Fragebogen-Rezepte: iA.de will Gesund.de stoppen 20.08.2025 10:25 Uhr
Zwischen den Plattformen Gesund.de und ihreApotheken.de (iA.de) kommt es zum offenen Streit. Grund ist die Zusammenarbeit von Gesund.de mit Zava. Auf der Plattform werden in großem Stil vermeintliche Privatrezepte für Rx-Medikamente ausgestellt. Das ist illegal, findet iA.de und hat neben einerseits den Konkurrenten, aber auch Shop Apotheke als zweiten großen Partner der Rezepte-Plattform abgemahnt.
Stein des Anstoßes waren die Ausführungen von Gesund.de zum jüngsten Außenumsatz über die Plattform: Man liege in Schlagdistanz zu Shop Apotheke und beim durchschnittlichen Rx-Umsatz pro Apotheke außerdem 60 Prozent höher als andere Apps von Vor-Ort-Apotheken, hieß es im einem Flyer – verbunden mit der Aufforderung, zum Marktführer zu wechseln.
Bei iA.de nahm man diese Werbeaktion zum Anlass, sich mit den vermeintlich hohen Rx-Umsätzen des Mitbewerbers eingehender zu beschäftigen. Und siehe da: Nach der Analyse habe man festgestellt, dass wohl ein signifikanter Teil nicht auf klassischen Verschreibungen basiere, sondern aus einer Kooperation mit Zava. „Dagegen wäre dem Grunde nach nichts einzuwenden, wenn die Plattform ‚Zava‘ nicht durchgängig rechtswidrig agiert und insoweit schwerwiegende Rechtsverstöße begeht, um unter Missachtung von verbraucherschützenden Vorschriften Verschreibungen zu generieren“, heißt es in der Abmahnung. „Diese Plattform bietet verschreibungspflichtige Arzneimittel im Wege der faktischen Selbstbedienung an.“
Fragebogen statt Arztgespräch
Zunächst sei das Modell von Zava schon deswegen rechtswidrig, weil für die Ausstellung von Verschreibungen für verschreibungspflichtige Arzneimittel geworben werde, ohne dass dies auf Basis von anerkannten fachlichen Standards erfolge, sondern allein und ausschließlich durch die Ausfüllung eines Fragebogens. „Dies führt dazu, dass die gesamte Werbung, so wie sie von Zava vorgenommen wird, per se rechtswidrig ist.“ Hier beziehen sich die Anwälte von iA.de auf § 9 Heilmittelwerbegesetz (HWG), nach der die Werbung für Fernbehandlungen nur ausnahmsweise erlaubt ist, wenn sie „unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgt und wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist“. „Beide Voraussetzungen sind bei dem Angebot von Zava nicht erfüllt.“
„Bei der Anamnese allein auf Basis eines vom Nutzer am Bildschirm ausgefüllten Fragebogens, der zeitlich versetzt durch einen ihn unbekannten Arzt ausgewertet wird, handelt es sich nicht um eine Fernbehandlung unter Verwendung von Kommunikationsmedien. Eine Behandlung unter Verwendung von Kommunikationsmedien sind etwa Videosprechstunden oder andere technische Lösungen, bei denen der Arzt unmittelbar mit dem Nutzer kommuniziert. Dies ist bei einem Fragebogen nicht der Fall, da hier keine Kommunikation zwischen Arzt und Patient erfolgt.“
Hier verweisen die Anwälte auf verschiedene Gerichtsentscheidungen, mit denen die Zusammenarbeit von Versandapotheken mit Zava bereits untersagt worden sei. Aber auch ein Urteil zu DrAnsay wird erwähnt, wo die beteiligte Ärztin wegen der Ausstellung von AU-Bescheinigungen sogar ihre Approbation verloren hatte. „Wenig überraschend werden bei der Plattform ‚Zava‘ keine deutschen Ärzte angeschlossen, da deutsche Ärzte, die in dieser Weise agieren, ebenfalls ihre Approbation verlieren würden.“
