Innovationen in Apotheken umsetzen

„Es gibt keine Packungsbeilage für Veränderungen“ APOTHEKE ADHOC, 17.06.2020 08:18 Uhr

Maria Moskvina ist Leiterin der WMC Akademie innerhalb von WMC Healthcare. Foto: WMC
Berlin - 

Die Digitalisierung verändert nicht nur Strukturen und Arbeitsabläufe im Gesundheitswesen, sondern krempelt auch den Arzneimittelmarkt seit Jahren kräftig um – und das wird sich so schnell nicht mehr ändern. In den Apotheken sind diese Veränderungen vielerorts nicht gerade willkommen, die Widerstände in den Teams sind oft groß. Doch wenn das Team nicht will, wird es auch nichts mit der nachhaltigen Umsetzung von Innovationen. Und wenn der Inhaber es nicht will, dann erst recht nicht. Wie bringe ich also meine Mitarbeiter – und vielleicht sogar mich selbst – dazu, Vorbehalte abzubauen und mich auf innovative, vielleicht auch disruptive neue Anwendungen und Vorgänge einzustellen? Das zu tun, ist das Spezialgebiet von Marina Leonie Moskvina.

Neue technische Anwendungen einzuführen und damit die eigenen Arbeitsabläufe zu verändern, ist oft eine Achterbahnfahrt – und das lässt sich auch grafisch darstellen, nämlich in der sogenannten Change-Kurve, die in Unternehmensberatungen zum Einsatz kommt: Nach Bekanntgabe der Veränderung tritt der Schock ein, der die Leistungsfähigkeit der Betroffenen fallen lässt. Mit der Zwit geht es zwar wieder bergauf, aber es folgt eine Phase der Verneinung und des Widerstands, der wiederum das „Tal der Tränen“ folgt. Aus diesem führen nur Einsicht und Ausprobieren sowie schließlich Akzeptanz, Erfolgserlebnisse und Mut. Schließlich erfolgt im Idealfall eine Verstetigung des neuen Verhaltens. So zumindest ist der paradigmatische Ablauf in der Theorie von Unternehmensberatungen. „Die Durchlaufgeschwindigkeit und -dauer jeder Phase ist höchst individuell und unter anderem abhängig vom Umfeld“, erklärt Moskvina, die nicht nur die Theorie, sondern vor allem die Praxis kennt.

Moskvina ist Leiterin der WMC Akademie innerhalb von WMC Healthcare. Die Unternehmensberatung WMC Healthcare ist vor allem in der Beratung von Kliniken, Pharma- und Medizintechnikunternehmen aktiv, um dort dem Führungspersonal die erforderlichen Spezialkenntnisse unter anderem zu effizientem Management und zum Einsatz von Softwarelösungen zu vermitteln. Wird in einer Krankenhausabteilung eine technische Innovation eingeführt, doch das dortige Team sträubt sich, kommt Moskvina und versucht den Knoten zu lösen. Ihr Mantra: Man kann Fortschritt nicht von oben verordnen, sondern muss Akzeptanz und realistische Umsetzbarkeit schaffen, damit jeder freiwillig an einem Strang zieht.

„Im Gesundheitswesen handelt es sich meist um hierarchische Systeme, die gleichzeitig mit einem großen Veränderungsdruck von außen konfrontiert sind“, sagt die zertifizierte Personalentwicklerin. „Aber man kann Menschen keine Lösung geben, wenn sie das Problem nicht sehen.“ Die Situation dürfte in vielen Apotheken bekannt sein: Ein neues Softwaretool, eine neue Plattform oder ein neues Kommunikationsmedium wird eingeführt, nicht weil sich die Belegschaft denkt, dass es doch toll wäre, das zu haben, sondern weil es in der Apothekenleitung das diffuse Gefühl gibt, dass man das halt haben muss, weil man sonst als Betrieb irgendwie den Anschluss verliert. Doch das ist eine schlechte Grundlage, um eine Neuerung nachhaltig im Arbeitsalltag zu verankern, sowohl aufseiten derer, die die Einführung beschließen als auch aufseiten derer, die mitziehen müssen.

„Bei unserem Ansatz geht es darum, eine Verhaltensänderung und dadurch eine gesamtwirtschaftliche Änderung zu erreichen“, erklärt Moskvina. „Menschen ändern ihr Verhalten aber oft nur, wenn sie einen wichtigen Grund dafür sehen. Hinzu kommt, dass Rollen im Gesundheitswesen meist sehr fest definiert sind, entsprechend denken Mitarbeiter deshalb oft in vorgegebenen Strukturen. Wenn man dann sagt, dass man das jetzt anders macht, überfordert das Menschen oft in ihren eingeübten Arbeitsstrukturen.“

