Krankenkassen

Barmer-Chef warnt vor Existenzbedrohung dpa, 13.12.2017 15:01 Uhr

„Wenn sich die Bedingungen verschlechtern, droht ein halbes Dutzend Kassen in Schwierigkeiten zu geraten“, sagt Barmer-Chef Christoph Straub. Foto: Andreas Domma
Berlin - 

Trotz guter Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung sind laut der Barmer rund ein halbes Dutzend Krankenkassen mittelfristig in ihrer Existenz bedroht. „Betroffen wären rund 15 Millionen Versicherte“, sagte Barmer-Chef Christoph Straub. Die einzelnen Versicherungen lägen bei ihrem Vermögen weit auseinander.

Trotz guter Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung sind laut der Barmer rund ein halbes Dutzend Krankenkassen mittelfristig in ihrer Existenz bedroht. „Betroffen wären rund 15 Millionen Versicherte“, sagte Barmer-Chef Christoph Straub. Die einzelnen Versicherungen lägen bei ihrem Vermögen weit auseinander. Vor allem infolge der guten Konjunktur falle dies derzeit nicht auf. „Wenn sich die Bedingungen verschlechtern, droht ein halbes Dutzend Kassen in Schwierigkeiten zu geraten“, sagte Straub. „Wenn die Zeiten schlechter werden und sich an den Finanzierungsregeln nichts ändert, sind sie nicht überlebensfähig.“ Hauptgrund sei, dass der Finanzausgleich zwischen den Kassen durch den Gesundheitsfonds ungerecht sei.

Nun taucht die Frage auf, ob sich Millionen Versicherte bald zwangsläufig eine andere Krankenkasse suchen müssen. Es klingt paradox, denn die Kassen haben ein Milliardenpolster. Zum Ende der ersten drei Quartale hatten Kassen und Gesundheitsfonds Reserven von 24 Milliarden Euro. Den durchschnittlichen Zusatzbeitrag hatte Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) für 2018 um 0,1 Punkte auf 1 Prozent gesenkt. Soviel brauchen die Kassen im Schnitt von ihren Mitgliedern zusätzlich zum allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent.„Das Finanzierungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung befindet sich in einer deutlichen Schieflage“, sagt Barmer-Chef Christoph Straub dennoch. Das betroffene halbe Dutzend der bedrohten Krankenkassen stehe möglicherweise absehbar vor einer Schließung oder Insolvenz.

„Eine solche Entwicklung könnte in der laufenden Legislaturperiode eintreten.“ Für die Kunden könnte das unerfreuliche Folgen haben. Es gibt ein Beispiel: Als 2011 die City BKK bankrott war, hatten andere Kassen deren Versicherte zehntausendfach abgewiesen. Das Hauptargument des Barmer-Chefs für seine überraschende These: Die einzelnen Versicherungen lägen bei ihrem Vermögen weit auseinander. „Im Jahr 2016 betrug das Vermögen bei uns 135 Euro pro Mitglied, bei anderen ist es nur halb so viel, bei Ortskrankenkassen sind das aber teils 1200 Euro und mehr.“ Vor allem wegen der hohen Beitragseinnahmen infolge der guten Konjunktur falle dies derzeit nicht auf. Doch in schlechteren Zeiten könnten die vermögenden Kassen ihre Beiträge länger stabil halten, die mit knappen Mitteln müssten dagegen schnell erhöhen. Dort droht demnach dann vielfach eine Abwärtsspirale.

Straub geht nicht ohne Hintergedanken in die Offensive. Das Problem sei der ungerechte Finanzausgleich zwischen den Kassen: „Während die AOKen deutlich mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds bekommen, als sie zur Deckung der Kernleistungen brauchen, gibt es bei allen anderen Kassenarten eine Unterdeckung in unterschiedlichem Ausmaß.“

Die Regeln, nach denen die Geldströme aus dem GKV-Geldtopf, dem Gesundheitsfonds, an die Einzelkasse fließen, sorgen schon länger für Furore bei den Kassen. Für kranke, teure Versicherte bekommen die Kassen mehr Geld als für junge Gesunde. Ersatzkassen wie TK oder Barmer, Betriebs- und Innungskassen sehen sich stark benachteiligt und die AOK deutlich bevorzugt. Die ersteren kritisieren die Kriterien für die Milliarden-Umverteilung als wettbewerbsverzerrend. AOK-Chef Martin Litsch hielt dem Anfang Dezember entgegen, im Gesundheitswesen gebe es „weitaus dringendere Probleme“.

Im Oktober haben Regierungsberater aus der Wissenschaft eine Reform des Finanzausgleichs vorgeschlagen. Mangels neuer Regierung steht in den Sternen, was daraus wird. Laut Straub drängt die Zeit. Niemand wisse, wie sich Konjunktur und Ausgaben entwickeln. Ist eine Kasse bankrott, müssen zunächst die anderen von deren Kassenart haften. „Das reicht nicht“, sagt Straub. Nötig sei zudem: Das Geld, das eine Kasse im Haftungsfall zahlen muss, nicht nur wie heute von der Höhe ihrer Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds abhängig zu machen, sondern auch ans Vermögen der Kasse zu koppeln. Ihren Beitragssatz will die Barmer 2018 voraussichtlich bei 15,7 Prozent stabil halten, kündigte Straub an. Sie hat über 200 Millionen Euro Überschuss 2017 und Rücklagen von 1,2 Milliarden. Entscheiden werde der Verwaltungsrat kommenden Mittwoch. Eine Absenkung sei nicht geplant, um künftiges „Beitrags-Pingpong“ zu vermeiden.