „Bleibt die Frage, wie sich den Herausforderungen individuell begegnen lässt.“

Sport, Schlaf, Ernährung

Ein zentraler Baustein in der Vorbeugung bleibe die Lebensstilmodifikation. Laut Report setzen 53 Prozent der Betroffenen auf Basiselemente wie ausreichenden Schlaf, regelmäßige Mahlzeiten (49 Prozent), Flüssigkeitszufuhr (57 Prozent) und 49 Prozent wählen Bewegung an der frischen Luft als Präventionsmaßnahme. Positiv zu bewerten sei laut Report, dass bei allen Präventionsansätzen die große Mehrheit zumindest einen gewissen Effekt bemerke. Das zeige, dass es schon einen Vorteil bringe, überhaupt tätig zu werden.

„Eine Veränderung des Lebensstils sowie das regelmäßige Führen eines Kopfschmerzkalenders sind niedrigschwellige und wirksame Einstiegsmaßnahmen. Sie ermöglichen Patienten, erste Auslöser zu erkennen und aktiv Einfluss zu nehmen“, sagt Benjamin Schäfer, leitender Physiotherapeut der Migräne- und Kopfschmerzklinik Königstein. „In der Praxis ist es entscheidend, gemeinsam mit dem Patienten herauszufinden, welches Verfahren individuell passt.“ Großes Potenzial sehe er neben dem Einsatz psychologischer Verfahren wie Biofeedback und Entspannungstechniken auch im Sport und in physiotherapeutischen Übungen. „Die beste Evidenz liegt für die allgemeine Empfehlung aeroben Ausdauersports ohne weitere Angaben sowie für das moderat-intensive kontinuierliche aerobe Ausdauertraining mit einer Herzfrequenz von 64-76 Prozent der maximalen Herzfrequenz vor“, erläutert Schäfer.

Bei Patienten, die zusätzlich unter Nacken- oder Kieferschmerzen litten, erwiesen sich physiotherapeutische Übungen und manuelle Techniken als besonders hilfreich, so der Experte. Medikamente können gezielt unterstützen, insbesondere wenn der Kopfschmerz akut wird, spielen medikamentöse Behandlungsoptionen eine wichtige Rolle. Unter den rezeptfreien Schmerzmitteln haben sich Kombinationspräparate mit Koffein besonders bewährt. „Das Koffein vermittelt über einen intrazellulären Prozess eine raschere Wirkung der Kombinationspräparate und erzeugt in einer gemeinsamen Aktion einen 'überadditiven Effekt'“, erläutert Jansen die Wirkweise. „Man kann also die eigentlichen Wirkstoffmengen geringer halten und dennoch eine sehr gute Wirkung erzielen – und das bei guter Verträglichkeit.“