Aus 2 mach 1

Raus aus der Stadt Eugenie Ankowitsch, 17.03.2018 09:50 Uhr

Berlin - 

Die Rats- und Einhorn-Apotheke gehörte seit 600 Jahrhunderten zum Stadtbild der niedersächsischen Kreisstadt Stade. Nun ist sie geschlossen. Personalmangel und wachsender Konkurrenzdruck haben den Inhaber Jürgen Fischer zu einem radikalen Schritt bewegt: Er machte die Traditionsapotheke in der Fußgängerzone und eine Filiale dicht und eröffnete stattdessen eine moderne Apotheke in einem aufstrebenden Neubaugebiet am Rande der Stadt.

Seit 1995 führte Fischer die Rats- und Einhorn-Apotheke in Stade. Erstmalig wurde sie aber bereits 1399 erwähnt und gehörte seitdem zu einer festen Institution der Stadt, die inzwischen knapp 50.000 Einwohner zählt. Vor zehn Jahren kam die Eichendorff-Apotheke als Filiale dazu. Geführt wurde sie von Fischer Ehefrau. „Seit einiger Zeit zeichnete sich allerdings ab, dass die Eichendorff-Apotheke keine echte Zukunft mehr hat“, berichtet Fischer. Eine sehr kleine Offizin in Räumen, die eigentlich als eine Wohnung konzipiert waren, und ein einziger Arzt in der Nähe, der demnächst in Rente gehen will, waren beileibe keine Grundlage für eine rosige Zukunft.

Als das Angebot kam, die neue Apotheke im Gebäude des Altenheimes im Neubaugebiet namens Heidesiedlung am Rande der Kreisstadt zu betreiben, beschloss das Apothekerpaar, die Eichendorff-Apotheke an den neuen Standort zu verlegen. „Damals war von der Schließung der Rats- und Einhorn-Apotheke in der Innenstadt noch nicht die Rede“, erinnert sich der Apotheker.

Eine andere Entwicklung brachte die Wende: So habe sich in den vergangenen Jahren die Personalsituation immer mehr verschärft. „Meine Frau hatte seit August 2012 keinen Apotheker in der Eichendorff-Apotheke, der sie entlastet hätte“, erzählt Fischer. „Auch ich suchte seit über zwei Jahren nach einem Approbierten.“ Vergebens. Zu Urlaubszeiten habe man daher zuletzt auf einen Vertretungsapotheker zurückgegriffen. Als im vergangenen Herbst noch nicht einmal gelungen ist, einen Kollegen für die Herbstferien zu bekommen, beschlossen die Eheleute kurzerhand, auch die Rats- und Einhorn-Apotheke in der Innenstadt aufzugeben und fortan gemeinsam nur noch die neue Apotheke im Neubaugebiet zu betreiben.

Die gestiegene Konkurrenz in der Innenstadt habe die Entscheidung zusätzlich erleichtert. „In den vergangenen Jahren sind zwei sehr preisaktive Apotheken hinzugekommen“, erklärt Fischer. Der Verteilungskampf sei härter geworden. Das Umfeld im Neubaugebiet sei dagegen sehr attraktiv. Die Senioren in direkter Nachbarschaft, die jungen Familien, die in den vergangenen Jahren dort ihre Häuser gebaut haben , die geplante Erweiterung der Siedlung, der Bau eines Schulzentrums und vor allem die Eröffnung des großen Famila-Marktes im August vis-à-vis der Apotheke, der die bisher fehlende Laufkundschaft bringen soll, waren gute Argumente für eine Verlagerung der Apotheke in den Stader Süden. Den Konkurrenzkampf in der Innenstadt können nun die verbliebenen sechs Apotheken unter sich austragen. Die Einhorn-Apotheke ist dagegen die einzige Apotheke im Umkreis.

Auch seine Mitarbeiterinnen konnten alle übernommen werden. Zum Team gehören nun er, seine Frau, ein weiterer Apotheker sowie drei PTA und drei Boten. Mit dem Neustart ist Fischer durchaus zufrieden. Viele der Kunden aus der Eichendorff- und der Rats- und Einhorn-Apotheke seien in die neue Apotheke mitgekommen. Im Gegensatz zur Innenstadt-Apotheke können sie bequem mit dem Auto vorfahren. Eingerahmt vom neuen Pflegeheim, dem Seniorencampus und dem betreuten Wohnen, ist er gerade dabei, sein neues Domizil einzurichten. Perspektivisch soll ein Allgemeinarzt in das Gebäude einziehen. Praxisflächen seien jedenfalls vorhanden. Auch die Räume der neuen Apotheke wirken mit einer Fläche von 180 Quadratmetern modern und hell.

Die letzten Tage in der historischen Apotheke in der Innenstadt fielen Fischer dennoch schwer. Sentimentale Gefühle kamen auf. Auf den Namenszusatz „Rats-“ verzichtet der Apotheker in Zukunft. Die Nähe zum Rathaus ist in der Heidesiedlung nicht mehr gegeben. Ungeklärt sei auch, was mit dem goldenen Einhorn an der Fachwerkfassade der ehemaligen Apotheke geschieht. Ans Gebäude der neuen Einhorn-Apotheke jedenfalls passe es nicht.

Fischer ist Inhaber der Immobilie in der Innenstadt. Er steht gerade in Verhandlungen für eine Nachnutzung. Dass die neuen Mieter zum historischen Ambiente passen, liege in seinem eigenen Interesse, sagt der Mann, der nach außen sehr gelassen wirkt, obwohl er gerade zwei Apotheken abgewickelt und eine neue eingerichtet hat.