Apothekerin bei der Krankenkasse

„Ich wollte lieber fachlich arbeiten“ Julia Germersdorf, 21.05.2023 14:59 Uhr

Eileen Kleimeiers Wunsch, als Mitglied eines Kompetenzteams in der Gesundheitsbranche wirken zu können, erfüllte sich mit Eintritt in die Krankenkasse. Foto : Eileen Kleimeier
Berlin - 

Eileen Kleimeier (36) hat vor etwa zehn Jahren ihr Pharmazie-Examen bestanden. Als Apothekerin in einer öffentlichen Apotheke arbeiten – das wollte sie nicht primär. Ihr Interesse galt stets der pharmakologisch fachlichen Seite, weshalb sie nach ihrem Studium in einer Klinik arbeitete. Ihr Wunsch, als Mitglied eines Kompetenzteams in der Gesundheitsbranche wirken zu können, erfüllte sich mit Eintritt in die Krankenkasse.

Pharmakologie hat Eileen Kleimeier während ihres Pharmaziestudiums durchweg am meisten interessiert. Dass sie sich diesem weitreichenden Themengebiet einmal in einer öffentlichen Apotheke widmen kann, hat sie schon damals bezweifelt.

„Weil man eher den Beruf des Verkäufers beziehungsweise der Verkäuferin ausübt und kaum die Möglichkeit hat, wirklich fachlich arbeiten zu können.“ Kleimeier schätzt, dass etwa 80 Prozent des Apothekeralltags mit der Bedienung von Kund:innen ausgelastet ist.

Durch viele Reglementarien seien den Apotheker:innen die Hände gebunden und die Entscheidungsgewalt genommen. Man sei stets auf den Arzt oder die Ärztin angewiesen, müsse Rücksprache halten und Informationen hinterherrennen.

„Man hat nach einem wirklich extrem intensiven Studium, bei dem sehr viel Wissen erworben wird, welches in der Apotheke eine eher untergeordnet Rolle spielt, quasi den Job als Botendienst. Das entspricht in meinen Augen nicht der Ausbildungskompetenz.“

Knappe Zeitfenster und wenig Raum für Individualismus

Man habe zwar hier und da pharmakologische Berührungspunkte, etwa beim zufälligen Aufdecken einer Interaktion. Aber Kleimeiers Apothekenpraxiserfahrung nach ist so etwas in aller Ausführlichkeit oft unerwünscht. Möglichst schnelles Abarbeiten der Aufgaben und dann die nächsten Kund:innen bedienen, habe in der Apotheke oft im Vordergrund gestanden.

„Ich möchte hier nicht verallgemeinern. Das ist sicher von Apotheke zu Apotheke unterschiedlich. Für mich persönlich habe ich allerdings die Chance, meinen Wissensschatz aus dem Studium anwenden zu können, nicht erkannt.“

Zudem sei die Kommunikation mit Ärzt:innen oft schwerer gewesen. „Wenn man eine Idee zu einem bestimmten Thema und einer bestimmten Patientin oder einem bestimmten Patienten hatte, hatte ich das Gefühl, viele Ärzt:innen seien oft der Meinung, sie wissen was sie tun und man solle sich nicht einmischen.“ Aus Kleimeiers Sicht absolut schade, denn ihrer Intention nach wollte sie niemanden verbessern, sondern immer als Kompetenzteam zusammenarbeiten. Das sei für sie in der Apotheke weniger möglich gewesen.

Kleimeier sieht ein, dass dafür inzwischen auch kaum mehr Zeit ist. Dennoch ist sie dafür, dass Ärzt:innen und Apotheker:innen enger zusammenrücken. Die Chance sei mit den pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) zum Greifen nah: Therapieoptimierungen für Patient:innen – und das auf einem gemeinsamem Weg erzielt.

Zwischenstation Krankenhaus

Nach ihrem Examen 2013 hat Kleimeier im Krankenhaus angefangen. „In der Klinik ist der Stellenwert als Apotheker:in deutlich besser als in einer öffentlichen Apotheke.“

Viele Klinik-Ärzte seien sehr dankbar für die pharmakologische Einschätzung, wenn es beispielsweise um die Wirkung vieler verschiedener Medikamente eines Patienten oder einer Patientin geht. Der Handlungsspielraum sei größer. Kleimeier hatte das Gefühl, als gleichwertiger Partner im Gesundheitswesen wirken zu können.

Leider gibt es auch hier ein politisches Problem, wie Kleimeier findet: „Vor allem private Krankenhäuser sehen den Benefit der Apotheker:innen im Krankenhaus nicht.“ Ärzt:innen seien zwar dankbar, aber der Geldgeber nicht. Also sei mal als Apotheker:in in der Klinik häufig aus ökonomischer Sicht eher ein „Wegrationalisierungsfaktor“. Die Stellen seien häufig befristet, so auch die Stelle von Eileen Kleimeier damals.

Weg zur Krankenkasse

Dass Apotheker:innen auch bei einer Krankenkasse arbeiten können und vor allem was dort das Aufgabenfeld sein könnte, sei Kleimeier zunächst nicht bekannt gewesen. Als reine „Geldeinsparerin“ hat sie nie arbeiten wollen. Aber eine Stellenausschreibung habe sie interessiert und sie letztlich zu einer Bewerbung ermutigt. „Einmal die andere Seite der Apotheken kennenlernen, erfahren, wie das Geld gehaushaltet wird, was man für Rezepte und Behandlungen ausgibt, ist in jedem Fall ein Aspekt, der mich interessiert hat.“ Seit Juni 2019 arbeitet Kleimeier als Apothekerin bei der Krankenkasse. Seit dem vergangenen Jahr bei der Pronova BKK.

