Pharma-Mittelstand

Der Inhaber führt! Patrick Hollstein, 02.12.2015 10:16 Uhr

Berlin - 

An wen denkt man zuerst, wenn von Arzneimittelherstellern die Rede ist? An Bayer, Boehringer oder Pfizer vermutlich. Auch die aktuelle Übernahmewelle mit Rekordpreisen im dreistelligen Milliardenbereich erweckt den Anschein, an globaler Größe führe kein Weg vorbei. Tatsächlich ist die Branche in Deutschland nach wie vor mittelständisch geprägt – mit Umsätzen in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe. Laut Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) beschäftigen 93 Prozent der Pharmahersteller hierzulande weniger als 500 Mitarbeiter, 76 Prozent sogar weniger als 100. Auch bei den Neuzulassungen können Familienunternehmen durchaus mit den Großkonzernen mithalten. Unter dem Motto „Der Inhaber führt!“ stellt APOTHEKE ADHOC ab sofort regelmäßig die Mittelständler im deutschen Pharmamarkt vor: Dynastisch geprägte Unternehmen und quirlige Newcomer. Familien, die die Geschäfte noch selbst leiten, und Gesellschafter, die die Verantwortung für das Tagesgeschäft abgegeben haben. Firmen, die sprichwörtlich voll im Saft stehen, und Marken, die eine Verjüngungskur vor oder hinter sich haben.

Dr. Willmar Schwabe: Das Karlsruher Unternehmen Dr. Willmar Schwabe ist Marktführer im Bereich der pflanzlichen Arzneimittel. Der Hersteller mit rund 3300 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 735 Millionen Euro wird ab dem Frühjahr von Olaf Schwabe in der fünften Generation geführt; bislang war die Familie nur im Beirat und im Vorstand der Familienstiftung aktiv. Der Ursprung der Firma liegt in der Leipziger „Fabrikationsstätte für die Zubereitung von Arzneimitteln“, die 1866 vom Apotheker Dr. Willmar Schwabe gegründet wurde. 1961 wurde die Deutsche Homöopathie-Union (DHU) gegründet.

Pohl-Boskamp: Von Schlesien nach Schleswig-Holstein: In den Kriegswirren verschlug es Pohl-Boskamp nach Hohenlockstedt. Hier gelang dem Familienunternehmen der Durchbruch, insbesondere als in den 1970er Jahren die Marke Gelomyrtol in ihrer heutigen Form eingeführt wurde. Die Ursprünge gehen auf zwei Apotheken in Berlin und Danzig zurück, die im 19. Jahrhundert das Privileg zur Herstellung von Gelatinekapseln erhalten hatten. Aus der Hausspezialität wurde bald die Fertigung im industriellen Maßstab. Marianne Boskamp ist seit 1991 in vierter Generation im Management vertreten. Die Betriebswirtin übernahm nach dem Tod ihres Vaters Arthur Boskamp als Geschäftsführende Gesellschafterin die Führung komplett.

Medice: Vier Jahre nach der Gründung von Medice legte Firmenchef Gustav Pütter 1953 mit der Einführung von Meditonsin den Grundstein für den wirtschaftlichen Erfolg seines Unternehmens. Nach dem Tod seines Vaters übernahm 1977 Dr. Sigurd Pütter die Leitung der Firma. Mit dem Seniorchef, seiner Tochter Dr. Katja Pütter-Ammer und deren Mann Dr. Dr. Richard Ammer leitet die Familie die Geschäfte nach wie vor selbst. Ein Schwerpunkt sind Medikamente zur Behandlung von ADHS, 2006 wurde außerdem die OTC-Sparte der Rentschler-Gruppe (Dorithricin, Soventol, Tannacomp) übernommen. Eine weitere bekannte Marke ist Perenterol. Heute macht der OTC-Bereich einen wichtigen Teil des Umsatzes von rund 171 Millionen Euro aus.

Infectopharm: Vergleichsweise jung ist Infectopharm: Seit der Gründung im Jahr 1988 hat sich das Familienunternehmen aus dem hessischen Heppenheim schnell bei Kinderärzten etabliert. Firmengründer Dr. Manfred Zöller verstarb 2011. Gemeinsam mit dem früheren Merck-Manager Dr. Markus Rudolph und Dr. Norbert Stempel leiten Monika und Philipp Zöller heute das Unternehmen.

