Neuss: Großhandel im Koalitionsvertrag nicht bedacht 28.06.2025 17:36 Uhr
Heute fand die Vertreterversammlung der Sanacorp in München statt. In seiner ersten Eröffnungsrede als Vorstandsvorsitzender sprach Patrick Neuss über aktuelle Herausforderungen und strategische Entwicklungen. Auch die Lage der Apotheken griff er auf: Zwar wecke der Koalitionsvertrag Hoffnung – insbesondere mit Blick auf eine bessere Vergütung –, doch der Weg zur Umsetzung sei lang und die Maßnahmen stünden unter Finanzierungsvorbehalt. Für den pharmazeutischen Großhandel finde der Koalitionsvertrag hingegen kaum Beachtung.
Die Bedingungen, unter denen man heute zusammenkomme, sind geprägt von einer Welt in Unruhe und Unsicherheit, leitete Neuss seine Rede ein. Der Krieg in der Ukraine und die Eskalation im Nahen Osten erschütterten internationale Beziehungen, Handelskonflikte etwa zwischen den USA und China beeinflussten globale Lieferketten. Gleichzeitig setzten Inflation, Zinswende und konjunkturelle Unsicherheiten Unternehmen weltweit unter Druck. Auch der Klimawandel verstärke soziale Spannungen und stelle Gesellschaften zunehmend vor strukturelle Herausforderungen.
„All das zeigt: Die internationale Lage ist fragil, und ihre Auswirkungen spüren wir auch im deutschen Markt in unserer Branche und im Alltag Ihrer Apotheken“, so Neuss. Die Zahl der Apotheken sinke kontinuierlich, während gleichzeitig Lieferengpässe bei wichtigen Arzneimitteln – von Antibiotika über Fiebersäfte bis hin zu Krebsmedikamenten – zunehmen würden.
„Nach drei Jahren der Verunsicherung durch teilweise abenteuerliche Vorschläge im Rahmen der geplanten Apothekenreform gibt es nun endlich auch mal erste Zeichen der Anerkennung und Bewegung in die richtige Richtung“, so Neuss weiter. Im Koalitionsvertrag sei erstmals explizit eine bessere Vergütung für Apotheken vorgesehen. „Ein wichtiges politisches Signal“, lobt Neuss. Allerdings sei auch klar, dass der Weg von einer Klausel im Koalitionsvertrag bis zur tatsächlichen Umsetzung sehr steinig sein könne und die Maßnahmen zudem unter Finanzierungsvorbehalt stünden. Diesen Weg wolle man gemeinsam aktiv gestalten.
Fokus auf Verteidigung
Es gebe viele Themen, die schnelles politisches Handeln erforderten. „Die Zeit drängt“, erklärt Neuss. Aktuell sieht er Grund zur Zuversicht: Sowohl bei der Union als auch bei der SPD scheine politischer Wille vorhanden zu sein. Man sei selbstverständlich auch auf dem politischen Parkett aktiv. Der Koalitionsvertrag zeige, dass die Politik den Handlungsdruck „zumindest mit Blick auf die Existenzsicherung der Apotheken vor Ort“ verstanden habe.
Gleichzeitig liege der politische Fokus derzeit stark auf der Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands. Durch neue Schulden wurden Finanzpakete für Verteidigung, Infrastruktur und Klima auf den Weg gebracht. Außerdem wurde die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben angepasst.
„Und die Gründe sind ja nachvollziehbar – Doch dieser Umstand lässt uns alle aufhorchen“, so Neuss. Denn erstens, müsse trotz der Finanzpakete bei den anderen Ausgabenbereichen massiv gespart werden, zudem belaste der Tilgungsplan auch die nachfolgenden Generationen.
Die Sanacorp werde sich mit aller Kraft in allen Kanälen und Gremien dafür einsetzen, dass trotz der knappen Finanzlage „die richtigen Weichen für unser Wirkungsfeld gestellt werden“. Dazu gehören eine bessere Verteilung der vorhandenen Mittel sowie eine Aufstockung – zugunsten der Patientinnen und Patienten und der qualitativ hochwertigen Apothekenlandschaft.
Großhandel nicht bedacht
Im Gegensatz zu den Apotheken werde der Großhandel im Koalitionsvertrag nicht berücksichtigt „Wir als pharmazeutischer Großhändler brauchen dringend ein dynamisches Vergütungssystem und dafür kämpfen wir auch“, so Neuss.
