Retaxationen

Rezept-Gültigkeit: BfArM verwirrt Apotheker Alexander Müller, 17.05.2016 10:04 Uhr

Berlin - 

Nicht immer sind es fünfstellige Beträge oder Retaxationen aufgrund kleiner Formfehler, die zu Streit zwischen Apothekern und Krankenkassen führen. In diesem Fall zwischen einem baden-württembergischen Apotheker und der DAK Gesundheit geht es nur um 27,21 Euro – aber um eine zentrale Frage: Wie lange dürfen Rezepte über Isotretinoin-haltige Arzneimittel beliefert werden? Selbst offizielle Stellen äußern sich hierzu widersprüchlich.

Isotretinoin ist hoch teratogen und daher in Schwangerschaft und Stillzeit absolut kontraindiziert. Frauen im gebärfähigen Alter dürfen den Wirkstoff nur einnehmen, wenn alle Bedingungen eines Schwangerschaftsverhütungsprogramms erfüllt werden. Um das Risiko zu minimieren, müssen Rezepte innerhalb von sieben Tagen nach Ausstellung eingelöst werden. Laut DAK zählt der Tag der Verordnung mit, die Kasse geht von 6+1 Tagen aus und retaxierte die Apotheke, die nach dieser Interpretation einen Tag zu spät dran war.

In der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) ist die Gültigkeit nicht geklärt. Es gibt lediglich einen „Leitfaden für Ärzte und Apotheker zur Verordnung und Abgabe von Isotretinoin“ des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Darin heiß es: „Die Abgabe durch den Apotheker muss innerhalb von sieben Tagen nach Ausstellung erfolgen.“

Das BfArM zählt wie die Kasse: „Die Abgabe darf bis zu sieben Tage erfolgen, wobei der Tag der Ausstellung des Rezepts mitzählt“, teilte die Behörde auf Nachfrage Anfang März mit. Mittlerweile ist man sich nicht mehr so sicher. Die Bonner Behörde war immerhin schon einmal anderer Auffassung: Im August 2010 interessierte sich der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) für die Isotretinoin-Rezepte. Das BfArM antwortete am 6. Oktober und verwies zunächst auf den Leitfaden zur Verordnung und Abgabe.

Darin heißt es wörtlich: „Abgabe von Isotretinoin an Patientinnen nur innerhalb von sieben Tagen ab auf dem Rezept vermerkten Ausstellungsdatum. Rezepte, die mehr als sieben Tage nach dem Ausstellungsdatum vorgelegt werden, werden als ungültig betrachtet und müssen vom Verordner neu ausgestellt werden (dies erfordert das Durchführen eines neuen Schwangerschaftstest).“ Was das für die Apotheke bedeutet, schrieb das BfArM unmissverständlich an den AVWL: „Demnach besitzt eine Verordnung 7+1 (Ausstellungsdatum) Tage Gültigkeit.“

Wie es zu den abweichenden Auskünften kommen konnte, war im BfArM bislang nicht zu klären. Zunächst hatte ein Sprecher festgestellt, dass die aktuellere Antwort die Position der Behörde sei. Demnach gilt nach Interpretation des BfArM die 6+1-Regel. Allerdings gelte dies nur vorbehaltlich der Abstimmung mit der Fachabteilung.

Hier hat man sich offenbar noch nicht festgelegt: „Mit Blick auf Fragen der Risikominimierung und der Gleichbehandlung teratogener Stoffe beziehungsweise der Konsistenz mit anderen Verordnungen und Richtlinien steht das BfArM derzeit noch in Abstimmung und wird die betroffenen Fachkreise im Anschluss informieren“, heißt es jetzt aus Bonn. Zur Rechtmäßigkeit von Retaxationen trifft die Behörde aber explizit keine Aussagen.

Die enge Auslegung der Gültigkeit entspräche der Regelung für T-Rezepte. Für die teratogenen Wirkstoffe Lenalidomid, Pomalidomid oder Thalidomid ist in der AMVV allerdings explizit geregelt, dass Rezepte „bis zu sechs Tagen nach dem Tag ihrer Ausstellung gültig“ sind. Die Formulierung ist eindeutig. Isotretinoin ist zwar ebenfalls teratogen, muss aber nicht auf T-Rezepten verordnet werden.

Fraglich ist aus Sicht der Apotheker zudem, ob ein BfArM-Leitfaden überhaupt Grundlage einer Retaxation sein kann. Spannend ist zudem die Frage, ob die beschränkte Gültigkeit der Rezepte für männliche Patienten gleichermaßen gilt. Apotheken, die auf Nummer sicher gehen wollen, halten sich an die 6+1 Regel. Dass einen Tag später eine Retaxation gerechtfertigt ist, lässt sich allerdings nicht mit Sicherheit sagen.

Orales Isotretinoin wird bei Patienten mit schweren Formen von Akne eingesetzt, die gegen eine Standardbehandlung mit systemischen Antibiotika in Kombination mit Topika therapieresistent sind. Der Einsatz ist in Schwangerschaft und Stillzeit absolut kontraindiziert, da Isotretinoin bei ungeborenen Kindern sehr häufig zu Missbildungen führt.