Kommentar

Brötchen, Diesel, Insulin Alexander Müller, 05.08.2016 11:35 Uhr

Berlin - 

„Es gibt kein Apothekensterben“, erklärte der damalige Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr der damaligen Bundestagspartei FDP im Oktober 2012. Es sei auch nicht Aufgabe der Politik, die Anzahl der Apotheken festzulegen. Das würde man bei Bäckereien, Lebensmittelläden und Tankstellen auch nicht tun. Das würde der Markt regeln, sagte Bahr. So ein Unsinn. Ein Kommentar von Alexander Müller.

Auch die ABDA ist in der Kommunikation mittlerweile von dem Begriff „Apothekensterben“ abgerückt. Der Rückgang ist – verglichen mit anderen Branchen – in der Tat nicht so dramatisch. Außerdem will man vermeintlich alternativen Versorgungskonzepten anderer „Player“ wohl keinen argumentativen Nährboden geben. Die Apotheken sollen nicht überfordert wirken. Die Ärztelobby steht vor demselben Problem, nicht zu laut um Hilfe rufen zu dürfen. Es ist ein schwieriges Unterfangen.

Den stetigen Rückgang der Apotheken können aber weder Politik noch ABDA ignorieren, der Trend ist klar erkennbar. Bestimmt reißt nicht jede geschlossene Offizin eine große Lücke in die Versorgungsstruktur – einige aber schon. Und es ist – trotz Niederlassungsfreiheit – eben nicht allein der Markt, der die Zahl der Apotheken regelt, wie Bahr meinte. Die Politik bestimmt über das Apothekenhonorar zumindest indirekt sehr wohl die Zahl der Apotheken.

Und nicht nur über das Honorar, sondern auch über sonstige Vorgaben und Auflagen. Es ist toll, dass die Apotheken barrierefrei zu erreichen sind. Aber wenn eine Landapotheke schließt, weil der Nachfolger die Eingangstreppe nicht durch die Revision bringt und ein Umbau unrentabel ist, dann ist niemandem geholfen.

Ökonomen ziehen gerne andere Branchen als Vergleich heran, um die vermeintliche Überversorgung mit Apotheken zu belegen. Doch das Sortiment von Bäckern und Fleischern ist – man kann das bedauern – zum Teil in die Supermärkte abgewandert. Hier hat der Markt tatsächlich eine Verdrängung erwirkt, der Verbraucher hat sich entschieden.

Bei Arzneimitteln kann er sich nicht entscheiden, es sei denn, der Gesetzgeber hält die Apothekenpflicht in ihrer heutigen Form irgendwann für übertrieben. Unwahrscheinlicher ist die Entwicklung in die andere Richtung, bei der die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) in ländlichen Gebieten gelockert wird: Weil es weder Bäcker noch Fleischer mehr gibt, zählen Wurst und Brötchen zum apothekenüblichen Sortiment, da sie dann einen „unmittelbaren Gesundheitsbezug“ bekommen.

Zurück zu den ebenfalls beliebten Vergleichen mit Tankstellen. Zu den Zahlen: 1970 gab es hierzulande mehr als 46.000, aktuell sind es noch rund 14.500. Dass sich das noch nicht nach Unterversorgung anfühlt, liegt in der Natur der Sache: Tankstellen suchen die meisten von uns motorisiert auf – bei einer staatlichen Bedarfsplanung wäre das wohl zu berücksichtigen. Aus wirtschaftlicher Betrachtungsweise wäre auch die Ausweitung des „tankstellenüblichen Sortiments“ in Rechnung zu stellen. Die Idee ist dieselbe wie bei den Apotheken, nur haben Tankstellenbetreiber deutlich mehr Ellbogenfreiheit.

Aber darum geht es gar nicht, denn Tankstellen und Apotheken sind nicht zu vergleichen. Kennen Sie noch den Aral-Werbespot, Anfang der 1990er Jahre? Ein Mann bleibt mit seinem Auto liegen und läuft mit seinem Kanister los, um Benzin zu besorgen. Die erste Tankstelle lässt er links liegen und läuft (zum Song „I'm walking“) bis zur nächsten (Aral-)Tankstelle.

Würde man heute vermutlich nicht mehr so machen, weil der weitere Weg ein schlechtes Bild auf die Filialstruktur von Aral wirft. Besonders glaubwürdig ist es auch nicht, da die wenigsten Verbraucher mit Tankstellen einen Qualitäts-, geschweige denn Preiswettbewerb assoziieren.

Trotzdem eignet sich der Spot ausnahmsweise für einen Vergleich Tankstelle/Apotheke. Der Mann in der Werbung ist zwar irgendwann ziemlich genervt von der ganzen Rennerei – aber er wirkt gesund. Hätte er Fieber oder eine akute Unterzuckerung, sähe er vermutlich unglücklicher aus. Und: Den Tank leer zu fahren, ist einigermaßen hirnlos, unerwartet krank werden kann jeder. Und jeder wird froh sein, wenn er dann eine Apotheke in der Nähe hat, die von den Bahrs, Röslers und Gröhes dieser Welt noch nicht wegrationalisiert wurde.