Hennig: Hennig Arzneimittel behauptet sich seit mehr als 115 Jahren am Markt. Das Unternehmen mit Sitz in Flörsheim am Main wurde 1898 vom Chemiker Max Hennig in Berlin gegründet; nach dem Weltkrieg übernahm mit Kurt Moschner ein ehemaliger Mitarbeiter den Wiederaufbau. Heute führen die Brüder Holger und Dr. Kai Schleenhain das Unternehmen in vierter Generation. Eines der wichtigsten Produkte, Arlevert zur Behandlung von Schwindel, wurde 1982 eingeführt. Aktuell sucht Hennig den Erfolg auch mit nicht verschreibungspflichtigen Präparaten.

Krewel Meuselbach: Krewel Meuselbach gehört zu den ältesten Pharmaherstellern in Deutschland. Nach der Wende übernahm der nordrhein-westfälische Aspecton-Hersteller die thüringische Meuselbach (Hedelix). Deren Wurzeln reichen bis ins Jahr 1745 zurück. Als im Juni 2011 die langjährige Firmenchefin Ingeborg Viefhues verstarb, war schnell klar, dass es einen Verkauf von Krewel Meuselbach nicht geben würde. In ihrem Testament hatte die Tochter von Firmengründer Dr. Ernst Georg Blank verfügt, dass das Unternehmen in wirtschaftlicher Selbstständigkeit fortzuführen sei.

Wörwag: Wörwag gehörte zu den Rabattvertragspartnern der ersten Stunde und hat außerdem sogenannte Biofaktoren im Sortiment. Der Jahresumsatz des 1965 gegründeten Unternehmens liegt bei rund 170 Millionen Euro, davon werden mehr als drei Viertel im Ausland erzielt. Im Jahr 2000 übernahmen Monika Wörwag und Dr. Marcus Wörwag in zweiter Generation die Führung des Unternehmens. Firmengründer Dr. Fritz Wörwag betreibt nach wie vor die Stadtapotheke in Stuttgart-Zuffenhausen.

Biomo: Auch Biomo wurde der breiten Fachöffentlichkeit 2007 mit den ersten Rabattverträgen der AOK bekannt. Das Familienunternehmen aus Hennef lieferte Omeprazol und Metformin; heute gehören neben Generika auch Lifestyleprodukte wie die Diätlinie Xlim aktiv zum Sortiment. Firmengründer Dr. Karl-Georg Mothes machte sich 1986 selbstständig; der ehemalige Manager von Schwarz Pharma gehört zu den schillerndsten Figuren in der deutschen Pharmabranche. Heute ist auch sein Sohn Patrick in das Geschäft eingespannt, genauso wie Tochter Diane.

Orthomol: Hochdosiert und hochpreisig: Wohl kaum ein anderer Hersteller polarisiert so sehr wie Orthomol. Buchstäblich in der Garage begann 1991 die Geschichte des Unternehmens aus dem nordrhein-westfälischen Langenfeld; die ganze Familie von Dr. Kristian Glagau packte mit an. Als der Firmengründer 2009 überraschend starb, trat sein Sohn Kristian die Nachfolge in der Geschäftsführung an.

Repha: Kapuzinerkresse ist für Repha eine exklusive Pflanze. Der niedersächsische OTC-Hersteller wurde 1925 von Friedrich Bradtmöller gegründet und hat sich die Züchtung „Red Shield“ schützen lassen. Die Arzneipflanze ist ein Bestandteil des Hauptprodukts Angocin. Der Urenkel des Firmengründers, Björn Bradtmöller, ist Apotheker und heute für Qualitätskontrolle und Einkauf verantwortlich. An seiner Seite sitzt Dr. Karl-Heinz Goos, ebenfalls Apotheker und seit 30 Jahren im Unternehmen tätig. Er verantwortet die Bereiche Marketing und Vertrieb, Recht und Medizin.

