Ware weiter verkehrsfähig

Orthomol & Co.: EuGH rasiert Freiwahl Patrick Hollstein, 27.10.2022 15:43 Uhr

Der EuGH legt die Vorgaben für bilanzierte Diäten eng aus.
Berlin - 

Die Apotheken stehen vor einem Kahlschlag in der Freiwahl. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Vorgaben für bilanzierte Diäten eng ausgelegt. Damit dürfen entsprechende Produkte nicht mehr mit einem bestimmten Anwendungsgebiet verkauft werden, sofern sie nicht wirklich ganz konkret dafür zusammengesetzt sind. Wichtig: Derzeit gibt es keinen Handlungsbedarf für die Apotheken.

Im konkreten Fall ging es um „Orthomol immun“ und „Orthomol AMD extra“. Beide Produkte werden als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke vertrieben – zu Unrecht, wie der Verband Sozialer Wettbewerb (VSW) fand. Der Wettbewerbsverein mahnte den Hersteller ab und zog schließlich vor Gericht. Das Landgericht Düsseldorf (LG) entschied gegen das Unternehmen, das Oberlandesgericht legte den Fall beim EuGH vor.

Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke oder auch ergänzende bilanzierte Diäten (EBD) stehen zwischen Nahrungsergänzungsmittel (NEM) und Arzneimittel. Sie dürfen mit einer bestimmten Indikation beworben werden – sofern ihr Nutzen dafür nachgewiesen ist. Orthomol wirbt für das Immun-Produkt etwa mit dem Hinweis auf eine „ernährungsmedizinische Unterstützung des Immunsystems“ beziehungsweise dem Einsatz „zum Diätmanagement bei nutritiv bedingten Immundefiziten (z. B. bei rezidivierenden Atemwegsinfekten)“. Das AMD-Präparat dient demnach „zum Diätmanagement bei fortgeschrittener altersabhängiger Makuladegeneration (AMD)“.

Der Hersteller hat sogar umfangreiche placebokontrollierte Studien zu seinen Produkten durchgeführt. Zur Wirkung von „Orthomol Immun“ bei rezidivierenden Atemwegsinfekten gebe es eine Untersuchung, genauso wie zum verlangsamten Fortschreiten bei AMD nach Einnahme des zweiten Produkts.

Schon das LG hatte aber die Ansicht vertreten, dass es für die Einstufung eines Erzeugnisses als EBD nicht ausreiche, dass die Nährstoffe generell positive Auswirkungen auf eine bestimmte Krankheit hätten. Definiert sei die Produktgruppe laut EU-Verordnung wie folgt: „Unter ärztlicher Aufsicht zu verwendende Lebensmittel zum Diätmanagement von Patienten [...], die in spezieller Weise verarbeitet oder formuliert werden; sie sind zur ausschließlichen oder teil­weisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Auf­nahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder Stoffwechselprodukte oder von Pateinten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf bestimmt [...], für deren Diätmanagement die Modifizierung der normalen Ernährung allein nicht ausreicht.“

So sah es jetzt auch der EuGH, der die Definition – anders als zuvor der Bundesgerichtshof (BGH) – eng auslegte: Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke müssten den konkreten Ernährungsanforderungen entsprechen, die „durch eine spezifische Krankheit, eine spezifische Störung oder spezifische Beschwerden bestimmt“ seien.

Abgrenzung zum Arzneimittel

Produkte, die dem Patienten dagegen nur allgemein einen Nutzen verschaffen, weil „darin enthaltene Stoffe einer Störung entgegenwirken oder deren Symptome lindern“, seien nicht in diese Produktkategorie einzustufen. Denn ansonsten würden „die Besonderheiten der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke verkannt und insbesondere die Unterscheidung zwischen solchen Lebensmitteln und Arzneimitteln in Frage gestellt“.

Fazit des EuGH: „Folglich reicht der Umstand, dass ein Erzeugnis es ermöglicht, durch Nährstoffzufuhr einer Krankheit, einer Störung oder Beschwerden anderweitig entgegenzuwirken, nicht aus, um dieses Erzeugnis als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke einzustufen, wenn das fragliche Erzeugnis nicht dazu dient, den durch eine Krankheit, eine Störung oder Beschwerden bedingten besonderen Ernährungsanforderungen gerecht zu werden.“

Werbeaussagen verschwinden

Nun muss das OLG noch in der Sache entscheiden, den Herstellern ist aber klar, wohin die Reise geht. Nicht nur Orthomol, sondern auch andere Firmen werden nun ihr Sortiment genau überprüfen müssen. Am Ende werden wohl zahlreiche Produkte umklassifiziert – mit der Folge, dass der konkrete Produktnutzen nur noch zurückhaltend kommuniziert wird. Der Hersteller aus Langenfeld hat bereits angefangen: Orthomol immun wird als NEM zur Unterstützung des Immunsystems vertrieben. Auch Orthomol arthro wurde bereits in Orthomol chondroplus umbenannt. Auch ähnliche Produkte von anderen Herstellern werden künftig wohl ein weniger konkretes Anwendungsgebiet ausweisen.