Placebo-Effekt

Pfft-pfft – und schon ist der Liebeskummer weg Silvia Meixner, 16.08.2017 15:22 Uhr

Berlin - 

Hände desinfizieren – jetzt – sofort! Gehören Sie auch zu jenen Menschen, die glauben, dass mit ein bisschen Sterillium die Welt besser, weil sauberer wird? Natürlich nur mit Virugard. Eine neue Studie bestätigt das Gegenteil. Und zwei weitere erklären, warum uns teurer Wein automatisch besser schmeckt und Nasenspray gegen Liebeskummer helfen kann.

Pfft, pffft – und schon ist der ehemalige Lieblingsmensch vergessen? Obwohl er so gemein war? Forscher der University of Colorado Boulder haben herausgefunden, dass Menschen mit Liebeskummer schon allein der Umstand helfen kann, dass sie glauben, dass ein bestimmtes Präparat das Herzleid erleichtert.

Als Versuchs-Arznei wählten sie simples Nasenspray und fanden 40 Freiwillige, die kürzlich von ihrem Partner verlassen worden und traurig waren. Alle bekamen wirkstofffreies Nasenspray. Einer Gruppe wurde jedoch mitgeteilt, es handle sich um ein wirksames Mittel, mit dem sich emotionale Schmerzen reduzieren ließen.

Das erstaunliche Ergebnis: Als die Forscher Gehirnscans machten, zeigte sich, dass die Placebo-Gruppe tatsächlich weniger unter emotionalen Schmerzen litt. Wenn sie ein Bild des Ex-Partners sahen, stieg die Aktivität in jener Region, der die Verarbeitung von Gefühlen zugeschrieben wird, stark an.

Das Ergebnis für den Alltag übersetzt: Wer verlassen wurde und leidet, dem hilft so ziemlich alles, woran er glaubt. Ein klassischer Placebo-Effekt also. „Egal, was du tust: Wenn du daran glaubst, dass es dir helfen wird, dich besser zu fühlen, wird es dir wahrscheinlich tatsächlich helfen, dich besser zu fühlen“, sagt Leonie Koban von der University of Colorado. Die Studie klingt zwar teilweise fröhlich, hat aber ernste Seiten. Wer unter Liebeskummer leide, habe laut Koban nämlich ein 20-fach erhöhtes Risiko, im Laufe des Jahres nach der Trennung an einer Depression zu erkranken. Tritt der Placebo-Effekt mit Hilfe eines nutzlosen Nasensprays ein, ist dem Betreffenden somit nachhaltig geholfen.

Wenn der Liebeskummer trotz Nasenspray nicht weichen möchte, hilft vielleicht ein Gläschen Wein. Die Flasche zu drei Euro reicht aus. Oder doch besser die für 20 Euro? Wegen der zu erwartenden Kopfschmerzen am nächsten Morgen?

Alles Quatsch – besagt eine aktuelle Studie. Weintrinker lassen sich gern vom Preis der Flasche beeindrucken. Dabei gilt oft, dass ein günstiger Rebensaft eher mindere Qualität bietet und ein teurer Spitzengenuss verspricht. Forscher der Insead Business School (1957 gegründet, Standorte in Fontainebleau und Singapur) und der Universität Bonn haben herausgefunden, dass derselbe Wein Menschen besser schmeckt, wenn für ihn ein höherer Preis verlangt wird.

Die Experten erklären das mit einem „Marketing-Placebo-Effekt“: Das Belohnungssystem im Gehirn wird bei höheren Preisen deutlich stärker aktiviert und verstärkt auf diese Weise vermutlich das Geschmackserlebnis. „Die spannende Frage ist nun, ob man das Belohnungssystem trainieren kann, damit es weniger empfänglich für solche Placebo-Marketing-Effekte wird“, sagt Bernd Weber von der Universität Bonn (Center for Economics and Neuroscience). „Das Belohnungssystem wird bei höheren Preisen deutlich stärker aktiviert und verstärkt auf diese Weise offenbar das Geschmackserlebnis.“

Für die Studie mussten 30 Personen, je 15 Männer und Frauen, an einem ungewöhnlichen Ort trinken: Während sie den Wein testeten, lagen sie im Kernspintomografen. Bevor sie tranken, wurde der Preis des Weines eingeblendet. Getrunken wurde via Schlauch. Auf einer neunteiligen Skala mussten die Probanden angeben, wie ihnen der Wein schmeckte. Der Wein blieb dabei jedes Mal derselbe. Nur die Preise wechselten, sie lagen zwischen sechs und 18 Euro.

Die Teilnehmer gaben an, dass der hochpreisigere Wein besser schmeckte als der vermeintlich günstigere. Kernspintomografen lügen nicht: die Aufnahmen ließen erkennen, dass bei höheren Preisen vor allem Frontalhirn und basales Vorderhirn stärker aktiviert wurden. Die Forscher gehen davon aus, dass das Frontalhirn am Preisvergleich und der damit verbundenen Erwartung beteiligt ist, während das basale Vorderhirn Teil des Belohnungs- und Motivationssystems ist.

Die Testergebnisse belegen, dass dem Menschen das Belohnungs- und Motivationssystem offensichtlich einen Streich spielt. Es gaukele bei Nennung höherer Preise eine höhere Erwartung vor. Allerdings sehen die Experten bei dieser Theorie durchaus Grenzen: Wenn dem Probanden schlechter Wein angeboten würde, der angeblich 100 Euro kostet, würde die Vernunft siegen.

Das tut sie häufig im Leben, aber nicht immer: Einer aktuellen Studie des Marktforschungsunternehmens Nielsen zufolge ist der Umsatz von Hand-Desinfektionsprodukten in Deutschland deutlich gestiegen. Die Geschäfte verzeichneten innerhalb eines Jahres ein Plus von 71,2 Prozent, besonders stark legten die Discounter zu. Es gelang ihnen, den Umsatz von Desinfektionssprays, Hygienetüchern und antibakteriellen Gels auf 6,3 Millionen Euro zu verdreifachen.

Ernüchternd liest sich da die Einschätzung von Ernst Tabori, dem ärztlichen Direktor des Deutschen Beratungszentrums für Hygiene in Freiburg auf Spiegel Online: „Für den Heimbedarf eines gesunden Menschen sind Desinfektionsmittel weitgehend überflüssig.“ Er rät zu Wasser und Seife. Bei sensiblen Menschen könnte der Einsatz von Desinfektionsmitteln sogar Schaden anrichten und Allergien auslösen. Wenn die Werbe-Versprechen nicht so gut funktionierten – sie versprechen häufig, dass die Desinfektionsmittel 99,9 Prozent der Bakterien abtöten würden. Zuverlässig. Schnell wie kein anderes Mittel. Und schon sitzt der ängstliche Mensch in der Falle.