ApoRetrO – der satirische Wochenrückblick

Nach 30 Jahren: Retax zur Silberhochzeit 02.08.2025 08:00 Uhr

Berlin - 

Dr. Claudia Bergmann-Weber feiert heute Silberhochzeit mit ihrem Ehemann Martin. Während im Garten gratuliert, geplaudert und angestoßen wird, erreicht sie ein vergilbter Brief aus der Vergangenheit. Eine Krankenkasse fordert 21,30 D-Mark – wegen eines Arzneimittels, das es längst nicht mehr gibt.

Dr. Claudia Bergmann-Weber feiert heute Silberhochzeit mit ihrem Ehemann Martin. Ende der 1990er lernten sie sich kennen – in einer Zeit, in der sich Claudia beruflich wie privat neu aufstellte. Zuvor war sie kurz mit Studienkollege Thomas Fromm verheiratet, gemeinsam führten sie eine kleine Apotheke in Castrop-Rauxel. Ehe und Apotheke hielten nicht lange: Claudia zog Konsequenzen, stieg aus, nahm ihren Mädchennamen wieder an – und bezeichnete die Kombination aus Ehe und Betriebsführung später als gescheiterten Feldversuch mit Betriebserlaubnis.

Dass sie dieser Teil ihrer Vergangenheit ausgerechnet heute einholt, damit hätte sie in ihren kühnsten Träumen nicht gerechnet. Es ist kurz vor Mittag, das Buffet dampft, der Prosecco fließt, die Gäste stehen in Clustern unter dem Pavillon. Eine Nachbarin berichtet gerade von Impfpraktiken in den 60ern, als der Postbote über den Rasen Richtung Jubilarin stolpert – schiefe Mütze, gerader Gang, zuverlässig seit Kabinett Kohl IV.

Leicht außer Atem steht er vor ihr, ein Glas Sekt in der Hand, das man ihm ungefragt gereicht hatte: „Meine herzlichsten Glückwünsche, Frau Doktor – hier, Blumen von meiner Frau – alles Gute zur Silberhochzeit!“, sagt er und überreicht ihr einen kleinen Strauß aus dem eigenen Garten. Bergmann-Weber weiß, dass seine Frau längst alles online bestellt. Der Strauß landet später auf dem Kompost – oder bei der Schwägerin.

Doch der Postbote hat noch etwas: „Hier, laut Stempel hatte es Eile. 1995.“ Ungläubig nimmt die Apothekerin den Umschlag in die Hand. Hellgraues Papier, Eselsohren, mehrfach überklebte Etiketten. Ihre aktuelle Anschrift stimmt, doch darunter schimmert noch: „Phoenix-Apotheke – z. Hd. Frau Claudia Fromm“.

Auf der Rückseite ein vergilbter Etikettenrest mit dem Hinweis: „Empfänger verzogen – Sendung zur Wiedervorlage archiviert – erneuter Versand 8/2025 lt. interner Anfrage.“ Bergmann-Weber setzt sich auf die Gartenbank, legt die Blumen beiseite und öffnet den Umschlag. Die Durchschrift ist blassblau, das Papier brüchig. Der Arzneimittelname kaum zu entziffern. Ein Tel…, ein -dane, vielleicht auch -adin.

„Könnte Teldane gewesen sein“, murmelt sie. „Oder irgendetwas anderes, das es längst nicht mehr gibt.“ Das Begleitschreiben ist mit der Maschine getippt und mit einem Krankenkassenlog versehen, das vermutlich zuletzt in Word 98 SE verwendet wurde, Betreff: Taxbeanstandung – Arzneimittelversorgung vom 14.5.1995.

„Sehr geehrte Frau Dr. Bergmann-Weber, im Rahmen einer strukturierten Nachbearbeitung der Abrechnungen Ihrer früheren Betriebsstätte wurde bei der Arzneimittelversorgung vom 14.5.1995 eine nicht vertragskonforme Abgabe festgestellt“, heißt es dort. Dann: „Das abgegebene Präparat (Kat.-Nr. 108473-A) wurde ohne ordnungsgemäße Kennzeichnung und außerhalb der gültigen vertraglichen Regelung abgerechnet. Wir fordern daher die Rückerstattung des Differenzbetrags in Höhe von 21,30 DM.“

Bergmann-Weber blinzelt, als sie die kursiv geschriebene Fußnote liest: „Ihre aktuelle Anschrift wurde über Abgleich mit der zuständigen Apothekerkammer sowie öffentlich zugängliche Quellen (u. a. Heiratsanzeige in der Lokalpresse, 2.8.2000) ermittelt. Hinweis: Rückzahlungen in DM sind ausschließlich per Überweisung unter Angabe der ursprünglichen IK möglich. Bitte sehen Sie von Bargeldsendungen ab.“

Während ihr Sohn mit seiner Band „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ anstimmt und die Cousine ihres Mannes dem Bürgermeister gerade den Aperol Spritz über das Leinenjackett gießt, steht für die Apothekerin kurz die Zeit still. Langsam legt sie das Schreiben beiseite – drei Jahrzehnte und zwei Nachnamen hat es gebraucht, um sie an einem einzigen Mittag zu erreichen. Sie denkt kurz über die 21,30 D-Mark nach, schüttelt dann den Kopf – und lässt die Vergangenheit Vergangenheit sein.

Tatsächlich erhielt Jan Thiel sechs Jahre nach Aufgabe seiner Selbstständigkeit eine Rezeptprüfung von 2018. Die IKK classic fordert 21,03 Euro – und nutzte für die Zustellung seine Privatadresse. Apropos Retax: Seit dem 1. August ist die Beanstandungsfrist bei der AOK Nordost von 23 auf zwölf Monate verkürzt worden. Die Abrechnungsfrist beträgt seitdem maximal zwei Monate nach dem Liefermonat.

Aufgeben Fehlanzeige: Nachdem zum 30. Juni der Hilfsmittelvertrag zwischen DAV und IKK classic wegen fehlender Einigung endete, setzt die Kasse nun auf Einzelverträge und kontaktiert Apotheken per automatisierter E-Mail. Aufgegeben wurde auch die Kooperation zwischen Shop Apotheke und Zava nicht: Der niederländische Versender verweist weiterhin bei oralen Kontrazeptiva an die Telemedizin-Plattform. Dabei hatte der BGH im Februar 2023 die Zusammenarbeit untersagt, da sie gegen das Zuweisungsverbot nach § 11 Apothekengesetz verstößt.

In diesem Sinne: Ein schönes Wochenende!