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Verbandsgründung: Die syrischen Apotheker in Deutschland organisieren sich APOTHEKE ADHOC, 08.08.2021 07:57 Uhr

Ankommen und sich engagieren: Ahmad Yaser Baki sitzt im Vorstand der „Syrischen Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland“. Foto: Ahmad Yaser Baki
Berlin - 

Der Fachkräftemangel ist akut. Der Zuzug von Menschen, die vor dem syrischen Bürgerkrieg geflüchtet sind, scheint da immer mehr Abhilfe zu schaffen: Mehr als 2000 Apotheker aus Syrien haben mittlerweile eine Approbation, schätzt die „Syrische Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland“. Der Verband wurde neu gegründet und will nicht nur die Vernetzung untereinander fördern, sondern auch neu angekommenen Medizinern und Pharmazeuten beim Weg zur Anerkennung der Approbation helfen. Apotheker und Ärzte aus Syrien stellen hierzulande immer mehr selbst auf die Beine.

Der Weg zur Approbation ist schwer – das gilt noch ungleich mehr, wenn man gerade eine traumatische Flucht hinter sich hat, in einem Land ankommt, dessen Sprache man erst lernen und sich dann mit der dortigen Bürokratie herumschlagen muss. Umso mehr können Menschen mit denselben Erfahrungen helfen, Fuß zu fassen – was im Falle händeringend gesuchter qualifizierter Akademiker wie Apotheker und Ärzte umgekehrt auch der aufnehmenden Gesellschaft einen enormen Dienst erweisen kann. Der Weg in die Offizin, Praxis oder Klinik kann dadurch spürbar erleichtert oder verkürzt werden. Genau das haben die Gründer der „Syrische Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland“ vor.

„Mittlerweile gibt es viele syrische Apotheker in Deutschland und das Gute an unserer Gemeinschaf ist, dass wir viele hilfsbereite Leute haben, die sich gegenseitig und uns unterstützen“, sagt Gründungsmitglied Ahmad Yaser Baki. Er und seine Mitstreiter schätzen die Zahl der syrischen Apotheker in ihrem Netzwerk auf mehr als 2000. „Wir wollen vielleicht in der Zukunft auf die Abda oder die Bundesapothekerkammer zugehen und schauen, ob wir irgendwie Zahlen erheben können, wie viele es genau sind.“

Baki ist einer der geschätzt 2000. Seit sechs Jahren ist er in Deutschland, an seiner Sprache merkt man aber kaum, dass er nicht schon viel länger hier lebt: Das Vokabular ist exakt, die Grammatik nahezu fehlerfrei. Dabei musste auch er sich durchbeißen. „Ehrlich gesagt war es am Anfang nicht leicht. Es war sehr viel Bürokratie. Die erste Zeit war nicht besonders schön, man hätte es leichter machen können“, erzählt er. „Ich musste erst eine Sprachprüfung ablegen und es war sehr schwer, die Fachsprache zu lernen. Ich habe dann ein Jahr Praktikum in einer Apotheke in Wuppertal gemacht, da hat mir ein deutscher Kollege geholfen und mir viel vermittelt.“ Er hat es geschafft, seit März 2019 hat er die deutsche Approbation und arbeitet nun fest angestellt in der Pinguin-Apotheke in Wuppertal.

Und es ist nicht nur die Sprache, auch der Arbeitsalltag brachte viele Neuerungen mit sich. „Es gibt große Unterschiede zwischen deutschen und syrischen Apotheken“, sagt Baki. „In Syrien spielen die Gesetzlichen Krankenkassen keine große Rolle. Es gibt keine Versicherungspflicht und viele Patienten zahlen selbst. Deswegen sind wir unabhängiger von den Regelungen der Krankenkassen, Sachen wie der Rahmenvertrag oder Rabattverträge gibt es da nicht.“ In Syrien entscheide immer der Arzt oder der Apotheker, welches Präparat genau abgegeben wird, deshalb müsse auch die Industrie eher Marketing bei Apotheken und Ärzten machen, statt mit Krankenkassen zu verhandeln. Auch eine Niederlassungsfreiheit gebe es in Syrien nicht. Übernahmen seien deshalb fast nur möglich gewesen, wenn ein Inhaber in den Ruhestand geht oder aus anderen Gründen aufhört. Auch das System regelmäßiger Nacht- und Notdienste sei nur in Ansätzen vorhanden, stattdessen gebe es meist eine Art Zentralapotheke, die fast immer für die Notversorgung zuständig ist.

Was sich jedoch kaum unterscheide: die Arzneimittel. „In Deutschland war sich mein Chef am Anfang nicht sicher, was ich weiß und was nicht. Deshalb hat er mir alles erklärt, dieses Medikament und dieses Medikament. Ich habe dann immer gesagt, dass ich das kenne. Wir haben doch die gleichen Medikamente in Syrien“, erzählt er. Natürlich würden sich die Leitlinien unterscheiden – in Syrien orientiere man sich eher an den amerikanischen statt an europäischen Leitlinien, sagt er. „Aber das kann man ja lernen, es ist ja nicht grundlegend unterschiedlich.“

