Porträt

Schnelles Geld, beständige Werte Patrick Hollstein, 10.12.2008 10:46 Uhr

Berlin - 

Mit schnellem Geld beständige Werte schaffen: Mit dieser Philosophie ist Adolf Merckle jahrelang erfolgreich gewesen - und zuletzt doch schwer gestauchelt. Den von seinem Vater geerbten Pharmahersteller führte Merckle mit neuem Konzept und unter neuer Marke zu weltweiter Bekanntheit. Das Geschäftsmodell des Großvaters, den pharmazeutischen Großhandel, machte Merckle mit Phoenix seit den 1990er-Jahren zum europaweiten Erfolg. An der Einverleibung von Heidelberg Cement, einer traditionellen Beteiligung der Familie mütterlicherseits, könnte sich Merckle jedoch angesichts der Finanzkrise überhoben haben.

Seit Jahrzehnten soll der Unternehmer die rasante Expansion seines Imperiums auch mit Gewinnen aus Aktiengeschäften finanziert haben. Ausgerechnet bei einem der letzten Teile im traditionsbewussten Portfolio-Puzzle ist die Spekulation schief gegangen: In der Hoffnung auf schnelles Geld aus VW-Aktien hat Merckle ein möglicherweise milliardenschweres Finanzloch gerissen, das offenbar nur mit dem Verkauf von wichtigen Firmen behoben werden kann. Die Dynastie ist angeschlagen.

Merckle wurde 1934 in Dresden geboren, zu einer Zeit, in der das Pharmageschäft der Familie florierte. Schon 1881 hatte Merckles Großvater Adolf im nordböhmischen Aussig an der Elbe eine Drogen- und Arzneimittelgroßhandlung gegründet; 1915 war Merckles Vater Ludwig zusätzlich in die Produktion eingestiegen. Neben Pudern, Cremes und Hustensäften entstanden in der Auftragsproduktion auch Nivea-Creme und Desitin-Wundcreme.

1945 werden die Merckles als Sudetendeutsche enteignet und müssen nach Blaubeuren bei Ulm fliehen. Hier leben die Verwandten von Merckles Mutter Luise Spohn, die als Inhaber einer Zementfabrik den Merckles beim Neustart helfen.

Mit nur einer einzigen aus Aussig geretteten Tablettenpresse fängt Merckles Vater von vorne an. Per Leiterwagen liefert er seine Arzneimittel an die Ärzte der Gegend. Es geht langsam bergauf, den Durchbruch liefert das Rheumamittel „Ambene“.

1967 steigt Merckle, damals 33 Jahre alt, nach dem Studium in Hamburg, Tübingen und Grenoble sowie Tätigkeit als Anwalt in Hamburg in das Geschäft seines Vaters ein. 1974 startet Merckle seine Generikasparte Ratiopharm, die schon vier Jahre später das Stammgeschäft überrundet. 1985 nimmt Ratiopharm die Umsatzschwelle von 100 Millionen Mark.

Anfang der 1990er-Jahre fusioniert Merckle gegen Bedenken des Kartellamts die Großhändler Otto Stumpf, F. Reichelt, Hageda und Ferd. Schulze, bei denen er sich zuvor eingekauft hatte. Dank der rasanten Expansion im Ausland steigt Phoenix schnell zu einem der Marktführer in Europa auf.

Weitere Beteiligungen hält Merckle an Kässbohrer, dem Getriebehersteller Zollern sowie zahlriechen weiteren Firmen. Dazu kommen ein Skigebiet und zahlreiche Hektar Wald - Merckle gilt als einer der größten privaten Waldbesitzer Deutschlands - sowie das Gut Hohen Luckow bei Rostock. Der Patriarch regiert mit eiserner Hand, daran kann auch die religiös angehauchte soziale Art von Ehefrau Ruth aus der Ulmer Zement-Dynastie Schwenk/Schleicher nichts ändern.

Im Februar 2005 betraut Merckle den bisherigen Phoenix-Chef Dr. Bernd Scheifele, neben Finanzchefin Dr. Susanne Frieß einer der wichtigsten Vertrauten Merckles, mit einer neuen Aufgabe: der Führung von Heidelberg Cement. Schon im Herbst 2005 hält Merckle nach einem milliardenschwerden Übernahmeangebot mehr als drei Viertel der Anteile am Zementhersteller. Es folgt eine Kapitalerhöhung und die Übernahme des britischen Mitbewerbers Hanson. Heidelberg Cement steht an der Spitze - und Merckle kurz vor dem Ziel.

Doch die Finanzkrise trifft den Unternehmer hart: Merckle und seine Unternehmenslenker versuchen, durch Wetten auf VW-Aktien fehlende Mittel herbei zu peitschen: Um Kapitalerhöhungen durchzuführen, hatte Merckle Kredite mit Aktien besichert, die auf einen Schlag weniger wert waren. Merckle sucht ein Ausgleichsgeschäft, doch der Plan schlägt fehl. Seit Wochen versuchen rund 40 Banken, das Gewirr aus steuergünstigen Beteiligungen und Finanzdrehscheiben zu entflechten, um einzelne Unternehmen herauslösen zu können.

Die schwere Krise geht an der Familie nicht spurlos vorüber: Während Merckles ältester Sohn Ludwig als Wirtschaftswissenschaftler die Führung der Geschäfte übernommen hat und gelegentlich Auskunft über die aktuellsten Entwicklungen gibt, hat sich Philipp-Daniel, promovierter Apotheker, vor kurzem vom Firmenkollaps distanziert - und damit möglicherweise für seinen Rausschmiss bei Ratiopharm revanchiert. Die beiden Jüngsten Jutta und Tobias sind nicht im Imperium des Vaters aktiv.

Nun meldete sich der Patriarch im Interview mit der FAZ selbst zu Wort. Die Situation sei sehr herausfordernd; es sei ihm wichtig, eine Lösung für seine über Jahrzehnte aufgebauten - und operativ bestens aufgestellten - Firmen zu kämpfen. Und dann gesteht der begeisterte Bergsteiger, der mit Frau und Familie zahlreiche Gipfel bezwungen hat und sogar als Namensgeber für einen 5000er in Bhutan gilt, wie sehr ihn die öffentliche Meinung über ihn verletzt.

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Ein umfangreiches Porträt der Unternehmerfamilie Merckle findet sich in dem Buch

Ulrich Viehöver
„Die EinflussReichen“
Campus Verlag