Patientin kann Chargen nicht nachweisen

Valsartan-Skandal: Keine Entschädigung für Krebs-Angst APOTHEKE ADHOC, 28.10.2021 15:54 Uhr

Die Angst allein reicht nicht: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat die Forderungen einer Patientin zurückgewiesen, die wegen des Valsartan-Rückrufs 2018 eine Angststörung entwickelt hat. (Symbolbild) Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Die Angst, durch verunreinigtes Valsartan gesundheitlich geschädigt worden zu sein, reicht nicht, um den Hersteller in Haftung zu nehmen. Das hat das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) entschieden. Es hatte die Berufung einer Klägerin zurückgewiesen, die seit dem Rückruf im Jahr 2018 unter einer Angststörung leidet – allerdings ist nicht einmal gesichert, dass sie überhaupt verunreinigte Chargen erhalten hat.

Die Patientin war nicht an Krebs erkrankt – sondern leidet seit dem großen Rückruf im Jahr 2018 nach eigenen Angaben „unter der erheblichen psychischen Belastung, an Krebs zu erkranken und daran zu versterben“. Deshalb habe sie eine massive Angststörung mit Einschlaf- und Durchschlafstörungen, Angst- und Panikattacken mit Schweißausbrüchen sowie Herzrasen entwickelt, weswegen sie nun zusätzlich Medikamente einnehme. Deshalb forderte sie vor dem Landgericht Ulm Schadenersatz vom Hersteller.

Der wiederum wies die Forderungen zurück: Tatsächlich habe die Klägerin gar kein verunreinigtes Valsartan erhalten. Der Rückruf habe aus Praktikabilitätsgründen auch nicht verunreinigte Chargen umfasst. Das Landgericht gab dem Hersteller recht: So habe die Klägerin nicht nachweisen können, dass sie wirklich verunreinigtes Valsartan erhalten habe. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass im betreffenden Zeitraum von Dezember 2016 bis Oktober 2017 auch nicht verunreinigtes Valsartan im Umlauf war. Auch der Hersteller selbst habe den Wirkstoff nicht nur aus solchen Anlagen des Produzenten Zhejiang Huahai bezogen, die verunreinigte Chargen produzierten. Eine Haftung des Herstellers in einem solchen Einzelfall könne also wegen des generellen Rückrufs nicht festgestellt werden. Zwar sei das geeignet, „bei den hiervon betroffenen Patienten Angst auszulösen“. Allerdings seien aus besagten Praktikabilitätsgründen ganze 500 Chargen zurückgerufen worden – waren die eigenen Medikamente dabei, habe man also nicht automatisch davon ausgehen können, dass sie verunreinigt waren. Deshalb könne dem Hersteller kein schuldhaftes Verhalten angelastet werden.

Das wollte die Frau so nicht akzeptieren. Sie ging in Berufung. Das Landgericht habe überhöhte Anforderungen an ihre Darlegungslast gestellt: Um alle Chargennummern zu benennen, hätte sie schließlich alle Arzneimittelpackungen aufheben müssen. Das sei absurd, schließlich habe sie ja damals nicht mit einem Haftungsprozess rechnen müssen und anderswo sei nicht hinterlegt, wer welche Chargen erhalten hat. Eine so weitreichende Darlegungslast sei außerdem nicht mit §84 Arzneimittelgesetz (AMG), der die sogenannte Gefährdungshaftung regelt, vereinbar. „Der Umstand, dass weder Krankenkassen noch Apotheken zur Speicherung der Chargennummern aller Arzneimittel verpflichtet seien, dürfe nicht zu ihren Lasten gehen“, so das Argument.

Das OLG bewertete die Berufung als zulässig, aber nicht begründet. §84 AMG greife nur, wenn ein Mensch infolge der Fehlerhaftigkeit eines Medikaments gesundheitlich geschädigt wird oder stirbt. Dabei bestehe die Vermutung, dass der Schaden durch das Medikament entstanden sein könnte, nur „wenn dieses nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet ist, den Schaden zu verursachen“. Genau das könne die Frau jedoch nicht belegen. „Eine bloße Vermutung im Sinne einer ungesicherten Hypothese reicht folglich für die Anwendung des §84 Abs.2 Satz 1 AMG nicht aus“, so die Stuttgarter Richter. „Der Geschädigte muss die konkrete Möglichkeit der Schadensverursachung nicht nur darlegen, sondern im Bestreitensfall auch nachweisen.” Und hier sei das Problem im vorliegenden Fall: Es könne nicht festgestellt werden, „dass der Klägerin infolge der Anwendung eines von der Beklagten in Verkehr gebrachten Arzneimittels ein Gesundheitsschaden entstanden ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob mit NDMA verunreinigte Medikamente karzinogen.“ Ob sie wirklich verunreinigtes Valsartan erhalten hat, sei gar nicht mehr feststellbar – und die Klägerin übersehe, dass die bloße Vermutung einer gesundheitsschädlichen Eignung nicht ausreicht, um eine Haftung zu begründen.

Eine ähnliche juristische Debatte wird derzeit vor dem Oberlandesgericht Frankfurt geführt. Allerdings war die dortige Klägerin tatsächlich an Krebs erkrankt. Das Landgericht Frankfurt (LG) hatte die Klage abgewiesen, doch in einem Teilurteil hat das OLG den Hersteller später zur „Auskunft über bekannte Wirkungen und Erkenntnisse verurteilt, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Valsartan von Bedeutung sein können, soweit diese u.a. Krebserkrankungen betreffen“. Die Patientin habe nachgewiesen, das Medikament eingenommen zu haben; es gebe auch Hinweise, dass das Arzneimittel den Schaden tatsächlich verursacht habe.

Eine derartige „begründete Annahme“ sei jedenfalls dann zu bejahen, „wenn mehr für eine Verursachung der Rechtsgutsverletzung durch das Arzneimittel spricht als dagegen“. Erforderlich sei eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“. Der Nachweis, aus welcher Charge ein verwendetes Medikament stamme, sei dem Durchschnittsverbraucher kaum möglich, so das OLG. Es bestehe keine Obliegenheit des Konsumenten, bei jedem eingenommenen Medikament die auf der Packung aufgedruckte Chargenbezeichnung zu notieren. Sofern eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die Patientin tatsächlich ein Medikament aus einer kontaminierten Charge erhalten habe, sei die für den Auskunftsanspruch erforderliche Annahme der Schadensverursachung gut begründbar.