Aber es zeigt: Der Teufel steckt im Detail. Und vor allem das bürokratisierte Apothekenwesen in Deutschland ist voller Details. Deshalb haben Baki und seine Mitstreiter sich organisiert, um den syrischen Apothekern in Deutschland nicht nur unter die Arme zu greifen, sondern sie auch auf dem Laufenden zu halten: Auf Facebook betreibt ein Team von sieben Leuten die „Syrische Apotheker Zeitung“, eine Seite, die aktuelle Nachrichten, vor allem zu Gesetzesänderungen, neuen Regeln, aber auch aktuelle pharmazeutische Erkenntnisse, auf Arabisch aufbereitet. „Im Team sind nur Apotheker, die in öffentlichen Apotheken arbeiten. Wenn es beispielsweise wichtige Meldungen von Kammern, Verbänden, dem Bundesgesundheitsministerium oder von Fachmedien kommen, dann schreiben sie kurze Artikel, in denen sie die wichtigsten Neuerungen und Änderungen auf Arabisch erklären.“

Natürlich muss jeder Apotheker eine Fachsprachenprüfung ablegen und ohnehin Deutsch sprechen – doch wie kompliziert es ist, Ankündigungen in verquastem Amtsdeutsch schnell bis ins Detail zu verstehen, kann auch jeder Muttersprachler nachvollziehen, dem es oft nicht viel anders geht. Ein Thema im Zweifelsfall nochmal in der Muttersprache nachzulesen, gebe vor allem denen zusätzliche Sicherheit, die noch nicht so lange Deutsch sprechen, sagt Baki: „Manchmal ist es ja auch uneindeutig oder geht sehr schnell, wie bei der Abgabe der FFP2-Masken. Dann ist das sehr nützlich, wenn mehrere Leute Informationen sammeln und das dort verständlich zusammentragen.“

Das Informationsangebot geht aber über eine Facebookseite hinaus: Mittlerweile bieten Baki und seine Kollegen eigene Webinare auf Arabisch. Auf einem eigenen YouTube-Kanal stellen sie mittlerweile mehrere jeweils rund zweistündige Videoseminare zu verschiedenen Themen aus dem Apothekenalltag von Retaxationen bis zur Arbeit im Sterillabor. „Wir planen, das Angebot nach Corona zu erweitern und wollen dann in verschiedenen Städten echte Seminare zu unterschiedlichen Themen wie Übernahmen, der Arbeit als Filialleiter oder klinischer Pharmazie anbieten.“

Wer auf die Vor-Ort-Seminare nicht warten will, wird darüber hinaus bald schön die Möglichkeit haben, diese Themen auf Arabisch nachzuschlagen. „Wir arbeiten derzeit an einem elektronischen Buch. Es wird ein Ratgeber für die Approbation in Deutschland, der praktische Tipps und Erklärungen für Kollegen enthält“, erklärt er. Insbesondere beim Anerkennungsverfahren sei nämlich viel zu beachten, das auch – beziehungsweise: erst recht – alteingesessene Apotheker in Deutschland meist nicht wissen. „Es gibt in dem Verfahren zum Beispiel Unterschiede je nach Bundesland, zum Beispiel ob ein Praktikum vor der Fachsprachenprüfung vorausgesetzt wird, wie lang das sein muss und so weiter.“ Deshalb werde nach einem allgemeinen Teil mit allen wichtigen Infos zum Verfahren in einem zweiten Teil je ein Kollege aus jedem Bundesland die dortigen Sonderregelungen erklären. „Wir haben auch Kontakte hinzugefügt, an die sich Apotheker wenden können, wenn sie Fragen haben, die darüber hinausgehen.“ Derzeit geben sie dem Buch den letzten Schliff, sagt er. Die Veröffentlichung sei in den kommenden Monaten geplant.

All diese Aktivitäten laufen in der „Syrischen Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland“ zusammen. Informell gebe es die schon seit rund zwei Jahren, erzählt Baki. Nun sind er und elf weitere Apotheker und Ärzte den nächsten Schritt gegangen und haben offiziell einen Verein mit Sitz im hessischen Hanau gegründet. Die Stoßrichtung des Vereins gehe sowohl nach innen als auch nach außen. Nach innen wolle der Verein syrische Akademiker aus dem Gesundheitswesen hier in Deutschland miteinander vernetzen, Orte für den beruflichen und privaten Erfahrungsaustausch schaffen und Strukturen aufbauen, um diejenigen aktiv zu unterstützen, die neu nach Deutschland gekommen sind und Orientierung brauchen.

Nach außen wiederum wollen sie die spezifischen Interessen der syrischen Heilberufler mit einer Stimme vertreten und sie gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft bekannter machen. „Wir möchten mehr Verbindungen zwischen deutschen und syrischen Heilberuflern schaffen und einen Beitrag dazu leisten, die öffentliche Gesundheitspflege zu verbessern“, so Baki.

Noch befinde sich der Verein in der Gründungsphase, die zwölf Vorstandsmitglieder sind bisher die einzigen offiziellen Mitglieder, Vorstandsvorsitzender ist der Arzt Faisal Shehadeh, Generalsekretär ist Baki selbst. „Wir müssen noch viel organisieren, aber das ist gerade wegen Corona immer noch nicht so leicht. Wenn wir diese Schritte erledigt haben, können wir weitere Mitglieder aufnehmen“, so Baki. Nächster Schritt sei die Fertigstellung der Website: Die gibt es unter der URL sygaad.de bereits, allerdings nur auf Arabisch. „Wir wollen die Webseite auch auf Deutsch anbieten, um Transparenz zu zeigen und sie Deutschen zugänglich zu machen“, sagt er. Irgendwann könnte auch ein Vereinsbüro in Hanau dazukommen, aber auch da gilt: Während der Coronapandemie ist so etwas schwerer als sonst. „Lassen wir uns überraschen“, sagt Baki. „Es ist im Moment nicht so leicht. Aber wir sind zufrieden mit dem, was wir bisher erreicht haben.“