Gesundheitskommunikation

„Wer googelt, landet immer bei Krebs“ Maria Hendrischke, 26.05.2015 09:22 Uhr

Dresden - 

„Was hab' ich denn nun?“ So mancher Patient wird sich diese Frage schon einmal gestellt haben – und zwar nach dem Arzt- oder Klinikbesuch. Komplizierte lateinische Fachwörter und geheimnisvolle Abkürzungen machen Befunde für Laien oft schwer verständlich. Am Ende bleibt Ratlosigkeit. Die Gründer von „Was hab' ich?“ haben dieses Problem erkannt – und daher eine Plattform entwickelt, um Diagnosen in verständliches Deutsch zu übersetzen.

„Was hab' ich?“ wurde im Januar 2011 von Johannes und Anja Bittner (damals: Kersten) und Ansgar Jonietz gegründet. Die drei befreundeten Studierenden verband ein Ziel: die Kommunikation zwischen Arzt und Patient zu verbessern. Das Paar studierte damals Medizin an der TU Dresden, Jonietz Informatik.

Das Trio entwickelte eine Webseite, um beide Gruppen – Ärzte und Patienten – zusammenzuführen und das gegenseitige Verständnis zu fördern. Auf der Webseite können ärztliche Befunde hochgeladen werden, die dann von Ärzten in verständliches Deutsch „übersetzt“ werden. Zunächst wurde eine einfache Beta-Version der Webseite online gestellt und in Patientenforen beworben: Schon zwölf Minuten nach dem Launch ging der erste Befund ein. „Der Bedarf war also da“, sagt Jonietz.

Seit 2011 hat der Webdienst mehr als 23.000 Befunde übersetzt; im Durchschnitt schafft das Team laut Jonietz etwa 150 pro Woche. Die Nutzer können dabei den Befund einer MRT- oder Röntgenuntersuchung, einen Laborbefund, Arztbrief, einzelne Fachbegriffe oder ICD-Codes auf der Webseite hochladen. Die maximale Länge eines Befunds sollte zwei Din-A4-Seiten betragen; persönliche Daten darin sollten zuvor geschwärzt werden.

Die Dauer einer Diagnose-Übersetzung sei sehr unterschiedlich; sie reiche von zwei Stunden bis zu drei Wochen für anspruchsvolle Themen, etwa aus dem Gebiet Humangenetik, berichtet Jonietz. Im Durchschnitt könne die Übersetzung nach zwei bis drei Tagen per E-Mail verschickt werden. Das digitale Einsenden der Befunde könne gerade für ältere Patienten eine Hürde sein. „Manchmal ist erkennbar, dass unsere Webseite für diese Nutzer der erste Kontakt mit dem Internet ist“, sagt Jonietz. Aber oft helfen Kinder, Enkel oder Nachbarn beim Scannen und Hochladen.

In der Anfangsphase wurden alle Anfragen von den Gründern selbst beantwortet, doch das sei bald nicht mehr zu stemmen gewesen. Inzwischen habe das Projekt Hunderte ehrenamtliche Helfer. Diese seien entweder Medizinstudierende oder Ärzte; also Leute von Fach. Das sei von Bedeutung, betont Jonietz: Denn wer seinen Befund im Internet eingebe, könne nicht sicher sein, ob die gefundenen Antworten überhaupt von einem Experten stammten. „Wer seine Krankheit googelt, landet irgendwie immer bei der Diagnose Krebs.“

Mittlerweile haben schon über 1200 angehende und erfahrene Ärzte im Rahmen des Projekts ehrenamtlich Diagnosen übersetzt. Aktuell aktiv tätig sind laut Jonietz etwa 180. Die Fluktuation sei recht hoch: Wenn Studierende Prüfungen haben oder ins Berufsleben starten, schafften sie das Übersetzen nicht mehr. Auch die Zeit, die ein einzelner aktiv Mitarbeitender in das Projekt investiere, schwanke zum Teil sehr.

