Ärzte warnen vor Rückkehr zum Papierrezept 05.11.2025 15:18 Uhr
Die Ärzte warnen vor Chaos beim E-Rezept. Denn zum Jahreswechsel soll das Verschlüsselungsverfahren für die Telematikinfrastruktur (TI) von RSA2028 auf ECC umgestellt werden. Viele Praxen seien aber noch nicht bereit, warnt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in einem Brief an die Bundesnetzagentur. Im schlimmsten Fall drohe die Rückkehr zum Papierrezept.
Wegen der Umstellung würden derzeit zigtausende TI-Komponenten in den Arzt- und Psychotherapiepraxen ausgetauscht, schreibt der KBV-Vorstand an den Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Wenige Wochen vor der Umstellung müsse man jedoch feststellen, dass die Hersteller es trotz aller Anstrengungen nicht schaffen werden, alle betroffenen Praxen rechtzeitig mit neuen Komponenten auszustatten. „Dies betrifft vor allem den elektronischen Heilberufsausweis (eHBA), den Ärztinnen und Ärzte unter anderem für die qualifizierte elektronische Signatur (QES) der elektronischen Rezepte (eRezept) und der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU) benötigen.“
Angesichts der Gesamtlage sei man „in größter Sorge“, heißt es weiter. „Denn im schlimmsten Fall können ab Januar 2026 zehntausende Praxen etablierte digitale Prozesse wie das E-Rezept nicht mehr nutzen. Dies würde nicht nur die Patientenversorgung erheblich beeinträchtigen, es wäre auch ein immenser Schaden für die Digitalisierung.“
Um das zu verhindern, kommt von der KBV die „dringende Bitte, eine Fristverlängerung zu veranlassen“. Nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sei die Bundesnetzagentur die zuständige Aufsichtsbehörde für Anbieter von Zertifizierungsdiensten im Zusammenhang mit dem Austausch der eHBA.
Neue Sicherheitsanforderungen an HBA
Der Austausch der bisherigen RSA-only-eHBA sei angelaufen; nach derzeitiger Planung sei bis Jahresende mit der Ausgabe neuer Karten an einen Teil der Leistungserbringer zu rechnen, schildern die KBV-Vorstände die aktuelle Situation. Nach Aussage der Gematik befänden sich jedoch noch mehr als 50.000 eHBA im Feld, die nur mit dem RSA-Verfahren funktionierten. Von einem Anbieter sei bereits öffentlich bekannt geworden, dass erhebliche Probleme bei der Ausgabe der Ausweise bestünden. Die Bundesärztekammer (BÄK) rate betroffenen Ärzten und Ärztinnen auf der eigenen Website und über die Landesärztekammern sogar schon dazu, einen Anbieterwechsel in Betracht zu ziehen. „Vollständig abgeschlossen wird der Austausch vor diesem Hintergrund — auch unter optimistischsten Annahmen — bis zum Jahresende nicht sein können.“ Hinzu komme, dass die Ausweise erst nach Verfügbarkeit in den Praxen in die bestehenden TI-Komponenten wie Kartenterminals, Konnektoren und Praxisverwaltungssysteme integriert werden könnten.
„Sollten Ärztinnen und Arzte ab dem 1. Januar 2026 mit einem RSA-only-eHBA keine gültige qualifizierte elektronische Signatur (QES) mehr erzeugen können, wären nach aktuellem Stand bis zu mehrere zehntausend Praxen nicht mehr in der Lage, wesentliche digitale Versorgungsanwendungen im Gesundheitswesen durchzuführen“. Dies betreffe insbesondere Rezepte, Krankschreibungen und Arztbriefe.
Besonders das E-Rezept betroffen
Besonders groß wären die Auswirkungen laut KBV beim E-Rezept, das inzwischen eigentlich vollständig etabliert sei: Jährlich würden mehr als 500 Millionen E-Rezepte ausgestellt; der Prozess werde von allen Beteiligten als sowohl hilfreich im Versorgungsalltag als auch ein wichtiger Schritt hin zu einem stärker digitalisierten Gesundheitswesen betrachtet. Zudem sei das E-Rezept die Grundlage für die automatisch generierte und auch Ärztesicht hilfreiche Medikationsliste in der elektronische Patientenakte (ePA). „Können Ärzte keine E-Rezepte ausstellen, fließen die Verordnungen auch nicht in die elektronisch Medikationsliste der ePA – die Anwendung in der ePA mit dem derzeit größten Nutzen. Damit würde auch die ePA in der Versorgung erheblichen Schaden nehmen.“
„Ein solcher Ausschluss tausender Praxen (und Apotheken) von den inzwischen etablierten digitalen Versorgungsprozessen hätte also gravierende Folgen nicht nur für die Praxen, sondern auch für die Patientinnen und Patienten, die auf eine funktionierende digitale Versorgung angewiesen sind. Schlimmstenfalls würde das Ganze dazu führen, dass die entsprechenden Prozesse großflächig wieder auf – von den Krankenkassen finanziertes – Papier umgestellt werden müssen“, so der KBV-Vorstand.
Übergangsfrist gefordert
„Wir erbitten daher im Interesse der Versorgung eine verbindliche Zusicherung, dass die RSA-only-eHBA bis zum Abschluss etwaiger aufsichtsrechtlicher Verfahren weiterhin zur Erzeugung rechtsgültiger qualifizierter elektronischer Signaturen genutzt werden können, und dass dies durch die Bundesnetzagentur zeitnah und transparent kommuniziert wird.“ Um auf der sicheren Seite zu sein, brauche es eine Übergangsfrist bis zum Ende des zweiten Quartals. „Diese Zusicherung ist dringend erforderlich, um einen geordneten Übergang inklusive der dazu notwenigen Kommunikation zu gewährleisten und einen Versorgungsausfall zu verhindern. Dies gilt umso mehr, als unsere Praxen hier völlig abhängig von den anbietenden Unternehmen sind.“
Laut KBV können Bundesnetzagentur und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BFSI) gemeinsam eine Fristverlängerung von einem halben Jahr vereinbaren. Probleme für die Sicherheit seien nicht zu befürchten. In Frankreich sei die Verwendung von RSA2048 noch bis Ende 2030 möglich; auch die Gematik stelle analog für die fortgeschrittene elektronische Signatur (non-QES) mit dem Praxisausweis (SMC-B) zumindest in Aussicht, dass rein RSA-fähige Praxisausweise ab Januar übergangsweise weiter verwendet werden können.
Das BMG habe mitgeteilt, dass sich die Bundesnetzagentur zu geschilderten Sachverhalten vor dem Jahreswechsel nicht öffentlich äußern wolle. „Das halten wir weder für tragfähig noch gegenüber den tagtäglich mit höchstem Engagement für die Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten eintretenden Praxen für vermittelbar. Die Kassenärztlichen Vereinigungen müssen ihre Mitglieder rechtzeitig informieren können, um Verunsicherung und bürokratisches Chaos in den Praxen zu vermeiden.“ Selbst für den Rückgriff auf das Papierrezepte, der eigentlich unter allen Umständen zu vermeiden sei, brauche man schnellstmöglich eine verbindliche Aussage. „Spätestens Mitte November brauchen wir deshalb Klarheit und im besten Fall die Zusicherung der Bundesnetzagentur, dass RSA-only-eHBA ab Januar vorübergehend weiterhin eingesetzt werden können.“