Taten zwischen 1989 und 2014

Frankreich: Chirurg in 299 Missbrauchsfällen angeklagt 24.02.2025 18:15 Uhr

Vannes - 

In einem der größten Missbrauchsprozesse in Frankreich steht ein 74-jähriger ehemaliger Chirurg wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs von 299 meist minderjährigen Patient:innen vor Gericht. Der Mann legte ein Geständnis ab, das auch durch Tagebucheinträge des Täters untermauert wurden.

„Ich habe abscheuliche Taten begangen“, sagte der Arzt vor dem Gericht in Vannes, nachdem die Anklageschrift und die Namen aller Opfer verlesen worden waren. Zwischen 1989 und 2014 soll er insgesamt 158 männliche und 141 weibliche Patient:innen missbraucht haben. 15 weitere Fälle sah die Staatsanwaltschaft als verjährt an. Dem Arzt wird vorgeworfen, seine Opfer mit den Händen penetriert und die Taten als medizinische Untersuchungen getarnt zu haben. In 111 Fällen wird ihm schwere Vergewaltigung angelastet. Das Durchschnittsalter der Opfer betrug elf Jahre.

Ermittler sicherten Beweismaterial

Zum Zeitpunkt der Taten befanden sich viele Opfer im Operationssaal – in der Phase der Anästhesie, des Aufwachens, der Sedierung oder des Einschlafens. Sie waren sich des Missbrauchs nicht bewusst und konnten den Arzt später nicht anzeigen. Bei einer Untersuchung stellten Gutachter bei vielen Opfern posttraumatische Syndrome, Blockaden und körperliche Beschwerden infolge psychologischer Belastungen fest.

Bei einer Hausdurchsuchung fanden Ermittler rund 300.000 kinderpornografische Fotos sowie Puppen. Der Chirurg hatte seinen jahrzehntelangen Missbrauch detailreich in Tagebüchern dokumentiert. Darin bezeichnete er sich selbst als „Exhibitionist, Voyeur, Sadist, Masochist, Fetischist und Pädophiler“ – und fügte hinzu: „Und ich bin sehr glücklich damit.“

Umfeld war ahnungslos

Der heute startende Prozess wurde durch eine Anzeige aus dem Jahr 2017 ins Rollen gebracht: Eine Nachbarin des Arztes beschuldigte ihn, ihre sechsjährige Tochter im Garten missbraucht zu haben. Bereits 2005 war der Mediziner wegen des Besitzes kinderpornografischer Bilder zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden – ohne disziplinarische Konsequenzen für seine ärztliche Tätigkeit. 2020 wurde er wegen vier Missbrauchsfällen bereits zu 15 Jahren Haft verurteilt.

Trotz jahrzehntelanger Taten bemerkten nur wenige Menschen in seinem Umfeld Auffälligkeiten. Von etwa 100 befragten Kolleg:innen des Arztes hatte laut „Le Monde“ keiner einen konkreten Verdacht. Zwei Ärzte hielten sein Verhalten für merkwürdig, meldeten dies jedoch ohne Erfolg. Auch seine Ex-Frau gab an, erst bei seiner Festnahme vom Missbrauch erfahren zu haben.

Prozess unter großem öffentlichen Interesse

Der Prozess in der Provinzstadt Vannes soll bis Juni dauern. Um den knapp 300 Opfern und ihren Anwälten Platz zu bieten, wurden eigens Gebäude in der Nähe des Gerichts für mehrere Millionen Euro hergerichtet. 265 Journalist:innen haben sich für die Berichterstattung über das Verfahren angemeldet.

Dem pensionierten Mediziner drohen bis zu 20 Jahre Haft. „Mir ist heute klar, dass diese Verletzungen nicht weggewischt werden können und auch nicht reparierbar sind“, sagte der Angeklagte vor Gericht. „Ich muss die Verantwortung für meine Taten tragen und die Konsequenzen für die Opfer, die sie für die Dauer ihres Lebens haben werden.“