Für das Gründertrio dagegen ist die Plattform inzwischen ein Vollzeitjob, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Nebenher noch als Arzt oder Informatiker zu arbeiten, sei nicht möglich, so Jonietz. Abgesehen von den Gründern arbeiten noch zwei Ärzte und eine Kommunikationswissenschaftlerin in Vollzeit am Projekt mit. Auch wenn es sich bei dem Dienst um ein gemeinnütziges Projekt handele, müsse daher kostendeckend gearbeitet werden. Neben den Gehältern für die hauptamtlichen Mitarbeiter falle als Kostenpunkt die Miete an. „Gerade in den ersten zwei Jahren waren für uns vor allem Gelder aus Förderpreisen wichtig. Inzwischen finanzieren wir uns über Projekte, die von unseren Partnern unterstützt werden“, erzählt Jonietz.

Die Idee hat zahlreiche Gründer- und Sozialpreise erhalten, erst kürzlich den Medizin-Management-Nachhaltigkeitspreis 2015. Partner von „Was hab' ich?“ seien zum Beispiel der AOK-Bundesverband und die Bertelsmann-Stiftung, so Jonietz. Derzeit werde für ein neues Projekt mit Kliniken zusammengearbeitet: Die Idee sei, neben einem klassischen Entlassungsbrief einen „Patientenbrief“ zu erstellen, der die Entlassungsinformationen verständlich erkläre.

Über die Zusammenarbeit mit Universitäten fließen weitere Mittel. An der TU Dresden und der Universität Marburg können Medizinstudierende den Wahlkurs „Was hab' ich?“ belegen. Der Kommunikationskurs bildet die Arbeit des medizinischen Übersetzungsdiensts ab: Die Studierenden werden zunächst darin geschult, wie sie ärztliche Befunde in einfaches Deutsch fassen. Dann bekommen sie Zugang zur internen Plattform des Webdienstes und bearbeiten eingesendete Befunde selbstständig.

„Was hab' ich?“ habe sein Schulungskonzept für die Unikurse nur wenig anpassen müssen, berichtet Jonietz. „Ein Supervisor, also ein erfahrener Befund-Übersetzer, schult die interessierten Studierenden zuerst. Dann werden die ersten fünf Befunde gemeinsam mit dem Supervisor übersetzt.“ Die Studierenden des Wahlpflichtkurses hätten zudem noch eine Präsenzveranstaltung und eine Prüfung am Ende des Kurses zu absolvieren.

Die großen Vorteile des Kurses und auch der ehrenamtlichen Mitarbeit sieht Jonietz im fachlichen Dazulernen der Studierenden. Die ehrenamtlichen Diagnosen-Übersetzer lernten, die Befunde anderer Ärzte zu verstehen. Und sie übten, Fachausdrücke in angemessener Weise einem Patienten zu vermitteln. Hinzu komme der direkte fachliche Austausch mit anderen Medizinern.

Jonietz hebt noch etwas anderes hervor: „Bei uns helfen nicht nur Studierende, sondern beispielsweise auch erfahrene, pensionierte Ärzte. Anders als im Klinikalltag gibt es keine Hierarchien: Alle duzen sich.“ Es komme vor, dass ein Chefarzt eine Frage zu einem zu übersetzenden Befund stelle, die dann ein Student beantworte.

Der Ansporn für die ehrenamtliche Mitarbeit komme aber vor allem von den Nutzern der Plattform. Jeden Tag gingen von ihnen E-Mails mit positiven Feedback ein, berichtet Jonietz. „Unsere Nutzer schreiben uns, dass sie mit der Übersetzung endlich ihren Befund verstanden haben und nun wissen, welche Fragen sie ihrem Arzt stellen müssen.“

Nach anfänglicher, vereinzelter Kritik stehe die Ärzteschaft hinter dem Projekt: „Der Marburger Bund unterstützt uns. Und es spricht für sich, dass wir dieses Jahr zum Deutschen Ärztetag nach Frankfurt eingeladen wurden“, sagt Jonietz. Dort stelle sich „Was hab' ich?“ mit einem Stand vor.

Jonietz hofft, dass noch mehr von ihren Diagnosen verunsicherte Patienten auf die Webseite aufmerksam werden. Dazu könnten auch die Apotheker beitragen. „Beim Arzt trauen sich viele nicht, direkt nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstehen“, so Jonietz. „Der Apotheker sei dann vielleicht eher Ansprechpartner. Dieser könnte dann auch auf die Website von 'Was hab' ich?' verweisen.“