Mundipharma: Hinter dem Analgetika-Spezialisten Mundipharma steht die Familie um die einflussreichen Ärzte Raymond und Mortimer Sackler aus New York. 1967 als Schwesterfirma des US-Herstellers Purdue in Frankfurt gegründet, fuhr das Unternehmen in den 1970er Jahren mit Betaisodona die ersten Erfolge ein. Anfang der 1980er Jahre wurden Retardformen entwickelt und gezielt für die Verbesserung stark wirksamer Schmerzmittel genutzt.

Dr. Kade: Seit 126 Jahren gibt es Dr. Kade. Das Berliner Pharmaunternehmen mit den Schwerpunkten Gynäkologie, Proktologie und Schmerz erhielt vor zweieinhalb Jahren überraschend den Zuschlag für die Nycomed-Marken Riopan, Faktu, Sanostol und Buer Lecithin. Mit Arthur Sackler ist seit 1975 die vierte Generation im Unternehmen aktiv; er ist der Cousin des Mundipharma-Gründer Raymond Sackler.

Galenpharma: 1956 gründeten die beiden Ärzte Frederik und Otto Paulsen die Firma Ferring Arzneimittel, die in Deutschland Pionier auf dem Gebiet der endokrinen Hormone und Corticoide war. 1989 verkauften die Brüder die Firma an die international tätige Ferring-Gruppe und legten mit Galenpharma nach. Geschäftsführer ist Apotheker Jan Paul Paulsen, Sohn von Dr. Otto Paulsen.

Desitin: Der Hamburger Hersteller Desitin hat sich auf Produkte für das Zentralnervensystem (ZNS) spezialisiert. Die 1919 in Berlin gegründete Firma beschäftigt rund 300 Mitarbeiter. Gesellschafter sind drei Familien aus Hamburg, Heidelberg und Bayern, die allerdings ins operative Geschäft nicht eingebunden sind.

Dr. Falk: Die Arbeit in der väterlichen Apotheke war Herbert Falk offenbar nicht genug: Nebenher entwickelte er Herz-Kreislauf-Tropfen, die in den 1950er Jahren in Freiburg und Umgebung guten Absatz fanden. Nachdem er auch noch ein Medizinstudium absolviert hatte, gründete er den Hersteller Remefa, der seit 1963 als Dr. Falk firmiert und sich mit Präparaten für die inneren Organe einen Namen gemacht hat. Heute leitet Ursula Falk, Ehefrau des 2008 verstorbenen Firmengründers das Unternehmen. Die Übergabe an die nächste Generation kam bislang nicht zustande.

Klosterfrau: Der Firmname Klosterfrau hat einen historischen Kern: 1826 hatte die Nonne Maria Clementine Martin am Fuße des Doms damit begonnen, Kölnisch Wasser und Melissengeist herzustellen. 1933 übernahm Wilhelm Doerenkamp das Unternehmen, das bis dahin der Schaeben-Familie gehörte. Schon in den 1970er Jahren hatte der Konsul das Firmenkapital in eine Stiftung eingebracht – und Klosterfrau damit faktisch unverkäuflich gemacht.

Hermes: Ähnliche Pläne gibt es dem Vernehmen nach bei Hermes Arzneimittel: Firmenchef Johannes Burges führt das 1907 von seinem Großvater Franz Gradinger gegründete Unternehmen seit 1970. Ursprünglich als Teehersteller gestartet, ist Hermes heute als OTC- und Lohnhersteller aktiv. 700 Mitarbeiter arbeiten für Hermes am villenartigen Firmensitz in Großhesselohe, in der österreichischen Zentrale in Wien sowie in den beiden Produktionsstandorten in Wolfratshausen und Wolfsberg/Österreich.

Dr. Pfleger: Auch der Ipalat-Hersteller gehört seit dem Tod des Firmengründers Robert Pfleger im Jahr 1971 zu einer Stiftung. Die Gewinne werden in gemeinnützige Projekte investiert.

Wala: Auch die Erträge von Wala und Dr. Hauschka fließen seit 1986 als „Mittel zum Zweck“ in eine Stiftung. Die Gewinne dienen der Zukunftssicherung und ermöglichen laut Unternehmen Investitionen oder werden an die Mitarbeiter ausgeschüttet.

