Einblicke in die Apothekengeschichte

150 Jahre Hirsch-Apotheke: Von Hirnschädeln und Menschenfett Cynthia Möthrath, 15.05.2021 08:09 Uhr

Berlin - 

Die Hirsch-Apotheke im niedersächsischen Bad Iburg feiert in diesem Jahr ihr 150. Jubiläum. Die Geschichte der Apotheke reicht jedoch viel weiter zurück, wie Hans und Regina Schlotheuber – die derzeitigen Inhaber – verraten. Seit vielen Jahren ist die Apotheke im Familienbesitz, aus Bad Iburg ist sie mittlerweile nicht mehr wegzudenken.

„Die Geschichte der Hirsch-Apotheke in Bad Iburg ist eigentlich gar nicht 150 Jahre alt – sondern viel älter“, erklärt das Ehepaar Schlotheuber. Eine Apotheke „an der Hirschseite“ wird im Grundriss des Schlosses von Iburg 1591 erstmals erwähnt. „Und eigentlich beginnt so die Apothekengeschichte in Iburg vor ziemlich genau 430 Jahren.“

Arzneitaxe früher und heute

Am 3. Februar 1616 erscheint eine der ersten Arzneitaxen überhaupt in der Region, die „Taxa der Bischofflichen Fürstlichen Osnabrüggischen Hoffapothek zu Iburg“: Sie legte den Wert fest, zu dem ein Heilmittel veräußert werden durfte, um Wucher zu verhindern. Das Originalexemplar galt lange als verloren, 1995 wurde es jedoch von Gundi und Rudolph Meyer anlässlich des 450-jährigen Jubiläums der Hirsch-Apotheke Osnabrück in der Bibliothek ihrer Apotheke wiederentdeckt. Gemeinsam mit der Hirsch-Apotheke in Iburg wurde eine zweite Auflage in Druck gegeben.

Bei einem Blick in die damalige Taxe wird so manch einer verwundert sein. „Die dort aufgeführten Heilmittel waren aus heutiger Sicht schon kurios“, meint das Ehepaar Schlotheuber. So findet sich dort beispielsweise ein Eintrag zu „Cranium humanum“, der Menschenhirnschale: Sie musste der Taxe zufolge von jungen Leuten guten Temperaments herrühren, die eines gewaltsamen Todes durch Henker oder im Kriege gestorben und nicht begraben waren. Damals glaubte man, in solchen Schädeln seien die Lebensgeister gleichsam gefangen zurückgehalten. Hirnschädel natürlich Verstorbener zu verkaufen hingegen galt als schändlicher Betrug.

Axungia hominis, das Menschenfett galt als das beste aller Fette und wurde innerlich beispielsweise bei Kontrakturen, Atrophie oder Lungenschwindsucht verwendet. Dabei galt das Fett von jung und gesund Hingerichteten als besonders wertvoll. Auch „Mumia“, die zum Einbalsamieren verwendeten Stoffe, in welche die „menschliche Feuchtigkeit“ gedrungen war wurden verwendet und von jungen Erhängten gewonnen. Ebenso werden Harnsteine, Nägel und Ohrenschmalz in der Taxe aufgeführt.

Danach verschwindet die Apotheke zunächst aus der Geschichte: Nach dem Weggang des fürstbischöflichen Hofes aus Iburg im Jahr 1672 wird acht Jahrzehnte lang eine Apotheke im „Amt Iburg“ nicht mehr erwähnt – vermutlich, weil die Einwohnerzahlen schlichtweg zu gering waren. Erst später und in mehreren Anläufen kann die Apotheke in Iburg wieder etabliert werden: Um 1750 versuchen es zunächst die Apotheker Meyer, Berge und Luppe – jedoch ohne Erfolg. 1772 versuchte Johann Wilhelm Klöntrup an der Großen Straße eine „Hirsch-Apotheke“ zu betreiben. In einem Revisionsbericht von 1802 war sie jedoch „im eigentlichen Verstande als nicht existent anzusehen“.

1834 ist unter Friedrich August Nettelhorst die Rede von einem Haus „ganz von Stein“ in Iburg, welches noch heute die Hirsch-Apotheke beherbergt. Während des Apothekenbaus verstarb Nettelhorst plötzlich, sein Sohn Daniel-Ludwig durfte die Apotheke nicht sofort als „Administrator“ übernehmen, da er noch keine 25 Jahre alt war. Erst eineinhalb Jahre später wurde ihm die Konzession erteilt. 1854 verkauft er das Haus an Max Friedrich Heinemann, drei Jahre später erschießt sich Daniel-Ludwig Nettelhorst und wird „um ein Uhr früh ohne Teilnahme der Kirche zu Grabe getragen“, wie die evangelischen Kirchenbücher dokumentieren.

Der Beginn der Schlotheuber´schen Hirsch-Apotheke

Im Oktober 1870 gelangt die Hirsch-Apotheke dann erstmals in den Besitz der Familie Schlotheuber: Friedrich Schlotheuber setzte damit den Startschuss für das diesjährige Jubiläum der „Schlotheuber‘schen Hirsch-Apotheke“. Dafür leistet er einen Eid mit den aufgehobenen drei Schwurfingern der rechten Hand. Die Einwohnerzahlen stiegen in den folgenden Jahren, Eisenbahnverbindungen entwickelten sich und wirtschaftlich ging es bergauf.

Nach dem Tod Friedrich Schlotheubers 1908 übernahm sein Sohn Julius die Apotheke. Da die Bauern erst nach der Feldarbeit in die Apotheke kamen, konnte er sein Haus am besten in den frühen Nachmittagsstunden verlassen – freilich immer dienstbereit. Kam ein Kunde, hängte die Magd ein großes weißes Tuch aus dem Fenster, um Julius ein Signal zu geben. Das Pflücken von Heilpflanzen war damals noch weit verbreitet: Auf dem Dachgeschoss wurden sie in großen Netzen zu Tees getrocknet. Aus Himbeeren wurde Sirup als Geschmackskorrigens für Arzneien hergestellt.

Julius Schlotheuber starb 1936. „Die Apotheke war als Notstandsapotheke nicht zu verpachten, und so war es ein großes Glück, dass Lieselotte Schlotheuber, schnell und sehr gut ihr Pharmazie-Studium in Münster beenden konnte“, erklärt Hans Schlotheuber. 1948 übernahm sie die Leitung der Hirsch-Apotheke, die sie 1955 an ihren Bruder Jürgen abgab. Unter seiner Leitung – die mehr als 30 Jahre andauerte – wurde das Gebäude der Apotheke renoviert, außerdem setzte er sich schon früh für moderne Organisationssysteme ein. Gemeinsam mit seiner Frau Renate gründete er zudem das Iburger Reformhaus. Nach dem Tod von Jürgen und Renate Schlotheuber bekommen Regina und Hans Schlotheuber – die heutigen Inhaber – das Angebot die Apotheke zu übernehmen, welches sie 1986 in die Tat umsetzen.

1997 gründet Regina Schlotheuber zudem die Mühlentor Apotheke in Bad Iburg, welche sie seitdem leitet. „Die Familie Schlotheuber ist bis heute glücklich, Teil der 150-jährigen Iburger Apothekengeschichte zu sein“, freut sich das Ehepaar. „Leider ist aufgrund der Pandemie aktuell kein offizielles Jubiläum möglich. Das ändert aber nichts an der Geschichte und unserer Dankbarkeit an die Iburger Bürger, die den Apotheken ihr Vertrauen geschenkt haben.“