Pandemie

100 Jahre Spanische Grippe dpa, 18.01.2018 09:51 Uhr

Die Spanische Grippe traf die Menschen ab 1918 so hart wie keine andere Pandemie der Moderne. Foto: Dr. Terrence Tumpey/CDC
Berlin - 

Sie war schnell, ansteckend, tödlich: Die Spanische Grippe traf die Menschen ab 1918 so hart wie keine andere Pandemie der Moderne. Wie konnte das passieren? Und sind wir heute vor derartigen Seuchen gefeit?

Bis sie die Erde umrundet hatte, dauerte es nur wenige Monate. Die Menschen starben ihretwegen reihenweise, besonders im Herbst 1918. Es geht nicht um eine Großmacht im Ersten Weltkrieg (1914-1918), sondern um die Spanische Grippe, an der nach Schätzungen mehr Menschen umkamen als bei den Kampfhandlungen. Sie entwickelte sich in drei Wellen bis 1920 zur schlimmsten Grippe-Pandemie der Geschichte mit 27 bis 50 Millionen, manchen Quellen zufolge sogar bis zu 100 Millionen Toten.

Anders als bei anderen derartigen Katastrophen sucht man Denkmäler und Relikte jener Zeit nahezu vergeblich, selbst Fotos sind eher rar. Einer Art kollektivem Vergessen sei die vielleicht größte Vernichtungswelle der Menschheitsgeschichte anheim gefallen, heißt es in dem Buch „1918 – Die Welt im Fieber“ der Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney, das am 29. Januar erscheint. Erst in jüngerer Vergangenheit sei die Spanische Grippe vermehrt ins Bewusstsein der Menschen gerückt, auch weil sie zum Stoff von Büchern, Filmen und Serien wie „Downton Abbey“ wurde. Zuvor: nicht viel mehr als eine Fußnote des Weltkriegs.

Dabei sollen allein im Deutschen Reich einer Studie zufolge rund 426.000 Menschen der Grippe zum Opfer gefallen sein – das entspricht einer mittleren Großstadt, einfach ausradiert. „Bei unserem heutigen Gesundheitssystem wäre das unerträglich, praktisch nicht vorstellbar“, sagt die Grippe-Expertin Silke Buda vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Gleichwohl: Indien und Südafrika etwa erwischte es sehr viel heftiger. Und längst nicht aus allen Ländern gibt es überhaupt Daten.

Aussagen mit letzter Sicherheit sind daher schwierig. Der Berliner Historiker und Oberarzt der Charité, Wilfried Witte, hat über die Spanische Grippe geforscht. Alles habe recht harmlos begonnen, sagt er. Während der ersten Ansteckungswelle im Frühjahr 1918 erkrankten zwar sehr viele Menschen, aber relativ wenige starben. Im Herbst nahm jedoch eine weitere, tödliche Welle ihren Lauf. Gerade dort, wo Menschen geballt aufeinander trafen, wie in Rekruten- und Kriegsgefangenenlagern, hätten sich auf einen Schlag zahlreiche Menschen angesteckt.

„Die meisten sind an einem akuten Lungenversagen gestorben. Das ging rapide schnell vonstatten“, sagt Witte. Therapien wie invasive Beatmung standen Ärzten noch nicht zur Verfügung. Wenn überhaupt, dann hätten Kranke in der Regel Mittel zur Kreislaufstärkung bekommen. „So etwas hat natürlich nicht geholfen“, so Witte.

Selbst der spanische König soll an dem damals noch unbekannten Erreger erkrankt sein. Das ist ein Grund, aus dem die Pandemie als „Spanische Grippe“ in die Geschichte einging. Dass sie nicht von dort kam, ist aber relativ sicher. Um den wahren Ursprung ranken sich mehrere Theorien. Witte zufolge wird angenommen, dass im März 1918 zuerst Schüler und Soldaten im US-Bundesstaat Kansas erkrankten. Mit Truppenschiffen soll das Virus auch nach Europa gelangt sein. Die Menschen steckten sich durch winzige Tröpfchen beim Husten oder Niesen an, wohl jeder Ort hatte Opfer zu beklagen.

Ärzte sahen bei Infizierten gewisse Muster: Nicht nur starben ungewöhnlich oft vermeintlich robuste Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Auch hatte sich die Haut der Erkrankten oft dunkelblau verfärbt – Zeichen der Unterversorgung mit Sauerstoff, wie Witte sagt. Wegen des fast schon schwarzen Teints hätten sich die Menschen an die Pest erinnert gefühlt.

Zeitgenössische Ärzte hielten ein „Grippe-Bakterium“ für die Ursache, obwohl man diese Theorie damals schon anzweifelte. Der wahre Auslöser, das Influenza-Virus, sollte später entdeckt werden – 1933. Inzwischen sehen Wissenschaftler die Spanische Grippe nicht mehr unbedingt als Einzelfall, sondern als Prototyp von Pandemien. Sie kann sich wiederholen – das zeigten etwa die Asiatische Grippe (1957) und die Hongkong-Grippe (1968), wenn auch in geringerem Ausmaß.

Und in Zukunft? Damals seien die Umstände andere gewesen als heute, betont Buda. Genau die gleiche Situation wie 1918 werde so nicht mehr eintreten. Damals seien die Lebensbedingungen viel schlechter gewesen. Viele Menschen hätten auch zusätzlich schon andere Krankheiten wie Tuberkulose (Schwindsucht) gehabt. Gegen oftmals tödliche bakterielle Lungenentzündungen, die auf die Grippe folgten, waren Ärzte machtlos: Antibiotika gab es noch nicht.

Gleichwohl gebe es heute andere große Herausforderungen, sagt Buda. Dazu gehörten zum Beispiel zunehmende Antibiotika-Resistenzen. Zudem könne der globale Reiseverkehr zu einer noch viel schnelleren Virus-Verbreitung weltweit führen als 1918. „Die Menschen werden heute zudem sehr viel älter als früher, haben dann aber oftmals Grunderkrankungen und sind anfälliger für schwere Krankheitsverläufe“, sagt sie.

Klar ist für Experten: Es muss nicht zwangsläufig im Winter zu einer Pandemie kommen. Ganzjährig hat das RKI deshalb ein Auge auf akute Atemwegserkrankungen. Auch potenziell pandemische Viren weltweit sind im Blick: „Es ist eher wahrscheinlich, dass ein Virus sich im Moment in Vögeln oder Schweinen vermehrt und noch nicht die Fähigkeit hat, von Mensch zu Mensch übertragbar zu sein“, sagt Buda.

Bestimmte Vogelgrippe-Viren in China würden derzeit als mögliche Pandemie-Auslöser angesehen. Diese Einschätzung bedeute aber noch lange nicht, dass diese Erreger tatsächlich eine Pandemie auslösen können, betont Buda.