Kommentar

Die Angst der Deutschen vor dem Plastikgeld Silvia Meixner, 11.12.2017 10:21 Uhr

Berlin - 

Jeder am HV-Tisch kennt dieses Gefühl: In der Offizin hat sich eine Schlange gebildet, alle husten und sind ungeduldig. Aber gute Beratung braucht eben Zeit. Jetzt muss der Kunde nur noch schnell bezahlen. Von wegen. Jetzt beginnt das große Münzenzählen: sieben Euro, 20, 30 – halt! Lieber doch ein großer Schein. Alle Münzen werden wieder ins Portemonnaie zurückgekippt. Und das Scheinsuchen startet. Die ersten Kunden verdrehen die Augen, während hinter den Kulissen das neue Glory-System geräuschlos auf seinen ersten Einsatz wartet.

Wertvolle Zeit geht verloren. Der Gesichtsausdruck des Apothekenmitarbeiters bleibt professionell-freundlich. Cashless ginge das Bezahlen viel schneller. Es gibt Länder wie zum Beispiel Schweden, da kann man sogar einen Kaugummi mit Kreditkarte bezahlen und alle finden das normal. Versuchen Sie das einmal im Supermarkt in Berlin-Kreuzberg, wenn alle es eilig haben. In einigen Ländern ist die Reaktion genau umgekehrt: Man wird freundlich belächelt, wenn man etwas bar bezahlen möchte. Deutsche Reisende enttarnen sich auf diese Weise, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben.

Langsam, ganz langsam vollzieht sich in Deutschland ein Wandel hin zum Plastikgeld. Rund 80 Prozent aller Bezahlvorgänge werden in bar erledigt. Zum Vergleich: In Frankreich sind es 56 Prozent, in den Niederlanden 52 Prozent, in den USA weniger als die Hälfte. Woher kommt die Vorsicht, die andere über uns lächeln lässt?

Verschiedene Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, vermutlich stimmt von allem ein bisschen etwas. These Nr. 1: Die Deutschen möchten kontrollieren können, wie viel Geld sie ausgeben. Und das geht einfacher mit einem Blick auf die Bargeldvorräte. These Nr. 2: Kartenzahlung verleitet dazu, mehr Geld auszugeben als man eigentlich wollte. These Nr. 3: Die Menschen befürchten, einen Teil ihrer persönlichen Freiheit zu verlieren, wenn der Staat sie „zwingt“, bargeldlos zu bezahlen. Der Gedanke daran, dass man mit ein paarmal Tippen in ein kleines Kästchen an der Kasse die Kontrolle über sein Geld verliert, besorgt viele Bürger. Wer bekommt die Daten, was geschieht damit und was, wenn sie verloren gehen…

Immer wieder rauscht die Schlagzeile „Bargeld soll abgeschafft werden“ oder, schlimmer noch „Die Politiker wollen uns das Bargeld wegnehmen“ durchs Land. Dem folgen Empörung, Entrüstung und dann bezahlt man weiterhin bar. Sicher ist sicher. So lange es geht. Im Land der Dichter und Denker könnte man doch auch da einmal darüber nachdenken.

Eine gute Initiative für das Umgewöhnen an Cashless Payment wäre eine Aktion der Apotheker. Es ist ein Berufsstand, dem viele Menschen vertrauen und wenn in der Offizin diese Zauberkästchen stehen, dann ist das vertrauenserweckend. Und was die Apotheker praktisch finden, kann der Kunde zumindest einmal näher betrachten. Bezahlexperten in aller Welt arbeiten an den Feinheit der NFC-Bezahlsysteme. Positiver Nebeneffekt in der Offizin: Der Kontakt und damit die Ansteckungsgefahr wird minimiert.

Heute hält man seine EC-Karte an ein Kästchen und die Summe wird vom Konto abgebucht. Eines Tages wird es reichen, einen Ring, das Brilli-Armband oder im Vorübergehen den Schal an das Kästchen zu halten. Design trifft Cashless Paying. Vielleicht druckt das Brilli-Armband abends dann die persönliche Tages-Abrechnung aus. Und das Wort Servicewüste streichen wir aus unserem Wortschatz.