Arzneimittelverordnungsreport 2019

„Absolute Fehlentwicklung“: Deutschland bleibt Hochpreisland Hagen Schulz, 24.09.2019 15:20 Uhr

Berlin - 

Auch 2018 sind die Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung gestiegen, doch der Anstieg hat sich verlangsamt. Das ist eine Erkenntnis des Arzneiverordnungsreports 2019. Die Autoren sehen in Original-Arzneimitteln den größten Kostentreiber. Sie sehen die Bundesregierung in der Pflicht, die Preisentwicklung aufzuhalten. Es gelte, die „Krallen der Regulierungsinstrumente zu schärfen“, sagte Bernd Mühlbauer.

Die Arzneimittelausgaben der GKV lagen im vergangenen Jahr bei 41,2 Milliarden Euro und damit 3,2 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Der Zuwachs sei auch durch eine höhere Zahl an GKV-Versicherten zustande gekommen. Auf den einzelnen Versicherten heruntergerechnet, stiegen die Ausgaben lediglich um 2,3 Prozent. Professor Dr. Ulrich Schwabe, einer der Herausgeber des Arzneiverordnungsreports, folgerte, dass verschiedene gesetzliche Maßnahmen zur Senkung der Arzneimittelausgaben Wirkung zeigten.

Kostentreiber und Sorgenkind bleiben die patentgeschützten Präparate. Sie sind mittlerweile für 47 Prozent der Arzneimittelkosten verantwortlich, obwohl sie lediglich 6,4 Prozent aller Packungen ausmachen. Vor 20 Jahren betrug der Kostenanteil lediglich 33 Prozent. Während die mittleren Jahrestherapiekosten von Generika bei 128 Euro liegen, betragen sie bei Originalen 2500 Euro. „Die Pharmaunternehmen bringen beispielsweise immer neue Opioide heraus, aber damit steigern sie nur die Kosten und nicht die Behandlungsqualität“, ärgert sich Schwabe.

Ins gleiche Horn stößt Mühlbauer. Er ist der Überzeugung, dass Qualität und finanzielle Einsparungen „Hand in Hand“ gehen können. Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, ebenfalls Herausgeber des Arzneiverordnungsreports, machte auf weitere Fehlentwicklungen im Arzneimittelmarkt aufmerksam. Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft monierte die größer werdende Bedeutung von Orphan-Arzneien sowie die steigende Zahl von Biologika und Biosimilars.

„Wir sehen das mit Bauchschmerzen. Das größte Problem ist die beschleunigte Zulassung in Deutschland. Der Orphan-Arzneimittelmarkt ist dadurch aktuell der attraktivste. Es gibt hier zu viele Erleichterungen für die Hersteller“, so Ludwig. Er hofft, dass mit der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands 2020 dieser „absoluten Fehlentwicklung“ entgegengewirkt wird. Zudem appellierte Ludwig an die Hersteller, nicht inflationär mit dem Begriff Innovation umzugehen: „Nicht alles, was neu ist, ist eine Innovation.“

Auch der dritte Herausgeber des Arzneiverordnungsreports 2019 im Bunde, Jürgen Klauber, wies auf bedenkliche Entwicklungen hin. Politische Regulierungsmaßnahmen wie die Rabattverträge zeigten nur im Nicht-Patentmarkt Wirkung. „Wir erleben eine Forschungs- und Preiskonzentration auf Kleinstmengen“, so der Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Zudem sei Deutschland im europaweiten Vergleich zu hochpreisig unterwegs. Die Grundprobleme seien die freie Preisfestsetzung und der freie Verordnungszugang zum Markt.

„Wir müssen eingreifen, damit wir in Deutschland auch morgen noch Arzneimittel zahlen können“, so Klauber. Entsprechende Regulierungen zu schaffen, sei die aktuelle größte Herausforderung. Mühlbauer sieht hier die Hersteller in der moralischen Verantwortung: „Die Gewinnmargen im Pharmamarkt liegen dreimal höher als in der Autoindustrie. Und die oft als Gegenargument angeführten Forschungskosten sind da schon einberechnet. Ob das moralisch vertretbar ist? Ich denke, da kann sich jeder seine Meinung dazu bilden.“

Dr. Sabine Richard, Geschäftsführerin Versorgung des AOK-Bundesverbandes, stimmte zu: „Wir müssen etwas gegen die steigenden Preise tun. Den einen Markt haben wir gut reguliert, aber der andere wächst ungebremst“. Die Hersteller testeten laut Richard die Zahlungsbereitschaft bis zum äußersten aus. Der Gesetzgeber hätte mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) zwar eine gute Richtung vorgegeben, dennoch bleibe Deutschland ein Hochpreisland. „Die Einstandspreise sind einfach zu hoch“, so Richard.

Große Hoffnung setzen die Autoren des mittlerweile 35. Arzneiverordnungsreports in die Bundesregierung und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020. Die Poltiker sollen die „Krallen der Regulierungsinstrumente schärfen“, so Mühlbauer. Auch im Ausland werde das Verhalten der Regierung registriert: „In Gespräch mit ausländischen Experten höre ich immer ‚Ihr in Deutschland bezahlt ja sowieso immer alles‘. Das muss sich ändern“, berichtet Schwabe.

Ärzte und Apotheker stellten in dieser Entwicklung oft die schwächsten Glieder dar, urteilten die Autoren des Arzneireports 2019. Da es zu wenige unabhängige klinische Forschungen gebe, fehlten wichtige Daten. „Ein Onkologe kann doch aktuell gar nicht sagen, ob das Mittel wirkt, was er da verschreibt“, klagt Schwabe an. Daher müsse sich die Regierung eben für unabhängige Forschungen einsetzen.