Antikörper als Therapiedurchbruch

Blinatumomab: Ohne Chemo gegen Leukämie Alexandra Negt, 30.11.2020 08:59 Uhr

Blinatumomab (Blincyto, Amgen) zeigt fünf Jahre nach der Zulassung einen deutlichen Zusatznutzen bei der Behandlung der akuten lymphatischen Leukämie als Chemotherapie-freier Therapieansatz. Foto: donfiore/shutterstock.com
Berlin - 

Blinatumomab ist ein Antikörper, der als Chemotherapie-freie, zielgerichtete Therapie zur Behandlung der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) angewendet werden. Der Hersteller Amgen vertreibt den Wirkstoff unter dem Namen Blincyto. Das Arzneimittel erhielt 2015 die Zulassung. Fünf Jahre später zeigt der Antikörper einen deutlichen Zusatznutzen bei Erwachsenen und Kindern bei der Behandlung der akuten lymphatischen Leukämie.

2015 erhielt Amgen für den Wirkstoff Blinatumomab die Zulassung. Das Fertigarzneimittel Blincyto wird zur Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit akuter lymphatischer Leukämie (ALL) eingesetzt. Der Antikörper wirkt als „Adapter“ zwischen Krebs- und T-Zelle. Die aktivierten Abwehrzellen erkennen die schädlichen Zellen und können sie zerstören. Über die Brücke werden zytotoxische Proteine von der T-Zelle in die Tumorzelle geleitet, die dort die Apoptose, den programmierten Zelltod, auslösen. Entwickelt wurde der Wirkstoff von deutschen Forschern: 2008 hatte die Gruppe um Professor Dr. Patrick Baeuerle Blinatumomab entwickelt. Mittlerweile besitzt Amgen die Vertriebsrechte.

Fünf Jahre nach der Zulassung zeigt sich ein deutlicher Zusatznutzen unter der Anwendung des Antikörpers. Professor Dr. Peter Kufer, Geschäftsführer bei Amgen, stellte die positiven Ergebnisse aus Studien der letzten fünf Jahre auf einer Pressekonferenz vor. Vorgestellt wurden Ergebnisse der Tower-, der Blast- und der Rialto-Studie. Die klinische Phase-III der Tower-Studie war Grundlage für die Zulassung. In die Studie wurden 405 Probanden miteingeschlossen. 271 Probanden erhielten Blinatumomab, 134 erhielten eine chemotherapeutische Standardtherapie. Die Patienten der Antikörper-Gruppe zeigten mit 7,7 Monaten ein signifikant erhöhtes Gesamtüberleben im Gegensatz zur Standardtherapie-Gruppe mit 4 Monaten. Diese Ergebnisse führtenzu einem vorzeitigen Studienabbruch.

In der Blast-Studie wurde die Rezidivquote näher untersucht. Im Fokus hierbei stand die MRD-Negativität. MRD steht für minimale Resterkrankung (minimal residual disease) und bezeichnet eine geringe Anzahl verbleibender Tumorzellen nach einer Behandlung. Von MRD-Negativität spricht man, wenn mit speziellen Methoden keine Tumorzellen mehr im Blut oder Knochenmark detektiert werden können. Die Patienten zeigten in erster und zweiter Remission eine MRD von mindestens 1 Prozent. Nach ein bis zwei Behandlungszyklen wurde eine 80-prozentige MRD-Negativität erreicht. Das geschätzte 5-Jahres-Gesamtüberleben lag bei 43 Prozent und unter MRD-Negativität bei 50 Prozent. Das Gesamtüberleben lag im Mittel bei 36,5 Monaten.

Die Rialto-Studie diente der Zulassungserweiterung für Kinder. Innerhalb der Studie wurden Kinder mit spezieller ALL über bis zu fünf Zyklen mit Blinatumomab therapiert. Die Nebenwirkungen waren gering. Die gefürchtete Nebenwirkung Zytopenie zeigte sich bei 9 Prozent der Probanden. Neurologische Ergebnisse traten bei 4 Prozent der Kinder auf. Ein Zytokin-Freisetzungssyndrom erlitten 2 Prozent. Bereits nach zwei Zyklen zeigte sich bei knapp 60 Prozent der Kinder eine komplette Remission. Eine molekulare Remission konnte bei 80 Prozent der Patienten nachgewiesen werden.

Erfolgsversprechend ist Blincyto vor allem bei Patienten mit ALL die auf herkömmliche Chemotherapie nicht ansprechen oder einen Rückfall erleiden. Etwa 50.000 Patienten in Europa sind davon betroffen. Der Antikörper wirkt als „Adapter“ zwischen Krebs- und T-Zelle. Die aktivierten Abwehrzellen erkennen die schädlichen Zellen und können sie zerstören. Über die Brücke werden zytotoxische Proteine von der T-Zelle in die Tumorzelle geleitet, die dort die Apoptose, den programmierten Zelltod, auslösen.

Als ALL wird eine spezielle Form der Leukämie bezeichnet. Bei der akuten lymphatischen oder lymphoblastischen Leukämie geht die Erkrankung von bösartig entarteten Vorläuferzellen der Lymphozyten aus. In der Regel kommt es dabei zu einer rasch fortschreitenden Knochenmarkinsuffizienz, das heißt zu einer Verminderung der Knochenmarkfunktion und somit zu einem geschwächten Immunsystem. Eine weitere Form der Leukämie ist die akute myeloische Leukämie, kurz AML. Ungefähr einer von 10.000 Menschen in der EU ist betroffen. Eine myeloische Zelle – eine unreife Vorstufe der roten oder Blutkörperchen und Blutplättchen – entartet und vermehrt sich unkontrolliert. Die entarteten Zellen vermehren sich schnell und stören die Bildung der gesunden Blutkörperchen.