Streit um Schlüsseltechnologie

mRNA-Impfstoffe: Patentstreit statt Nobelpreis Patrick Hollstein, 29.08.2022 13:03 Uhr

Katalin Karikó gilt als Mutter der mRNA-Technologie, doch wichtige Patente beansprucht Moderna. Foto: IMAGO / ZUMA Wire
Berlin - 

Wer ist der Erfinder der mRNA-Impfstoffe? Diese Frage beschäftigte schon das Nobelkomitee – und demnächst wohl auch die Gerichte. Denn Moderna verklagt Biontech wegen angeblicher Patenrechtsverstöße. Im Mittelpunkt steht die Arbeit einer Wissenschaftlerin aus Ungarn, ohne die es beide Impfstoffe nicht geben würde.

Der Beitrag von Biontech und Moderna bei der Bekämpfung der Pandemie kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Während es den führenden Impfstoffherstellern bislang nicht gelungen ist, einen Corona-Impfstoff auf den Markt zu bringen, haben die beiden Biotechfirmen in kürzester Zeit nicht nur ihre Technologie umgestellt und einen Impfstoff entwickelt, sondern ihn auch in klinischen Studien erfolgreich getestet und dann die Produktion und Auslieferung im großen Stil sichergestellt.

Für die mRNA-Technologie war die Corona-Pandemie der Durchbruch – nicht nur, weil sie Biontech und Moderna Milliardeneinnahmen beschert hat, die nun für weitere Forschungen zur Verfügung stehen, sondern auch, weil sie ihren Nutzen erstmals überhaupt unter Beweis stellen konnte. Bei zahlreichen Infektionen, aber auch bei anderen Krankheiten, die mit dem Immunsystem oder gestörter Proteinbildung zusammenhängen, soll mRNA nun zum Einsatz kommen. Experten sprechen schon von einer Revolution der Medizin.

Zuvor hatten Wissenschaftler mehr als 20 Jahre lang versucht, die Methode medizinisch nutzbar zu machen. Als einer der Väter der mRNA-Impfung gilt der spätere Curevac-Gründer Ingmar Hoerr. Bereits in den 1990er-Jahren experimentierte der Biologe in Tübingen mit dem Verfahren, bei dem mRNA-Schnipsel in den Körper eingebracht werden, wo sie die Produktion eines bestimmten Proteins auslösen.

Austausch von Uridin

Doch ein entscheidender Durchbruch gelang der Wissenschaftlerin Katalin Karikó. Die Biologin aus Ungarn war als mittellose Auswanderin aus Ungarn in die USA gekommen und hatte ab Ende der 90er-Jahre an der University of Pennsylvania gemeinsam mit dem Immunologen Drew Weissman ebenfalls an mRNA-Therapeutika geforscht.

Ihrem Team gelang es nicht nur erstmals, die empfindlichen Moleküle in Lipidhüllen zu verpacken. 2005 konnten Karikó und Weissman auch zeigen, dass sich durch den Austausch von Uridin durch Pseudouridin der Abbau der mRNA verhindern und unerwünschte Immunreaktionen minimieren lassen. Diese Methode gilt heute als essentiell: 2021 floppte der Curevac-Impfstoff mutmaßlich deshalb, weil das Unternehmen auf den Ersatz der Base verzichtete und stattdessen auf spezielle Sequenzen innerhalb der mRNA setzte, die denselben Zweck erfüllen sollten.

Während Karikó ab 2013 für Biontech arbeitete – ein Job, den sie laut FAZ Ende September aufgeben will – wurden ihre Forschungen auch vom US-Unternehmen Moderna weiterentwickelt. Und zwar so weit, dass bestimmte Patente darauf angemeldet wurden, die nun gegenüber Biontech eingeklagt wurden. Mindestens in einer Patentschrift wird Karikós Arbeit sogar explizit erwähnt.

Moderna verklagt Biontech

Ein Moderna-Sprecher bestätigt, dass es um Patente geht, die relevant für die Struktur der verwendeten mRNA und die Art des Proteins, für das sie kodiert, sind. Konkret würden in der US-Klage drei Patente und in der deutschen Klage zwei Patente geltend gemacht:

  • Bestimmte Patente von Moderna ('574 in den USA und EP 3 590 949 (EP '949) in Deutschland) decken demnach die bahnbrechende Entdeckung hauseigener Wissenschaftler ab, dass der Ersatz von Uridin im mRNA-Molekül durch 1-Methylpseudouridin zu einer überlegenen Proteinproduktion führte – eine mehrfache Steigerung gegenüber chemisch modifizierter mRNA, die zuvor untersucht wurde und einer deutlich reduzierten Immunantwort gegen die mRNA selbst.
  • Weitere Patente von Moderna ('600 und '127 in den USA und EP 3 718 565 (EP '565) in Deutschland) decken die Entdeckung ab, dass die Verwendung eines Coronavirus-Spike-Proteins in voller Länge in einer Lipid-Nanopartikel-Formulierung bei der Herstellung neutralisierender Antikörper hochwirksam gegen das Coronavirus ist.

Moderna glaubt, dass Pfizer und Biontech zwei Schlüsselmerkmale der patentierten Technologien kopiert haben, die für den Erfolg von mRNA-Impfstoffen entscheidend sind. Als Covid-19 auftauchte, hätten die Konkurrenten über keine entsprechende Erfahrung bei der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten verfügt.

Wegen der Bedeutung der Impfstoffe legt es der Konzern nach eigenen Angaben nicht darauf an, dass Comirnaty vom Markt genommen werden muss. Man verlange auch keinen Schadensersatz im Zusammenhang mit den Verkäufen in 92 Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen und nicht für Aktivitäten, die vor dem 8. März 2022 stattgefunden haben – Moderna hatte sich im Oktober 2020 verpflichtet, seine Covid-19-bezogenen Patente nicht durchzusetzen, solange die Pandemie andauere, was mittlerweile unter anderen Vorzeichen zu sehen sei.

Angesichts der Erfolgsaussichten rund um die mRNA-Technolgie könnte es im Patentstreit um Milliarden gehen. Die Erfinder der Technologie haben davon nichts, sie warten weiter auf die höchste wissenschaftliche Anerkennung: Weder Hoerr noch Karikó haben bislang den Nobelpreis erhalten. Offenbar traute sich auch das Nobelkomitee nicht zu, darüber zu entscheiden, wem mehr Ruhm und Ehre gebühren. Zumindest das Europäische Patentamt hat Karikós Arbeit gewürdigt – und sie für ihr Lebenswerk als Wegbereiterin des Covid-19-Impfstoffs ausgezeichnet. Demnächst werden sich Patentschützer noch einmal mit der Frage beschäftigen, wer wirtschaftlich davon profitieren darf.