APOTHEKE LIVE: Top-Jurist erklärt EuGH-Urteil 06.03.2025 14:59 Uhr
Wenn man verstehen will, was die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Rx-Boni wirklich bedeutet, muss man komplett die Perspektive wechseln – und auch auf die Aspekte schauen, zu denen sich die Richter nicht geäußert haben. Professor Dr. Elmar Mand sieht eine gute Steilvorlage für das nächste bereits anstehende Verfahren. Wie das Urteil zu bewerten ist und wie es jetzt weitergeht, erklärt der Experte für Apotheken-, Arzneimittel- und Wettbewerbsrecht am Montag ab 13 Uhr im APOTHEKE LIVE – hier geht es zur Anmeldung! Auch auf Youtube gehen wir LIVE – zum Video geht es hier.
Nachdem der EuGH im Oktober 2018 die ausländischen Versender von der Rx-Preisbindung freigesprochen hatte, sollte mit dem aktuellen Verfahren geklärt werden, ob die Boni von DocMorris womöglich als Verstoß gegen das europaweit einheitliche Rx-Werbeverbot für unzulässig erklärt werden könnten. Hintergrund waren Schadensersatzforderungen des EU-Versenders gegen die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR), die aus seiner Sicht zu Unrecht Unterlassungsverfügungen im Zusammenhang mit diversen Rabattaktionen erwirkt hatte.
Laut EU-Richtlinie umfasst die „Werbung für Arzneimittel“ alle „Maßnahmen [...] mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern“. Wenn für die Einreichung von Rezepten nun Gutscheine spendiert werden, die (auch) für den Kauf von OTC-Medikamenten genutzt werden können, so fallen solche Aktionen unter den Werbebegriff – und sind damit unzulässig, da ein zusätzlicher Bedarf und damit womöglich ein Mehrgebrauch induziert wird.
Besonderer Charakter von Arzneimitteln
„In Ermangelung einer Verpflichtung zur Inanspruchnahme eines verschreibenden Arztes kann ein Empfänger von Gutscheinen, der durch den damit gebotenen wirtschaftlichen Vorteil angelockt wurde, diese Gutscheine dazu verwenden, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu einem vergünstigten Preis zu beziehen“, so der EuGH. Und weiter: „Es ist nämlich der ganz besondere Charakter von Arzneimitteln zu betonen, deren therapeutische Wirkungen sie substanziell von den übrigen Waren unterscheiden. Aufgrund dieser therapeutischen Wirkungen können Arzneimittel, wenn sie ohne Not oder falsch eingenommen werden, der Gesundheit schweren Schaden zufügen, ohne dass der Patient sich dessen bei ihrer Verabreichung bewusst sein kann.“
Bei Rx-Medikamenten dagegen habe der Arzt bereits die Entscheidung getroffen, sodass Barrabatte und Geldprämien sich aus Sicht des EuGH nur noch auf die Wahl der Apotheke und nicht mehr des Arzneimittels auswirken. Insofern fielen die beiden streitigen Aktionen von DocMorris – einmal Preisnachlass in Höhe von 5 Euro, einmal in Höhe von 10 Euro – aus Sicht der Richter nicht in den Bereich der Arzneimittelwerbung.
Begründung: Es könne „nicht davon ausgegangen werden, dass die Botschaft dieser Aktionen die Verschreibung oder den Verbrauch unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel fördert, da die Entscheidung, solche Arzneimittel zu verschreiben, ausschließlich Ärzten obliegt“, heißt es im Urteil. Die Botschaft dieser Werbeaktionen beziehe sich auf unbestimmte verschreibungspflichtige Arzneimittel, „ohne auch auf andere Arten von Arzneimitteln abzuzielen“.
Legitime Ziele?
Das bedeutet aber nicht, dass sie deswegen zulässig sind. Denn die Frage nach dem Preisrecht hat der EuGH laut Mand ausgeklammert. Nur an einer Stelle äußert er sich überhaupt dazu, wie mit Verboten von Rx-Boni, die nicht schon als Rx-Werbung einzustufen und damit per se unzulässig sind, umzugehen ist: „Eine solche Beschränkung lässt sich nur dann mit Erfolg rechtfertigen, wenn sie geeignet ist, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.“
Hier verweist der EuGH auf sein eigenes Urteil in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung (DPV) – jene folgenschwere Entscheidung, mit der Versender im Herbst 2016 von der Rx-Preisbindung freigesprochen wurden. Damals hatten sich die Richter nicht davon überzeugen lassen, dass feste Abgabepreise dazu beitragen, die flächendeckende Versorgung zu sichern. Und es war laut Kritikern seitens der Bundesregierung auch viel zu schwach vorgetragen worden.
Auch wenn der EuGH diesmal die Chance vertan hat, einen Abwasch zu machen – wohl schlichtweg weil er gar nicht danach gefragt wurde – so wurde mit der aktuellen Entscheidung die Tür der Logik wieder weit aufgestoßen: Der Sinn der Zuzahlung etwa dürfte jedenfalls viel einfacher zu erklären sein: Sie soll im Interesse des Solidarsystems die Inanspruchnahme von Leistungen steuern. Lassen sich die Richter diesmal überzeugen?
Showdown im Mai
Schon im Mai hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Chance, dem Spuk ein für alle Mal ein Ende zu machen und dem EuGH ein neues Verfahren vorzulegen. Dabei geht es um ein mehr als zwölf Jahre altes Rabattmodell der ehemaligen DocMorris-Tochter Wellsana, die es seit zehn Jahren ebenfalls schon nicht mehr gibt. Jahrelang war der Streit vergessen und schien nur noch historischen Charakter zu haben.
Doch ausgerechnet dieses scheinbar unauffällige Verfahren bietet nun die Chance, die Entscheidung des EuGH zu revidieren. Auf 64 Seiten hat das Oberlandesgericht München (OLG) akribisch zusammengetragen, warum die Rx-Preisbindung dem Schutz der Gesundheit dient und nicht gegen Europarecht verstößt. Auch die aktuellen Entwicklungen wurden berücksichtigt, sodass nun ein klarer Leitfaden für die weitere Aufarbeitung des komplexen Themas vorliegt.
Das alte EuGH-Urteil entfalte im Streitfall keine Bindungswirkung, weil die seinerzeit bestandenen Zweifel an der Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der Regelung nach dem Vortrag der Parteien im hiesigen Verfahren und einer von der Bundesregierung eingeholten Auskunft sowie mit Blick auf die dem Gesetzgeber im Bereich der Gesundheitspolitik zustehende weite Einschätzungsprärogative ausgeräumt worden seien.
Hinzu kommt nach Einschätzung von Beobachtern, dass sich der 2016 beschriebene angeblich Wettbewerbsnachteil der EU-Versender mittlerweile aufgelöst hat: Seit Einführung des E-Rezepts haben Versender denselben Zugang zu Verordnungen.