Treffen im Adlon?

Desinfektionsmittel von DocMorris: Betrüger belastet Spahn Patrick Hollstein, 16.02.2022 14:57 Uhr

In seinem eigenen Betrugsprozess machte der geständige Betrüger Hendrik Holt gestern Aussagen, die den ehemaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schwer belasten. Foto: picture alliance/dpa/Friso Gentsch
Berlin - 

Desinfektionsmittel von DocMorris für den Bund – und eine Beteiligung für Jens Spahn (CDU)? In seinem eigenen Betrugsprozess machte der geständige Betrüger Hendrik Holt gestern Aussagen, die den damaligen Bundesgesundheitsminister schwer belasten. Es geht um ein Treffen im Nobelhotel Adlon – das es laut Spahn gar nicht gegeben hat.

Vor der Wirtschaftsstrafkammer des Osnabrücker Landgerichts wird seit August der Prozess gegen Holt geführt. Der Unternehmer war im April 2020 verhaftet worden, ihm wird Betrug im großen Stil zur Last gelegt. Holt hat aber nicht nur die ihm vorgeworfenen Taten im Zusammenhang mit fingierten Windparks gestanden – sondern zuletzt auch ein angebliches Millionengeschäft mit Desinfektionsmitteln, das er seinerzeit mit Spahn einfädeln wollte.

Ins Rollen gekommen war die Sache, weil auf einem Datenträger, der im April 2020 bei der bundesweiten Razzia in Räumlichkeiten der Holt-Gruppe sichergestellt worden war, eine Mail des DocMorris-Lobbyisten Benedict Pöttering, damals vorübergehend in Holts Diensten, an Spahn gefunden wurde. Demnach wollte Holt kurz vor seiner Festnahme große Mengen Desinfektionsmittel in China beschaffen und über DocMorris an den Bund weiterverkaufen – mit üppigen Gewinnmargen für alle Beteiligten.

Nach übereinstimmenden Berichten von Neuer Osnabrücker Zeitung (NOZ) und OM-online (Münsterländische Tageszeitung, Oldenburgische Volkszeitung) sagte Holt gestern vor Gericht dazu aus. Im Bar-Bereich des Adlon seien die Details besprochen worden – und zwar mit Spahn persönlich. Der Minister selbst sei es gewesen, der eine direkte Belieferung für problematisch gehalten habe, weil dies den Bundesbehörden schwer zu vermitteln sei, so Holt. Ratsam sei daher die Einbindung eines Pharmaunternehmens. So soll DocMorris ins Spiel gekommen sein. Dies wiederum ist laut den Berichten belegt durch ebenjene Mail, die Pöttering kurz darauf an seinen Duz-Freund Spahn („Lieber Jens“) geschrieben hat.

Nachdem Holt laut NOZ schon zuvor behauptet hatte, dass eine Führungskraft der Apotheke eine Art Provision für sich eingefordert hatte, wollte der Vorsitzende Richter in der gestrigen Verhandlung wissen, ob auch Spahn etwas haben wollte. Nach seiner Erinnerung habe Spahn gesagt, man solle auch an ihn denken, so Holts Aussage. Er selbst habe eine etwa 2-prozentige Umsatzbeteiligung einkalkuliert, räumte er laut MO-Online weiter ein. Eine konkrete Vereinbarung mit Spahn soll es aber nicht gegeben haben.

Spahns Büro teilte auf Nachfrage mit: „Herr Spahn kennt Herrn Holt nicht persönlich, es gab kein Treffen im Adlon und auch sonst keinerlei Gespräche.“

Im Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte die NOZ unter Bezugnahme auf das Informationsfreiheitsgesetz eine Einsichtnahme in die „Korrespondenz mit und zu der Holt-Unternehmensgruppe sowie eine Übersicht etwaiger Termine oder Treffen mit Vertretern der Unternehmensgruppe ab 2018“ gefordert, bis heute aber nicht erhalten.

Laut Bericht prüft die Staatsanwaltschaft nun auch diesen Deal, der allerdings nie zustande kam. Zwar soll DocMorris laut früheren Aussagen bereits vier Millionen Euro auf ein Holt-Konto in den Niederlanden überwiesen haben; doch nachdem Holt verhaftet wurde, soll der Betrag zurückgeflossen sein. DocMorris will die Sache nicht kommentieren, man äußere sich weder zu Deals noch zu Mitarbeitern. Man könne aber bestätigen, dass Pöttering wieder für das Unternehmen arbeite.

Laut vorherigem Bereicht der NOZ soll Holt mit einem Einkaufspreis von 2 Euro je Liter kalkuliert haben. Für etwa fünf Euro pro Liter sollte das Desinfektionsmittel an DocMorris verkauft werden, der Versender sollte es dann für knapp zehn Euro je Liter an den Bund weiterverkaufen. Diese Kalkulation hing laut NOZ sogar der Mail an den Minister an.

Vor Gericht ging es auch um Treffen von Holt mit anderen Bundestagsabgeordeten, die er in seine Suite im Adlon eingeladen haben soll. Wie der Vorsitzende Richter aus abgehörten Telefonaten, Chatnachrichten und E-Mails zitierte, soll es in diesem Zusammenhang sogar einen „Drogen- und Nuttenbeauftragten“ gegeben haben, der entsprechende Dienstleistungen organisiert haben soll. Das sei bei Politikern in Berlin so üblich, so Holt vor Gericht. Schon zuvor hatte er behauptet, ein solcher Abend habe ihn mitunter mehr als 20.000 Euro gekostet.

Was auf solche Aussagen eines notorischen Hochstaplers zu geben ist, wird vermutlich auch im Verfahren nicht herauskommen. Andererseits gab es eben auch viele, die auf Holt hereingefallen sind und den Betrug so erst ermöglicht haben. Eine zentrale Frage – vor allem im DocMorris-Deal – wird daher sein: Welche Veranlassung hätte Holt, hier zu lügen?