Eine durchschnittliche Apotheke hat bedeutend weniger Hierarchieebenen als beispielsweise ein Krankenhaus – daraus zu schlussfolgern, dass es deshalb weniger Reibungsverluste gibt, wäre allerdings falsch. „Vor allem in flachen Hierarchien flüchten sich Führungskräfte oft unbewusst aus der Verantwortung.“ Denn von Klinik über Praxis bis Apotheke seien die meisten Führungskräfte nicht zur Führung von Menschen befähigt, sondern Experten in ihrem jeweiligen Fachgebiet. Damit gehen in der Betriebsführung aber oft psychologische Muster einher. „Man muss an das Thema mit zwei Sichtweisen herangehen. Eine ist die Selbstführung: Wenn ich alles bei mir selbst für selbstverständlich halte, dann erkenne ich nicht, was ich anderen vermitteln muss.“ Das dürfte vielen bekannt vorkommen: Der Chef denkt sich etwas aus und verkündet das dann so. Seine dahinterliegenden Gedanken vermittelt er nicht, Anweisungen sind deshalb oft nur grob verständlich, die Motivation zu deren Umsetzung entsprechend gering. „Die andere Sichtweise ist der Transfer der Selbstführung: Ich muss mich fragen, was ich an meinem Führungs-Toolkit weiterentwickeln und wie ich meine Mitarbeiter mitnehmen kann.“

Denn das ist unerlässlich, damit sich jene Change-Kurve dort hinbewegt, wo sie hin soll: zu einer effizienteren und damit wirtschaftlicheren Arbeitsweise. Doch was tun, wenn die Mitarbeiter nicht so recht wollen? „Wenn Mitarbeiter Veränderungen ablehnen, steckt dahinter oft keine Kritik an der Sache, auch wenn es so formuliert wird. Vielmehr handelt es sich oft unbewusst um eine Angstkomponente, beispielsweise das Gefühl, dass eine digitale Anwendung die bisherige eigene Arbeit ein Stück weit entwertet“, erklärt Moskvina. „Deshalb darf man als Vorgesetzter bei starken Widerständen nicht in ein Aktions-Reaktions-Pingpong verfallen.“ Statt Mitarbeitern auf vermeintlich rationale Art wieder und wieder mögliche Vorzüge oder die Unausweichlichkeit einer Veränderung zu erläutern, solle man erst einmal versuchen, die hinter der Ablehnung stehenden und meist nicht ausgesprochenen Bedürfnisse zu verstehen. „Ich muss mich dann fragen: Was spiegeln diese Widerstände? Oft fehlt Kollegen nämlich die Einsicht in eine banale Erkenntnis: Was bedeutet diese Veränderung ganz konkret für mich?“ Deshalb müsse die individuelle Einsicht gefördert werden. „Es gibt keine Packungsbeilage für Veränderungen.“

Um das Team mitzunehmen, empfiehlt Moskvina von Beginn an ein systematisches Vorgehen: Nicht einfach andeuten, dass etwas Neues kommt, und es dann verkünden, sondern einen „Veränderungsplan“ machen. „Dazu muss ich mich erst einmal selbst fragen: Sieht jeder das Problem? Was bedeutet die Lösung für die einzelnen Rollen und was bringt sie für den gesamten Betrieb? Dann muss ich überlegen, was ich überhaupt tun muss, um eine Veränderung umzusetzen. Dazu brauche ich konkrete Handlungsschritte und muss mich fragen, wie ich das den Mitarbeitern vermitteln kann und wie ich eine Teamerfahrung schaffe“, erklärt sie. Vor allem das Ziel werde bei Veränderungen oft nicht klar kommuniziert ­– wenn man das nicht kennt, hat man aber auch keinen Fahrplan. „Das führt oft zu emotionaler Überforderung. Den Mitarbeitern muss klar sein, was es bringt, sich mit neuen Lösungen auseinanderzusetzen. Man muss Verlustängste verringern und den Mehrwert darstellen.“

Oftmals ist es der äußere Druck, der dazu veranlasst, eine Neuerung einzuführen. Die rationale Einsicht des Bedarfs ist da, die Leidenschaft dafür aber noch lange nicht. Und dann gibt es wiederum Neuerungen wie das E-Rezept, bei denen schlicht keine Wahl besteht, ob man sie einführen will. Da geht es dem Inhaber mitunter nicht besser als dem Angestellten. Was also tun, wenn ich mich auch als Inhaber oder Filialleiter nicht so recht begeistern kann? „Natürlich kann man etwas blöd finden, das gehört dazu“, sagt Moskvina. „Nur muss ich mich dann fragen, wie ich weiterkomme und was ich brauche, um das zu akzeptieren.“

Bei Apothekeninhabern beispielsweise sei es gut, wenn sie sich jemanden suchen, mit dem sie das Problem reflektieren können. „Es hilft sehr, wenn man sich da eine Vertrauensperson sucht, die einem kritische Fragen zur eigenen Haltung stellt.“ Denn dann werde oft ersichtlich, was das Problem hinter der eigenen Ablehnung ist: „Die grundlegende Frage ist: Suche ich nach Gründen oder suche ich nach Lösungen?“