Für iA.de ist klar: „Ein Dokument, das als Verschreibung bezeichnet wird, bei der jedoch lediglich ein Fragebogen ausgewertet wird, ist damit einer Nicht-Verschreibung gleichzustellen.“
Für die Verstöße von Zava sei Gesund.de rechtlich mitverantwortlich. „Zwar werden die Verstöße unmittelbar durch die Plattform ‚Zava‘ begangen. Allerdings hat Ihr Unternehmen mit der Plattform eine Kooperation geschlossen.“ Die Möglichkeit des sofortigen Bezugs der Arzneimittel sei nur deswegen ermöglicht, weil Gesund.de sich bereiterkläre, die ausgestellten Verschreibungen den angeschlossenen Apotheken „unterzujubeln“. „Ohne die zwischen Ihnen und ‚Zava‘ geschlossene Vereinbarung wäre es für ‚Zava‘ nicht möglich damit zu werben, dass die E-Rezepte in einer von 6500 Apotheken eingelöst werden könnten.“
Aus rechtlicher Sicht leiste Gesund.de somit Beihilfe zu den Wettbewerbsverstößen der Plattform Zava. „Insoweit sind Sie als Teilnehmer der Wettbewerbsverstöße genauso wettbewerbsrechtlich zur Unterlassung verpflichtet, wie die Plattform ‚Zava‘ als Haupttäter.“
Förderung von Arzneimittelmissbrauch
Es stelle sich auch die Frage, ob man es „mit seinem moralischen Kompass vereinbaren kann, durch einen derart leichtfertigen Umgang die Verschreibungspflicht von Arzneimittel zu bagatellisieren und ein Geschäftsmodell zu fördern, bei dem verschreibungspflichtige Arzneimittel im Wege der Selbstbedienung abgegeben werden“. So würden nicht nur Rezepte für Potenzmittel, Abnehmspritzen und Antibiotika gegen Blasenentzündungen ausgestellt, sondern auch für Asthmasprays, die bekanntermaßen im Sport zu Dopingzwecken missbraucht würden und auch auf der Dopingliste der NADA stünden. „Sowohl in der Läuferszene als auch in der Radfahrerszene hatte sich in der Zwischenzeit herumgesprochen, dass diese Präparate ohne große Schwierigkeiten über entsprechende Plattformen bezogen werden können.“
Erschwerend hinzu komme die Tatsache, dass diese rechtswidrigen Verschreibungen dazu genutzt würden, den Eindruck zu erwecken, Gesund.de zeichne sich durch eine besondere Leistungsfähigkeit aus. „Genauso wenig wie es etwa im Bereich der Influencer-Werbung gangbar ist, dass ein Influencer seine Followerzahlen durch gekaufte Follower aufhübscht, ist es im Wettbewerb von Plattformen zulässig, die Umsatzzahlen durch illegale Verschreibungen nach oben zu frisieren.“
Risiko für Apotheken
Aber auch die Apotheken würden zu rechtlichen Verstößen verleitet. Zwar gebe es eine Kontrahierungspflicht – aber auch eine Verpflichtung der Apotheke, bei einem Verdacht des Arzneimittelmissbrauchs die Abgabe zu verweigern. Auch in der Berufsordnung seien die Apotheken verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und insbesondere einem Fehl- und Mehrgebrauch von Arzneimitteln entgegenzuwirken: „Insbesondere soll das Vertrauen der Bevölkerung in die berufliche Integrität der Apothekerin und des Apothekers erhalten und gefördert werden“, heißt es dazu etwa im Kammerbezirk Nordrhein.
