Epidemiologie

Massentest für Viren dpa, 05.06.2015 11:35 Uhr

Boston/Ulm - 

Viren hinterlassen nach einer Infektion Spuren in Form von Antikörpern im Blut. Mit einem neuen Verfahren können Forscher nun besonders effektiv nach diesen Spuren fahnden. „Wir haben eine Screening-Methode entwickelt, um im Blutserum von Menschen in die Vergangenheit zu schauen und zu sehen, welchen Viren sie ausgesetzt waren“, teilte Professor Dr. Stephen Elledge von der Harvard Medical School in Boston mit. Bei klassischen Blutanalysen kann nur nach einem Erreger auf einmal gesucht werden, bei „VirScan“ hingegen sei dies simultan für Hunderte Viren möglich.

Das internationale Forscherteam um Elledge untersuchte mit dem neuen Test Blutproben von knapp 600 Menschen aus verschiedenen Ländern. Die Wissenschaftler präsentieren ihre Ergebnisse im US-Journal „Science“.

Elledges Team machte sich das Prinzip der Antikörper-Epitop-Bindung zunutze. Zunächst schleuste es DNA-Abschnitte von zahlreichen Viren in Bakteriophagen ein. Die Phagen wandelten die Erbgut-Informationen in virale Eiweiße um, die sie an ihrer Oberfläche zeigten.

Nun wurden die Phagen mit einer Blutprobe eines Patienten in Kontakt gebracht. Hatte sich der Patient früher mit einem bestimmten Virus infiziert, etwa HIV, so befanden sich Antikörper gegen das Virus im Blut. Diese Antikörper dockten an die Phagen mit HIV-Proteinen.

Alle Phagen ohne gebundenen Antikörper wurden im nächsten Verfahrensschritt entfernt. Zuletzt analysierten die Forscher das Erbgut der verbliebenen Phagen. So konnten sie nicht nur herausfinden, mit welchen Viren sich der Patient infiziert hatte, sondern auch, an welches Viren-Epitop die Antikörper gebunden hatten.

Die Experten untersuchten so Blutproben von 569 Menschen aus den USA, Südafrika, Thailand und Peru. Dabei konnten sie Trends ausmachen: „Im Schnitt entdeckten wir Antikörper gegen zehn Virusarten pro Person“, schreiben die Forscher. Bei Kindern wurden in der Regel weniger Antikörper nachgewiesen, was sich den Autoren zufolge dadurch erklären lässt, dass sie einigen Keimen noch nicht ausgesetzt waren – etwa dem Herpesvirus 2, das vor allem sexuell übertragen wird.

Bei HIV-Positiven konnten die Wissenschaftler überdurchschnittlich viele Antikörper gegen verschiedene Viren nachweisen. Dies sei etwa dadurch erklärbar, dass immungeschwächte HIV-Infizierte anfälliger für Co-Infektionen mit anderen Keimen seien.

Wenig erfolgreich zeigte sich das Verfahren beim Nachweis von Antikörpern gegen besonders kleine Viren. Auch Antikörper gegen das Grippe-Virus oder den Polio-Erreger wurden verhältnismäßig selten entdeckt – obwohl ein Großteil der Bevölkerung im Laufe des Lebens diesen Viren durch eine Infektion oder Impfung ausgesetzt ist.

Der Präsident der Gesellschaft für Virologie, Professor Dr. Thomas Mertens, lobt die Methode: „Das ist eine aufwendige, beeindruckende Technik, mit der Möglichkeit, wenn man sie weiterentwickelt, große epidemiologische Studien zu machen“, sagt Mertens, der am Universitätsklinikum Ulm arbeitet. „Für den praktischen klinischen Alltag sehe ich derzeit noch keinen Nutzen.“

Der Virologe weist auch auf Schwächen der Studie hin: Zum einen seien die Ergebnisse nicht sonderlich überraschend. „Wie viele Menschen in unterschiedlichen Populationen und Regionen haben Antikörper gegen welche Viren? Dass es hier große Unterschiede gibt wissen wir schon seit langem.“ Auch die Probandenzahl von 569 Patienten aus vier Kontinenten sei „sehr limitiert“.

Ein Nachteil sei auch, dass durch „VirScan“ nur sogenannte lineare Epitope erfassbar seien und nicht die weitaus komplexeren diskontinuierlichen Epitope. „Es gibt schon eine gewisse Selektion, die mit diesem Verfahren verbunden ist“, sagt der Experte. Epitope bestehen aus Proteinen, die wiederum aus Aminosäuren bestehen. Mit linearen Epitopen sind Oberflächeneiweiße gemeint, die aus einer Sequenz direkt aufeinanderfolgender Aminosäuren bestehen.

„Dieser Test ist nicht gedacht für die Diagnostik individueller Infektionen. Es geht um Seroepidemiologie“, sagt Mertens. Den Autoren zufolge kann die Methode in Zukunft vielleicht dabei helfen, nach Zusammenhängen zwischen der Verbreitung von Viren und dem Auftreten bestimmter Krankheiten zu suchen.