ApoRetrO – der satirische Wochenrückblick

Notdienst am Limit: Überwachung und Reaktionstest 15.11.2025 07:58 Uhr

Berlin - 

Weil ein Inhaber aus Berlin die sieben Kontrollanrufe des LAGeSo in seinem Bereitschaftsdienst nicht entgegen nahm, müssen Notdiensthabende ab sofort strenge Vorgaben einhalten. Neben einem vorgeschriebenen Müdigkeitswarnsystem und einem zufällig angeordneten Reaktionstest, öffnet sich auch die Notdienstklappe jedes dritte Mal nur nach einem erfolgreich absolvierten Captcha-Test. Carsten Seppelsmeyer, Inhaber der Bündelpeter-Apotheke in Nordhausen, musste sich auch noch durch etliche Post-Ident-Verfahren kämpfen.

Seppelsmeyer ist dank der neuen KI-assistierten Notdienstverteilung nun schon seit 36 Stunden in Bereitschaft. Inzwischen hat er das Gefühl, eher Objekt als Mensch zu sein. Das stündliche Post-Ident-Verfahren zur Berechtigung der Dienstausführung hat er gerade erst hinter sich gebracht. Diesmal stand der völlig übermotivierte Postbote sogar persönlich vor der Tür, um ihn morgens um 3 Uhr zu fotografieren, während er verzweifelt versuchte, die Augen weit genug zu öffnen und dabei völlig stillzustehen.

Kaum war der Bote weg, machte sich der Apotheker auf den Weg zur Toilette. Doch der Fingerabdrucksensor an der Türklinke besteht dieses Mal auf die Zwei-Faktor-Authentifizierung. Hektisch tippt Seppelsmeyer zig Passwörter ins Handy und bestätigt zum x-ten Mal die per SMS geschickten Zahlencodes, während draußen schon wieder jemand an der Notdienstklappe ruft: „Halloooo? Ist da überhaupt jemand?“ Natürlich ist da jemand, denkt sich Seppelsmeyer genervt. Plötzlich springt die WC-Tür auf.

Schnell ins Mikro pusten

Bevor er danach jedoch die Klappe öffnen kann, pustet er schnell zum sechszehnten Mal ins Mikro seines Telefons. Das ist neuerdings auch alle 30 Minuten Pflicht im Bereitschaftsdienst, und wird per Standleitung zum LAGeSo überprüft.

Die Notdienstklappe lässt sich jedes dritte Mal nur durch einen Captcha-Test öffnen. Seppelsmeyer murmelt Stoßgebete, dass es diesmal ohne klappen möge. Doch der Bildschirm neben der Klappe blinkt: „Wähle alle Bilder aus, die Ibuprofen enthalten.“ Sekundenschlaf übermannt ihn, er scheitert. Das System lässt das nicht durchgehen. Er wird aufgefordert laut und deutlich zu rufen: „Ich bin wach und verkaufsbereit!“, um fortzufahren. Endlich: Die Klappe öffnet sich. Dahinter lallt es unverständlich: „Einmal Nasenspray!“

Achtung Überforderung!

Auf dem Weg zur Schnelldreherschublade schlägt plötzlich seine Smartwatch Alarm. „Du hattest einen anstrengenden Tag, lege den Ruhemodus ein.“ Haha, sehr witzig, denkt Seppelsmeyer. Über ihm brummt die neue Wärmebildkamera, die prüfen soll, welche Wege er wann und mit welcher Körpertemperatur geht.

Er fischt das Nasenspray aus der Schublade, trifft aber den geforderten Winkel seines Ellenbogens nicht. Ein bekanntes Relikt aus der Auto- und Flugindustrie: Was im Fahrzeug der Lenkwinkelsensor, ist in der Apotheke inzwischen der Ellenbogen-Hand-Winkel beim Öffnen der Schubladen. Neben Kassenplatz 1 blinkt nun deshalb das neue Müdigkeitswarnsystem. Eine dampfende Kaffeetasse teilt ihm mit, er solle Pause machen. „Ach halte die Klappe“, faucht er und ärgert sich, dass auch hier während der Digitalisierung am falschen Ende gespart wurde. Denn was für müde Autofahrer gelte, sei in der Apotheke völlig praxisfern.

Fang das Lineal!

Seppelsmeyer drückt die blinkende Kaffeetasse auf dem Display weg. Das war ein grober Fehler: Begeben Sie sich sofort zum Reaktionstest in den Kommissionierautomaten“, weist ihn das System an. „Och neee“, ruft Seppelsmeyer, denn er weiß genau was nun folgt. „Fang das Lineal!“ Der Greifarm hält schon drohend das 30cm-Maß in die Höhe, während draußen der nächste Kunde ruft: „Was dauert denn da so lange?“

Seppelsmeyer greift daneben. Natürlich, denn mittlerweile ist es kurz nach 4 Uhr. Das System warnt: „Reaktionszeit ungenügend. Verdacht auf Schlaf. Achtung, nur noch ein Versuch.“ Bis 8 Uhr endlich die Ablösung kommt, muss er noch durchhalten. Der Dienst läuft gnadenlos weiter. „Gleich ist wieder Mikrofonpusten dran“, denkt Seppelsmeyer erschöpft….

Zwar ist es in manchen Notdienstnächten auch nicht weit her mit Pausenzeiten, aber zum Glück sind Inhaberinnen und Inhaber bisher auch nicht per Reaktionstest gezwungen ihre Anwesenheit nachzuweisen. Dafür müssen sie telefonisch erreichbar sein, ansonsten droht ein Bußgeld, wie es ein Inhaber aus Berlin schmerzlich im Breitschaftsdienst erfahren musste.

Wie stark die Digitalisierung am Umsatz zerren kann, macht Rechtsanwalt Marco Dohmen klar. Die Einführung des E-Rezepts habe viele Inhaber wirtschaftlich schwer getroffen: „Wir haben bei manchen Apotheken Umsatzrückgänge im Rx-Bereich von bis zu 40 Prozent.“

Wegen des Massentausch von HBA- und SMC-B-Karten verzweifeln bei Medisign die Mitarbeiter. Mehr als 10.000 Anrufe müssen innerhalb von Stunden entgegen geneommen werden, ohne Aussicht auf ein Ende des Ansturms.

In diesem Sinne: Ein schönes Wochenende!