Aufgabenbereich

Sie arbeite sehr pharmazeutisch, erzählt die Apothekerin. Es gebe viele Einzelfälle, die individuell bewertet und geprüft werden. „Es geht immer darum, eine bestmögliche Versorgung zum möglichst wirtschaftlichen Preis sicherzustellen. Das ist letztlich auch das, was nötig ist, wenn man eine Solidargemeinschaft aufrechterhalten möchte.“

Jede Woche stünde ein Meeting an, in dem Einzelfälle besprochen werden, die etwas kniffliger sind. „Es geht um Anträge, die in der Regel wahrscheinlich erstmal abgelehnt würden. Da der Sachverhalt aber manchmal uneindeutig scheint, werden individuelle Fälle nochmal angeschaut und neu bewertet. Eventuell gibt es Alternativen zum entsprechenden Antrag.“

Es geht aber nicht darum, ausschließlich Geld einzusparen.

Beispielsweise, wenn ein:e Patient:in sich für eine anstehende komplizierte Operation eine private Klinik ausgesucht, weil er oder sie keine andere finden kann, weil es eventuell auch gar nicht so viele Ärzt:innen für die spezielle Indikation gibt, dann schaue man, wie man den Patienten beziehungsweise die Patientin bestmöglich versorgen kann, so dass er oder sie schnellstmöglich genesen kann. Weiterhin gebe es Off-Label-Use-Anträge, die nochmal genauer eingeordnet und zu denen auch Studien hinzugezogen werden.

Unterschiedliche Rückmeldung

Versicherte seien auch mal über eine Ablehnung enttäuscht, aber diese müsse erstmal sein, um eine Alternative vorschlagen zu können – das sei so vorgegeben.

Wenn es tatsächlich zu einer Ablehnung kommt, sei diese immer ganz klar fachlich entschieden. „Das sind dann Anträge, wo man sagt, dieses bestimmte Prozedere kann auf keiner Grundlage genehmigt werden.“ Schließlich liege hier das Risiko bei der Krankenkasse. „Ohne Evidenz schadet man Patient:innen wissentlich.“

Dass die Enttäuschung bei einzelnen Versicherten hier und da groß ist, sollte ein Antrag abgelehnt werden, könne Kleimeier nachvollziehen. „Mit genauer Kenntnis der Rechtsgrundlage wäre es einfacher zu verstehen. Die Patient:innen haben hier den Nachteil einer Wissenslücke. Für unsere Versicherten steht an dieser Stelle geschultes Personal zur Verfügung, dass am Telefon erklärend zur Seite steht. Da bekommen wir oft gutes Feedback.“

Patient:innen sei oft nicht bewusst, dass auch Ärzt.innen und Apotheker:innen bei Krankenkassen arbeiten und nicht nur „Sachbearbeiter“.

Ein Befürworten einer bestimmten Behandlungsstrategie oder ein Ablehnen werde nicht einfach so entschieden. Man versuche tatsächlich, jeden Fall so intensiv wie möglich zu bearbeiten. „Und das in großer Runde mit verschiedenen fachlich wirkenden Mitarbeiter:innen.“ Nebenbei gebe es ganz klare Richtlinien und gesetzliche Vorgaben, was eine Leistung sei. Im Vordergrund stehen jederzeit die Patient:innen: „Er oder sie soll so schnell wie möglich genesen.“

"Wir versuchen immer, es so einfach wie möglich zu machen."

Kleimeier habe nie das Gefühl gehabt, als Apothekerin bei der Krankenkasse für die „andere“ Seite zu arbeiten. Sie sehe sich eher als Bindemitglied zwischen diesen beiden Welten. Zum Beispiel beim aktuellen Thema der Lieferengpässe: Es gebe viele Importanträge. „Die Reglementarien wurden versichertenfreundlich aufgehoben, um Patient:innen so schnell wie möglich behandeln zu können und natürlich auch, um der Apotheke unnötige Bürokratie zu ersparen.“ Man überlege stets, wie man den Apotheken etwas Arbeit abnehmen kann. „Wenn es nicht gerade um einen teuren Einzelimport geht, verzichten wir bei gravierenden Lieferengpässen weitestgehend auf Genehmigungsanträge für Importe. Bei unvermeidlichen Mehrkosten für zum Beispiel Fiebersäfte oder Antibiotikasäfte bei Kindern durch eine Rezeptur oder ein Alternativprodukt übernehmen wir die Mehrkosten direkt in der Apotheke. Eine Sondergenehmigung ist auch hier nicht nötig.“

Um Profit geht es nicht.

Die Apothekerin befürworte den aktuellen Handlungsspielraum, der ihren Kolleg:innen in den öffentlichen Apotheken überlassen wird. Niemand frage schließlich nach einem Ausweichpräparat, wenn es keine Lieferschwierigkeiten gebe – das sei unlogisch. Das habe auch die Pronova BKK verstanden, weiß Kleimeier.

„Wir sollten zusammenarbeiten. Wir kommen aus einer Branche. Unser gemeinsames Ziel ist die Versorgung von Patient:innen – diese sollen möglichst schnelle, zweckmäßige und wirtschaftliche Therapien erhalten. Eine Zusammenarbeit ist hier enorm wichtig. Die Apotheke hat dafür das Knowhow – die Krankenkasse kennt die Vertragsseite.“

Gutes Bauchgefühl

Kleimeier habe noch nie das Gefühl gehabt, dass man das bei ihrer Arbeitgeberin, der Pronova BKK, anders sieht. Im Gegenteil: „Das ist hier Einstellungskriterium: Immer die Versichertenbrille aufhaben!“