Kommentar

Zur Kette gezwungen Alexander Müller, 21.05.2015 10:21 Uhr

Berlin - 

„In einem Boot“, „wichtigster Partner“, „gewachsene Nähe“ – das Verhältnis zwischen Großhändlern und Apothekern schien lange nicht so harmonisch wie beim diesjährigen Großhandelstag des Phagro. Doch noch immer muss offenbar verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden – Stichwort Apothekenketten. Dass die Großhändler hierzulande selbst Apotheken betreiben würden, wenn sie es dürften, sollte jedem klar sein – in anderen Ländern tun sie es schließlich auch. Doch dafür hatte Phagro-Chef Dr. Thomas Trümper eine erfrischende Erklärung.

Es gebe Länder, führte Trümper aus, denen sei das Fremdbesitzverbot seit jeher fremd. Rumänien zum Beispiel. Irgendwann kämen dann die nationalen Unternehmen auf die Idee, ihr Geschäftsfeld zu erweitern und selbst Apotheken zu kaufen oder zu eröffnen. „Das ist ein ganz normaler Vorgang“, so Trümper.

Dieser „Vertikalisierungseffekt“ wirke sich auch auf internationale Konzerne aus, die in diesen Ländern selbst ihrem Geschäft nachgehen wollten – als Großhändler natürlich. Wenn aber die nationalen Großhändler Stück für Stück die Apotheken aufkaufen, verlieren nach Trümpers Logik die Zugezogenen immer mehr potenzielle Kunden, mithin Marktanteile oder die Option darauf.

„Wenn der eigene Markt immer kleiner wird, ist man vor die Wahl gestellt: das Geschäft einstellen oder in das Geschäft einsteigen.“ Einige Großhändler stiegen dann in das Geschäft ein, nicht weil sie meinten, das sei wirtschaftlich oder ein originäres Geschäftsmodell, „sondern weil der Markt es ihnen aufdrängt“, so Trümper.

Ob sich Ketten lohnen oder nicht, kann laut Trümper niemand in der Branche besser beurteilen als international tätige Unternehmen, die in Ländern Apotheken betreiben, wo sie es können und keine, wo sie es nicht können. Trümper, ehemals Anzag-Chef und heutiger Aufsichtsratsvorsitzender von Alliance, weiß, dass er weiß, wovon er spricht. Walgreens Boots Alliance (WBA) ist so ein Konzern mit besonders reichhaltigen Erfahrungswerten. Dass Boots in Großbritannien auf den Druck nationaler Konkurrenten widerwillig eine eigene Apothekenkette aufzog, findet sich in den Geschichtsbüchern allerdings nicht.

Trümpers oberster Boss, Stefano Pessina, ist nach eigenem Bekunden auch „kein Fan von Apothekenketten“, dann aber doch stolz darauf, der Herr über 13.000 eigene Filialen rund um den Globus zu sein.

Es wäre eine interessante Aufstellung, in welchen Ländern die internationalen Pharmahandelskonzerne Nachzügler waren und in welchen Vorreiter. Aber diese Mühe kann man sich sparen, denn es genügt ein Blick zurück: Gehe/Celesio hatte sich vor nicht allzu langer Zeit sehr aktiv dafür eingesetzt, in Deutschland eine Apothekenkette aufbauen zu dürfen. Andere haben das nicht so laut gesagt, hätten aber vermutlich nicht gewartet, bis sie hier „keinen Markt mehr haben“, sondern gleichfalls ihre Kettenpläne aus der Schublade geholt.

Vermutlich nicht ohne Grund hatte Trümper gleich zu Beginn seiner Ausführungen beim Großhandelstag seines Verbands betont, dass er als Privatperson spreche und keine Phagro-Positionen zum Besten gebe. Und er persönlich betreibt ja tatsächlich keine Apothekenketten, weder im In- noch im Ausland. Immerhin: Selbst in der heißen Phase hatte er sich als Anzag-Chef gegen das neoliberale Medien-Gegacker gestellt.

Trümper ärgert es, wenn die Krankenkassen hierzulande immer wieder Apothekenketten herbeiwünschen, um angeblich das System billiger zu machen. Der Phagro-Chef gibt in solchen Fällen gern den Wissbegierigen und fragt nach den Fakten, auf die sich solche Forderungen stützen. Eine Antwort habe er noch nie erhalten. „Ich weiß auch warum: Das sind einfach nur Behauptungen.“ Es gebe schlichtweg keine Belege dafür, dass Apothekenketten wirtschaftlich attraktiver für das Gesamtsystem seien als inhabergeführte Apotheken.

Trümper übergeht dabei einen Gedanken: Dass es nämlich dem Betreiber einer Apothekenkette eher darum geht, dass seine Kette wirtschaftlich attraktiv für ihn selbst ist. Und Trümpers Vergleich, wonach angestellte Apotheker in den USA mehr verdienen als ihre unabhängigen Kollegen ist, war ein hinkender.