Landversorgung

Der Rezeptsammelstellen-Apotheker Torsten Bless, 23.06.2018 08:33 Uhr

Berlin - 

Jan-Wilhelm Prein hat sich die Sicherung der Medikamentenversorgung im Sauerland auf die Fahne geschrieben. Dafür betreut seine Elisabeth-Apotheke in Ramsbeck gleich drei Rezeptsammelstellen. Wenn aber die Vergütungen nicht erhöht und die bürokratischen Anforderungen nicht gemindert würden, sei der Service nicht aufrechtzuerhalten, warnt er.

Vor drei Monaten machte die Marien-Apotheke in Siedlinghausen dicht, ein Nachfolger war weit und breit nicht in Sicht. „Nach der Schließung herrschte bei den Menschen hier eine große Angst, wie es mit der medizinischen Versorgung weitergeht“, berichtet Prein. Gerade im Winter, wenn die Straßenverhältnisse schlechter sind, wollten viele vor allem ältere Mitbürger den weiten Weg zur nächst gelegenen Apotheke nicht zurücklegen.“ Prein tat sich mit zwei Kollegen aus Winterberg zusammen. Gemeinsam mit Jürgen Schäfer von der Franziskus-Apotheke und Jens Asmus mit seiner Kur-Apotheke richtete er eine Rezeptsammelstelle ein. Der Briefkasten hängt nur wenige Meter von der Hausarztpraxis am Deko- und Schreibwarengeschäft.

In den ersten drei Monaten übernahm Prein die Versorgung und stockte dafür sein Personal auf. Zweimal täglich holten seine Mitarbeiter die Rezepte ab und lieferten die bestellten Medikamente gratis nach Hause. „Manchmal lagen 20 Rezepte im Sammelkasten, manchmal auch gar keins.“ Der Mehraufwand sei immens gewesen: „Die Kommissionierung, Prüfung, Kundenkommunikation und die Rechnungstellung waren arbeits- und kostenintensiv. Ich musste dafür die Stundenzahl von einigen Mitarbeitern erhöhen.“

Auch die Inhaberin des örtlichen Deko- und Schreibwarenladens habe auf seiner Lohnliste gestanden. „Definitiv nicht jede Fahrt war kostendeckend.“ Erst nach einem Jahr könnten die beteiligten Apotheken beurteilen, ob sich die Sammelstelle wirtschaftlich trage. „Aber wir kommen auf diese Weise besser und intensiver mit dem Kunden in Kontakt, als es die Internetapotheken je könnten. So bauen wir längerfristige Kontakte auf.“

Mittlerweile hat Prein die Sammelstelle turnusgemäß an einen Winterberger Kollegen abgegeben. Wie viele der neu gewonnenen Kunden ihm nach dem Wechsel erhalten blieben, müsse man abwarten. „Die Patienten sind jetzt selbst gefordert, die Rezepte zu uns zu schaffen.“ Eine Lösung für das Problem könne die bald erscheinende App der Prein-Apotheken sein. „Sie ist datenschutzrechtlich unbedenklich. Mit ihr kann man die Rezepte über eine eigene Maske abfotografieren.“ Wie zuvor gewohnt bringe der Lieferdienst dann die Medikamente bis zur Tür der Patienten. Auch viele seiner älteren Kunden würden so eine Lösung begrüßen, sagt Prein: „Wir wundern uns, wie fit auch Senioren mittlerweile mit dem Smartphone umgehen können. Die sitzen nicht alle vor dem Röhrenradio.“

Der Botendienst der Elisabeth-Apotheke hat eine lange, schon vom Vater initiierte Tradition. „Wir fahren noch täglich, andere Apotheken machen das gerade zwei- bis dreimal in der Woche. Im besten Fall haben die Patienten ihre Medikamente schon nachmittags vor der Tür.“

Nicht zum ersten Mal sprang Prein in die Bresche, wenn die Versorgung in den Nachbargemeinden zusammenzubrechen drohte. So betreut er seit 2014 Rezeptsammelstellen in den benachbarten Ortschaften Bödefeld und Westerbödefeld. „In Bödefeld machte eine Landpraxis dicht, der Arzt machte über Jahrzehnte einen tollen Job, aber fand keinen Nachfolger.“ Die Patienten würden mittlerweile andere Ärzte aufsuchen, der Weg zu den nächsten Apotheken sei aber weit. „Dafür müssten sie quer durch das Sauerland bis nach Winterberg fahren. Sie wollen es aber gerne bequem haben.“

