Zyto-Skandal

Protokolle in Noweda-Kisten APOTHEKE ADHOC, 29.11.2017 15:22 Uhr

Berlin - 

Bei den Durchsuchungen in der Alten Apotheke in Bottrop wurde laut einem aktuellen Correctiv-Bericht ein Raum übersehen. Als die Tür neun Monate später doch geöffnet wurde, kamen 18 Noweda-Kisten zum Vorschein, in denen Herstellungsprotokolle verstaut waren. Die Staatsanwaltschaft rechtfertigt sich damit, dass diese Unterlagen als Beweise nicht relevant waren. Derweil geht vor dem Landgericht Essen der Prozess weiter.

Acht Stunden lang hatten die Ermittler die Apotheke und das Sterillabor am 29. November 2016 durchsucht. Gegen 6 Uhr morgens verschafften sich Polizisten Zutritt zum Laborbereich, beschlagnahmten fertige, teilweise ungekühlte Zubereitungen und Unterlagen.

Übersehen wurde laut Correctiv eine Tür mit der Aufschrift Technikraum. Erst Ende August entdeckt ein Mitarbeiter, dass in einem der beiden Räume hinter in der Brandmeldezentrale 18 Transportwannen der Noweda voll mit Dokumenten gestapelt sind. Er ruft die Ermittler an und informiert sie über einen Fund.

In den Wannen lagern laut Correctiv-Bericht Bestellungen von Onkologen aus dem Zeitraum Dezember 2015 bis Juli 2016 sowie Herstellungsprotokolle von Zytostatika, die zwischen Januar und Mai 2016 zubereitet wurden. Die vorgeschriebenen Unterschriften fehlen. Auf Nachfrage von Correctiv antwortete die Staatsanwaltschaft: „Wir haben dazu keine Ermittlungen durchgeführt, da die Papiere keinen Beweiswert besaßen.“ Sie seien bereits elektronisch erfasst gewesen.

Dass bei der Durchsuchung so viele Noweda-Kisten gefunden wurden, hat damit zu tun, dass S. einer der größten Kunden der Genossenschaft war. In einem früheren Bericht bezifferte Correctiv den Monatsumsatz auf etwa 600.000 Euro. Die Noweda kann sich zum Geschäftsverhältnis mit S. nicht äußern, stellt aber klar, von dem Apotheker weder betrogen zu sein, noch in die Vorgänge verwickelt gewesen zu sein, die jetzt Gegenstand des Verfahrens vor dem Landgericht Essen sind.

Der Großhändler weist darauf hin, mit den Vorwürfen rund um das Zyto-Geschäft nichts zu tun zu haben. Denn die fraglichen Wirkstoffe würden nicht beim „normalen“ Pharmagroßhandel bestellt, sondern direkt bei den Spezialanbietern. Die paar Fertigarzneimittel für die Krebstherapie, die über die Noweda geliefert worden seien, stünden in keinem Verhältnis zu den gegen S. erhobenen Vorwürfen.

Laut Correctiv fanden die Ermittler aber heraus, dass S. einen nicht genehmigten – und damit illegalen – Großhandel betrieb. So habe er bei der Noweda Sonderrechte bei Retouren gehabt und diese genutzt, um im Ausland gekaufte Ware auf diese Weise „zurückzugeben“. Dass S. angesichts der erheblichen Umsätze entsprechend hohe Retouren gehabt haben kann, liegt auf der Hand. Aber auch in diesem Bereich konnte die Noweda keine Unregelmäßigkeiten feststellen.

Umgekehrt soll S. auch Ware ins Ausland verkauft haben. Laut Correctiv soll er bei der Noweda Antikörper im Millionenwert einkauft haben, die er dann in Schleswig-Holstein umverpacken ließ und weiter nach Dänemark und Schweden verkauft haben soll. Mit den Vorwürfen, Arzneimittel gepanscht zu haben, hat das nichts zu tun.

Vor dem Landgericht wurde heute Thomas Tix, Geschäftsführer des Rechenzentrums ALG, als Zeuge vernommen. Er berichtete laut Correctiv, dass bis heute verschiedene Krankenkassen insgesamt 3 Millionen Euro wegen des Verdachts der gestreckten Medikamente zurückhalten. Die ALG selbst hat demnach noch offene Forderungen in Höhe von 30.000 Euro an die Alte Apotheke.

Weiter geht es am 6. Dezember. Dann wird mit PTA Marie Klein einer der beiden Whistleblower vernommen. Klein war von Martin Porwoll eingeweiht worden. Der kaufmännische Leiter hatte für fünf Wirkstoffe die Abrechnungs- und Einkaufslisten abgeglichen und war auf gravierende Unterschiede gestoßen. Weil die Ermittler auf weitere Beweise drängten, stellte sie einen Infusionsbeutel sicher, der angeblich Cyramza enthielt und den sie zuvor aus einer Praxis abgeholt hatte. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) teilte später in seinem Abschlussbericht mit, dass in dem Beutel kein Wirkstoff war.

„Dieses Präparat hätte schäumen müssen, Antikörper sind große Proteinmoleküle, das müssen Sie sich vorstellen wie mit einem Tropfen Pril im Wasserglas, da lässt die Oberflächenspannung nach“, erklärte Klein später. Als sie den Beutel leicht schüttelte, schäumte gar nichts. „Also habe ich unter den Stopfen geschaut, mit dem solche Infusionen geschlossen werden. Das ist die Stelle, wo der Wirkstoff eingespritzt wird. Und dieser Stopfen war unverletzt. Das heißt, da ist nichts zugeführt worden.“