Der Anteil an Betäubungsmitteln und kühlkettenpflichtigen Arzneimitteln steige kontinuierlich – und so auch die damit verbundenen Kosten. Hinzu kämen aufgrund der Inflation der letzten Jahre höhere Energie- und Zinskosten sowie deutlich gestiegene Tariflöhne. Auf der Einnahmenseite verhindere insbesondere der gesetzliche Margendeckel bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln jedoch jegliche Erhöhung. „Die Folge ist logisch: Das System droht zu kippen“, warnt Neuss.
Skonto-Urteil
Auch auf das Anfang des vergangenen Jahres ergangene Skonto-Urteil ging Neuss ein. Das Skonto-Verbot habe tatsächlich zu Mehreinnahmen für die Genossenschaft geführt, die man verantwortungsvoll investieren wolle. Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Aufhebung erscheine zwar auf den ersten Blick als Entlastung für die Apotheken, löse jedoch das grundlegende Problem der chronisch unterfinanzierten Arzneimittelversorgung nicht nachhaltig.
Vielmehr besteht die Gefahr, dass erneut Spannungen innerhalb der Versorgungskette entstehen, warnt er. „Denn was kurzfristig als Erleichterung für Apotheken gedacht ist, führt auf Seiten von uns – des Großhandels – zu erheblichen wirtschaftlichen Belastungen und schwächt“, erklärt Neuss.
Zwar stünde bei der Genossenschaft nicht die Gewinnmaximierung, sondern die wirtschaftliche Unterstützung und Förderung der Mitglieder im Fokus – daher habe man die Konditionsanpassungen stets auf das zum jeweiligen Zeitpunkt notwendige Mindestmaß beschränkt. Dennoch könne die Sanacorp ihrem Unternehmenszweck nur dann nachhaltig nachkommen, wenn sie selbst wirtschaftlich gesund und handlungsfähig bleibe.
Dabei stellte Neuss auch klar, dass der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil festgehalten hat, dass es Aufgabe des Gesetzgebers ist, für eine auskömmliche Vergütung der Apotheken zu sorgen – nicht des Großhandels.
Ungleichbehandlung Versender
Apotheken stellen gemeinsam mit dem vollversorgenden Großhandel sicher, dass die Bevölkerung jederzeit und flächendeckend mit den notwendigen Arzneimitteln versorgt ist. Darüber hinaus bieten Apotheken eine umfassende heilberufliche Beratung, individuelle Rezepturen sowie Nacht- und Notdienste an. Diese zusätzlichen Leistungen werden jedoch oft nicht angemessen vergütet. Hier gilt das Prinzip der Mischkalkulation.
Das wäre akzeptabel, wenn nicht investorengetriebene Akteure nach dem Prinzip des Cherrypickings einzelne margenträchtige Teilbereiche herausgreifen, diese mit enormen Marketingbudgets an sich reißen und die weniger lukrativen Bereiche einfach nicht bedienen würden. „Daher ist es völlig indiskutabel und überhaupt nicht nachvollziehbar, dass sich in unserem Land einige Marktteilnehmer trotz umfassender Regulator fast schon anarchisch entfalten können“, so Neuss. Als Beispiel nennt er die Einhaltung der Kühlkette beim Transport.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland seien eindeutig – das Problem liege jedoch in der Kontrolle. In der Lieferkette über Großhandel und Apotheke würden regelmäßig und entlang der gesamten Kette Kontrollen zur Einhaltung der zulässigen Temperaturen stattfinden. Bei den ausländischen Versandhändlern hingegen erfolgten solche Kontrollen nicht.
„Aus meiner Sicht ist die Politik schnellstmöglich gefordert, entweder die Einhaltung deutscher Sicherheitsstandards durch ausländische Anbieter behördlich sicherzustellen oder den Zugang – wie es übrigens in vielen unserer Nachbarländer der Fall ist – schlichtweg zu verbieten“. stellt Neuss klar. Der aktuelle Zustand sei nicht nur ein unfairer Wettbewerb, sondern gehe letztlich zulasten der Patientinnen und Patienten sowie deren Gesundheit. Die Kühlkettenproblematik sei zwar erkannt und im Koalitionsvertrag aufgenommen worden, bisher sei jedoch nichts passiert.