Auf das reine Rezeptabholen und Medikamentenanliefern will Prein den Service nicht beschränken. „Eine Beratung muss auch hier stattfinden. Wir telefonieren viel, da merkt man, wenn irgendetwas im Busch ist“, berichtet Prein. „In Einzelfällen fahren wir Apothekenmitarbeiter selbst raus und schauen uns an, was für Medikamente beim Patienten vorhanden sind.“ Mitunter täten sich da Abgründe auf: „Da werden alle Arzneimittel in einem Schuhkarton verstaut, der Patient hat längst die Übersicht verloren.“

Man fahre bei Wind und Wetter. „Wir beliefern die abgelegensten Aussiedlerhöfe und Forsthäuser mit Medikamenten. Die Bedingungen können auf den Straßen schon mal interessant sein, zum Beispiel wenn wir bei Neuschnee mit Allrad unterwegs sind.“ Die Patienten seien sehr dankbar. „So eine Rezeptsammelstelle ist vor allem ein Service für die Menschen“, betont Prein. „Eine digitale Rezeptsammelstelle wäre für uns sicherlich das Optimum, dann würden wir uns das altertümliche Abholen der Rezepte an den Kästen sparen.“ Doch bis zur Genehmigung werde es wohl noch dauern.

So ab und zu beneide er die Kollegen in den großen Städten, räumt Prein ein: „Manchmal hätte ich lieber eine Apotheke in einer Fußgängerzone, in die täglich 450 Kunden herein laufen“, sagt er. „Aber auf dem Land stehe ich nicht eine dreiviertel Stunde im Stau, um zur Arbeit zu kommen und habe auch keine sieben Konkurrenzapotheken auf der anderen Straßenseite. Und das Verhältnis zur Bevölkerung ist extrem gut und vertrauensvoll, man arbeitet mit vielen Leuten zusammen.“

Das habe viel mit der Heimatverbundenheit seiner Familie zu tun. Die Elisabeth-Apotheke in Ramsbeck wurde 1975 vom Vater Engelbert eröffnet. Sohn Jan-Wilhelm kehrte nach dem Pharmaziestudium in Marburg direkt in die Heimat zurück und übernahm 2006 die Geschäftsgeschicke. Seine Frau arbeitet in der Buchhaltung. „2007 haben wir die Apotheke umgebaut und auf den damals neuesten Stand gebracht, ein Jahr später kam die Falken-Apotheke in Bestwig als Filiale dazu.“

Auf die pharmazeutische Tätigkeit hätten sich die Preins nicht beschränkt: „Mein Vater war 30 Jahre Ortsheimatpfleger, ich selbst bin Leiter der Ramsbecker Löschgruppe der Freiwilligen Feuerwehr und auch sonst ehrenamtlich viel unterwegs.“ Das gehöre in so einem Dorf einfach dazu. „Ein Stück weit positionieren wir uns auch so als Apotheke. Wir machen nicht einfach um 18.30 Uhr zu, sondern sind rund um die Uhr Pharmazeuten.“

20 Mitarbeiter zählten jetzt zu seinem Team. „Die Datenschutzgrundverordnung hat mir 4500 Euro zusätzliche Kosten beschwert. Aber den Posten des Datenschutzbeauftragten habe ich an eine professionelle Firma vergeben, das will ich meinem Team nicht auch noch aufbürden.“ Die Personalkosten stiegen immer weiter an, aber die Politik bessere nicht nach. „Wenn die Vergütungen für unsere Leistungen nicht erhöht werden, bricht das mittelfristig zusammen.“ Die überbordende Bürokratie tue ein Übriges. „Uns wird ein immenser Dokumentationsaufwand aufgebürdet“, sagt Prein. „Dabei sollte das Kerngeschäft eines Apothekers der Dienst am Menschen sein. Doch wir sind nur noch im Büro und müssen uns rausreißen, damit wir überhaupt noch zum Kunden kommen.“

Für die fällige Revision habe er jüngst aufgelistet, was er in den drei Jahren alles so dokumentiert habe. „Rezeptur, Berufsgenossenschaft, QMS und jetzt die DS-GVO – es wird einem warm, wenn man schwarz auf weiß auf einer Liste sieht, was wir alles notiert haben.“ Die Apothekerverbände versuchten sich mit der Einrichtung von Clearingstellen gegen die Entwicklungen zu stemmen, meint Prein. „Aber jede Woche kommt wieder eine neue schlaue Idee, die uns die Arbeit erschwert.“ Ändere sich an der Entwicklung nichts, könnten die Folgen für die Landbevölkerung gravierend sein. „Dann werden wir den Service einer Rezeptsammelstelle auf Dauer nicht aufrecht erhalten können.“