Apothekengesetze

Notfallbeschaffung: Spahn setzt Apothekenpflicht aus Lothar Klein, 08.04.2020 14:38 Uhr

Medikamente vom Minister: Jens Spahn (rechts) will im Ernstfall selbst Arzneimittel verteilen. In der vergangenen Woche besuchte er bereits ein bundesweites Verteil- und Lagerzentrum für medizinische Schutzausrüstung im thüringischen Apfelstädt. Foto: Bundesgesundheitsministerium/Xander Heinl
Berlin - 

Angesichts der fortschreitenden Corona-Krise greift Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu drastischen Maßnahmen und zieht im Notfall die Arzneimittelversorgung in die Hände der Bundesregierung. Die neue „Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung“ (MedBVSV) hebt unter anderem die Apothekenpflicht für zentral beschaffte Medikamente auf. Die Bundesregierung kann demnach Arzneimittel selbst kaufen, importieren und in den Verkehr bringen.

„Mit der Verordnung soll die Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs in der derzeitigen epidemischen Lage von nationaler Bedeutung sichergestellt werden“, heißt es in der Verordnung. Aufgrund der durch das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 verursachten pandemischen Lage komme es zu Engpässen bei der Versorgung der Bevölkerung mit bestimmten Produkten des medizinischen Bedarfs. Darüber hinaus bedürfe es einer Beschleunigung von Verwaltungsverfahren, um neue Produkte, insbesondere neue Arzneimittel verfügbar zu machen.

Zum medizinischen Bedarf zählt die Verordnung Arzneimittel, deren Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe, Medizinprodukte, Labordiagnostika, Hilfsmittel, Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung und Produkte zur Desinfektion sowie Betäubungsmittel.

Diese Regelungen will das BMG aussetzen für Arzneimittel und Produkte des medizinischen Bedarfs, die der Bund selbst angeschafft hat:

Apothekengesetz

  • § 8 Absatz 3: Kein Inverkehrbringen nach Ablauf des Verfalldatums
  • §10: Kennzeichnung
  • §11: Packungsbeilage
  • §11a: Fachinformation
  • §13: Herstellungserlaubnis
  • §§20b, 20c, 21a: Gewebezubereitungen
  • §21 Absatz 1: Zulassungspflicht
  • §43: Apothekenpflicht
  • §§47 bis 50: Vertriebswege und Verschreibungspflicht
  • §55, Absatz 8: Herstellung nach pharmazeutischer Qualitätssicherung
  • §§72 bis 73a: Einfuhr, Verbringungsverbot
  • §78: Preise
  • §84: Gefährdungshaftung
  • §94: Deckungsvorsorge

Arzneimittelhandelsverordnung

  • §4a Absatz 1 und §6 Absatz 1: Bezug von Arzneimittel nur durch Apotheken/Großhandel

Die Bundesregierung erhält „die Befugnis, nach der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite Arzneimittel, Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe, Medizinprodukte, Labordiagnostika, Hilfsmittel, Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung und Produkte zur Desinfektion zentral zu beschaffen, zu lagern, herzustellen und selbst in den Verkehr zu bringen“. Damit können Beschaffungsstellen des Bundes beauftragt werden. „Dadurch kann zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs die Verteilung zentral gesteuert werden“, heißt es. Die Bundesregierung übernimmt zugleich die Haftung für auf diesem Weg abgegebenen Produkte. Zur Abrechnung können die zuständigen Stellen „aus Vereinfachungsgründen“ mit den gesetzlichen oder privaten Krankenkassen pauschale Beträge vereinbaren.

Dann hebelt die Verordnung das Arzneimittelrecht aus: „Für die unmittelbar von den Bundesministerien beschafften Arzneimittel, Wirkstoffe, Hilfs- oder Ausgangsstoffe finden die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes über die Kennzeichnung, Herstellung, Zulassung, Vertriebswege, Ein- und Ausfuhr sowie die Gefährdungshaftung und die Pflicht zur Deckungsvorsorge keine Anwendung“, so die Verordnung. Die Behörden „benötigen insoweit keine weiteren Erlaubnisse nach dem Arzneimittelgesetz und sind auch nicht an den im Arzneimittelrecht geltenden Vertriebsweg gebunden“. Würden die Arzneimittel von den Bundesministerien über den Großhandel in den Verkehr gebracht, sei der Großhandel befugt, die Arzneimittel anzunehmen.

Auch noch nicht zugelassene Arzneimittel will Spahn im Eiltempo in die Versorgung bringen: „Werden nicht zugelassene Arzneimittel beschafft, sind die Arzneimittel entsprechend der Regelung des § 2 Absatz 2 der AMG-Zivilschutzausnahmeverordnung anhand der vorhandenen Unterlagen von der zuständigen Bundesoberbehörde mit Priorität auf ihre Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zu prüfen.“ Die Abgabe eines nicht zugelassenen Arzneimittels sei nur zulässig, „wenn die Qualität des Arzneimittels gewährleistet ist und dessen Anwendung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft, der von der zuständigen Bundesoberbehörde zu beurteilen ist, ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zur Vorbeugung oder Behandlung erwarten lässt.“ Auch wenn die Bundesministerien von der Einhaltung der vorgeschriebenen Vertriebswege befreit seien, sei sicherzustellen, dass die Abgabe der Arzneimittel zum Endverbrauch, das heißt an Patientinnen und Patienten, unter der Verantwortung einer Person erfolgt, die Arzt oder Apotheker sei.

Im Rahmen der derzeitigen epidemischen Lage könne es erforderlich sein, Arzneimittel aus dem Ausland zu importieren. Im Einzelfall könne in Anbetracht der Dringlichkeit der Versorgung mit solchen Arzneimitteln der Verzicht auf eine Kennzeichnung und eine Packungsbeilage nach den genannten Vorschriften geboten sein, weil eine Umverpackung sowie die Bereitstellung einer Packungsbeilage mit einem angesichts der Versorgungslage unvertretbaren Zeitaufwand verbunden wäre.

Zur Sicherstellung der Versorgung könne es im Einzelfall – abhängig von der jeweiligen Versorgungslage - auch notwendig sein, Arzneimittel zur Verfügung zu stellen, deren Verfalldatum bereits abgelaufen ist.

Dann definiert die Verordnungen Ausnahmen von der Guten Herstellungspraxis von Arzneimittel, Ausnahmen von den Anforderungen an sachkundige Personen, Ausnahmen von der Chargenprüfung und weiterer Vorschriften: „Im Einzelfall kann es erforderlich sein, Ausnahmen von den Vorschriften über die klinische Prüfung zuzulassen, um dringend benötigte Arzneimittel möglichst schnell den betroffenen Patientinnen und Patienten zur Verfügung zu stellen“, so die Verordnung.