„Genau gegen dieses Zusammenspiel wird nun durch Ihr Verhalten ebenfalls verstoßen: Den Apotheken werden Verschreibungen zum Beispiel über Asthma-Sprays für deutsche Kunden übermittelt, die durch in Ausland ansässige Ärzte auf Privatrezept ausgestellt sind, mithin von den Patienten selbst gezahlt werden“, so iA.de. „Für eine Apotheke stellt sich damit per se die Frage, warum ein in Deutschland lebender Patient, für die insoweit eine Pflichtversicherung besteht, die bei der Indikation Asthma auch ohne weiteres die Arzneimittel übernimmt, sich über einen im Ausland ansässigen Arzt eine Verschreibung besorgen sollte, die sie dann selbst bezahlt. Die Frage stellen heißt zu dem Schluss kommen zu müssen, dass hier ein Verdacht auf einen Arzneimittelmissbrauch vorliegt.“
Trotzdem würden die Apotheken angehalten, derartige Verschreibungen zu beliefern. „Somit wird jede Apotheke täglich latent dem Risiko ausgesetzt, durch die von Ihnen – in Ihrem eigenen wirtschaftlichen Interesse geschlossene – Kooperation mit der Plattform Zava gegen berufsrechtliche Pflichten zu verstoßen, die schlimmstenfalls zum Verlust der Betriebserlaubnis des jeweiligen Apothekers führen können. Dies zeigt, dass die von Ihnen unterhaltene Kooperation mit der Plattform ‚Zava‘ auch insoweit rechtswidrig ist, da Sie aus eigenem Profitstreben billigend in Kauf nehmen, dass ihre Vertragspartner gegen öffentlich-rechtliche Normen verstoßen.“
Um den Verdacht zu erhärten, hatte iA.de auch eine Testbestellung durchgeführt: Dabei fiel auf, dass es nach Ausfüllung des Fragebogens nur circa eine Minute dauerte, bis die angefragte Verschreibung durch die genannte Ärztin ausgestellt wurde. „Insoweit erscheint es unwahrscheinlich, dass hier tatsächlich eine Prüfung durch die angebliche Ärztin erfolgte; es liegt nahe, dass es sich hier um eine automatisierte Antwort handelt.“
Keine Unterschrift, keine Signatur
In der Apotheke habe man sich dann auch das Rezept zeigen lassen. Weder habe es dort eine Unterschrift noch eine qualifizierte elektronische Signatur gegeben; das Dokument sei vielmehr gar nicht signiert worden. „Hier fehlt jede Form des Zertifikats, aus dem sich eine qualifizierte elektronische Signatur ableiten lassen könnte. Vielmehr wurde hier lediglich der Name hineinkopiert. Dies ist allerdings nicht ausreichend, um die Voraussetzungen einer qualifizierten elektronischen Signatur zu erfüllen. Das Dokument, das insoweit als Verschreibung dienen soll, ist nichts anderes von seiner Qualität her wie ein Telefax. Auch das ist aber nicht geeignet, die Erfordernisse der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) zu erfüllen.“
Damit würden verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne gültige Verschreibung abgegeben. Die stelle nicht nur einen Verstoß gegen eine Marktverhaltensregel dar und damit einen Wettbewerbsverstoß. „Zum anderen kann es sich hierbei um ein strafrechtlich relevantes Verhalten der jeweiligen Apotheke nach § 96 S. 1 Nr. 13 AMG handeln, soweit dies vorsätzlich erfolgt.“ Letzteres müsse an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.
„Insoweit ist Ihr Unternehmen für die formal unwirksamen Verschreibungen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen verantwortlich. Denn Gesund.de hat die entsprechende Vereinbarung mit Zava geschlossen und sich dieser gegenüber verpflichtet, die an Gesund.de angeschlossenen Apotheken als Abgabestellen für insoweit ausgestellte Verschreibung zur Verfügung zu stellen. Damit hätte es aber Gesund.de oblegen zu prüfen, ob die insoweit übermittelten Verschreibungen den rechtlichen Anforderungen entsprechen. Ob diese Überprüfung vorsätzlich oder fahrlässig unterblieben ist, spielt insoweit keine Rolle; soweit es vorliegend um die Unterlassungsansprüche geht, besteht die Haftung ihres Unternehmens verschuldensunabhängig.“
Damit liege zumindest Anstiftung zu den Rechtsverletzungen vor. „Insbesondere können Sie sich nicht auf den Standpunkt stellen, es hätte allein den Apotheken oblegen, die Rechtmäßigkeit der Verschreibungen zu prüfen. Vielmehr ist es Ihr Unternehmen, dass durch die Kooperation als solche es überhaupt erst hat dazu kommen lassen, dass dieses Risiko entstanden ist.“ Erschwerend komme hinzu, dass die Apotheken in einem Erklärvideo dahingehend getäuscht würden, die Verschreibungen seien in Ordnung. „Damit trägt Ihr Unternehmen die Verantwortung für die nun festgestellten Rechtsverletzungen, mithin die Abgabe von Arzneimitteln ohne wirksame Verschreibung.“
Aktionäre getäuscht
Eine ähnliche Abmahnung hat auch Shop Apotheke erhalten, neben der zu Wellster-Gruppe gehörenden Apotheek Bad Nieuweschans einer der beiden Versandpartner. Auch hier werden die Rechtsverstöße angemahnt, und auch hier werden die ausgewiesenen Umsätze in Frage gestellt: Da diese Verschreibungen in die veröffentlichten Geschäftsabschlüsse eingeflossen seien, sei die Verwendung dieser Zahlen gegenüber den Aktionären irreführend und zugleich geeignet, die Kurse zu beeinflussen.