EuGH-Urteil

Rx-Versandverbot gefährdet Defekturen Nadine Tröbitscher, 08.11.2016 14:52 Uhr

Berlin - 

Ein Rx-Versandverbot ist nach dem EuGH-Urteil der Plan B der ABDA. Betroffen wären aber nicht nur DocMorris & Co., sondern auch Apotheken mit Rezepturschwerpunkt. Nach wie vor gibt es Therapiebereiche, in denen Defekturen zum Standard gehören. Solche Zubereitungen dürften nicht mehr versendet werden, wenn sie verschreibungspflichtige Wirkstoffe enthalten. Tausende Patienten wären betroffen.

Der Klassiker unter den deutschlandweit verschickten Defekturen sind die Aromamischungen der Bahnhof-Apotheke in Kempten. In der Regel empfehlen Hebammen ihren Patientinnen die Produkte, die diese dann über ihre Apotheke vor Ort oder direkt bestellen. Doch auch im verschreibungspflichtigen Bereich gibt es Zubereitungen, auf deren Herstellung sich bestimmte Apotheken oder Klinikapotheken spezialisiert haben.

Strophanthus-Präparate sind ein Beispiel von vielen. Herzpatienten sind auf Kapseln und Lösungen aus der Apotheke angewiesen, seit das Originalpräparat Strodival 2012 vom Markt ging. Die herzwirksamen Glykoside werden vor allem bei Herzschwäche eingesetzt, doch schon die Beschaffung der Urtinktur ist eine Herausforderung.

Rund zehn Apotheken in Deutschland haben sich daher auf Strophanthin- Rezepturen spezialisiert, darunter die Schloss-Apotheke in Koblenz und die Apotheke am Markt Ellwangen. Auch die Schloss-Apotheke in Aulendorf gehört dazu. Inhaber Matthias Stadler macht sich Gedanken, wie er seine Patienten versorgen soll, wenn der Rx-Versandhandel pauschal verboten wird.

Nach Stadlers Angaben müssten in Deutschland dann täglich tausende Patienten, die verschreibungspflichtige Defekturarzneimittel benötigen, sehr weite Strecken, häufig sogar hunderte Kilometer zurücklegen, um an die verordneten Präparate zu gelangen. Auch die verschreibenden Ärzte dürften darüber wenig erfreut sein.

Der Apotheker schlägt vor, das Versandverbot auf Fertigarzneimittel zu beschränken und damit den Versand von Rezepturen beziehungsweise Defekturen weiterhin zu erlauben. Er argumentiert mit der Versorgungssicherheit, denn durchaus nicht jede Apotheke sei in der Lage, alle Rezepturen oder Defekturen anzufertigen: „Viele Apotheken können aus räumlichen und wirtschaftlichen Gründen bestimmte Defekturen nicht herstellen, zum Beispiel wenn sie kein Sterillabor haben. Auch die Beschaffung besonderer Wirkstoffe ist mitunter schwierig und beim Verbrauch von Kleinstmengen häufig unwirtschaftlich.“

Aus seiner Sicht steht beim Versand von Defekturen nicht der Handel im Vordergrund, sondern die Herstellung. Darauf könne man bei einer gesetzlichen Regelung abstellen: „Was eine Apotheke selbst herstellt, sollte versendet werden dürfen.“ Die Herstellung einer Rezeptur sei eine individuell für einen Patienten zu erbringende Leistung.

„Wenn auch die Versorgung mit Fertigarzneimitteln in der Breite durch alle öffentlichen Apotheken gesichert wird, so ist dies bei Defekturen und Rezepturen nicht immer der Fall“, sagt Stadler. Und da man Rezepturarzneimittel selbstverständlich nicht über die Großhändler verschicken dürfe, sei man hier auf Versanddienstleister angewiesen.

Stadler schätzt, dass von den deutschlandweit jährlich etwa zehn Millionen verschreibungspflichtigen Rezepturen etwa 25 Prozent in den Versand gehen. Insofern wären Millionen Patienten bei einem Rx-Versandverbot negativ betroffen.

Weitere Beispiele für häufig per Post zugestellte Rx-Rezepturen sind Progesteron-Cremes und überhaupt Präparate mit humanidentischen Hormonen, die durch patientenindividuell angepasste Wirkstoffmengen eine bessere Verträglichkeit gewährleisten sollen. Zu den Apotheken, die sich in dem Bereich deutschlandweit einen Namen gemacht haben, gehören beispielsweise die Klösterl-Apotheke in München, die Flora-Apotheke in Hannover, die Dom-Apotheke in Essen und die Receptura-Apotheke in Frankfurt.