Weleda: Gesellschafter von Weleda sind die Anthroposophische Gesellschaft und das gemeinnützige Klinisch-Therapeutische Institut der Ita Wegman-Klinik, die je ein Drittel der Anteile halten. Der Rest befindet sich in Streubesitz. Unter den rund 500 Aktionären ist auch dm-Chef Professor Dr. Götz Werner, der wiederum vor fünf Jahren knapp 15 Prozent der Drogeriekette in die dm-Werner-Stiftung eingebracht hatte. Aus den Erträgen des Konzerns sollen Projekte des Gemeinwohls finanziert werden.

Dr. Wolff: Kurt wie Kosmetik, August wie Arzneimittel: Marken wie Alpecin, Alcina, Plantur, Biorepair, Linola und Vagisan sind in Drogerie und Apotheke gleichermaßen erfolgreich. Das Familienunternehmen wurde 1905 vom Apotheker Dr. August Wolff unter dem Namen „Sudbracker Nährmittel Vinces“ gegründet. Heute führen dessen Urenkel Christoph Harras-Wolff und Eduard R. Dörrenberg als Inhaber sowie Carsten Heins das Geschäft.

Merz: Ebenfalls kein Problem mit unterschiedlichen Vertriebskanälen hat Merz. Mit seinen Ästhetikprodukten ist der Frankfurter Hersteller bei den Ärzten präsent, ein wichtiger Umsatzbringer war bis zum Patentablauf auch das Demenzmittel Axura. Mit Tetesept ist Merz dagegen vor allem im Mass Market zu finden – mitunter ähneln die Produkte erfolgreichen Marken aus der Apotheke.

Zur Gruppe gehört auch der Schreibgerätehersteller Senator. Im Gesellschafterbeirat vertreten seit 2012 Andreas Meyer und Christian Baatz in vierter Generation die Interessen der knapp 20 Gesellschafter, gemeinsam mit den externen Managern Michael von Truchsess und Andreas Krebs.

Queisser: In Flensburg ist die Familie Dethleffsen eine feste Größe. Ihr gehören unter anderem die Förde-Reederei sowie Beteiligungen an der Reinigungsfirma Beyersdorf (Mr. Clean) und der Flensburger Brauerei. Sehr gut entwickelt sich der Doppelherz-Hersteller Queisser, den die Familie Ende der 1970er-Jahre gekauft hatte. Heute sind in achter Generation sieben Familienmitglieder gemeinsam aktiv. Um die Geschäfte der HGDF Familienholding kümmern sich die Cousins Andreas und Hermann Dethleffsen.

Bionorica: Als Michael Popp 1988 erst in die Geschäftsführung von Bionorica einsteigt und kurz darauf die Leitung komplett übernimmt, ist er noch keine 30 Jahre alt. Sein pharmazeutisches Staatsexamen hat er gerade in der Tasche, dazu eine klare Vision, wie er das Unternehmen seiner Familie in die Zukunft führen will: Er will den pflanzlichen Produkten zu wissenschaftlicher Anerkennung verhelfen – ohne die naturheilkundliche Klientel zu verprellen. Der Spagat gelingt. Bionorica ist einer der erfolgreichsten Phytohersteller in Deutschland. Nur die Russland-Krise macht dem Unternehmen aus Neumarkt derzeit zu schaffen.

Engelhard: In der Rosen-Apotheke in Frankfurt entwickelt Karl Philipp Engelhard ab 1861 eine Paste aus der Flechte Isländisch Moos, die 1868 auf den Markt kommt und aus der später die Isla-Pastillen werden. 1872 gründet Engelhard die Fabrik pharmazeutischer Präparate; nach einem Ausflug ins Rx-Segment setzt das Unternehmen ganz auf die Selbstmedikation.

Den Prospan-Hersteller leitet die Gründerfamilie heute in vierter und fünfter Generation: Richard Mark Engelhard ist für die technischen Belange zuständig und vertritt das Unternehmen im Vorstand des BPI. Oliver Karl Maximilian Engelhard kümmert sich um Vertrieb und Marketing. Außerdem ist in der Geschäftsführung Dr. Rolf Engelhard vertreten.

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