Wettbewerbsrecht

BGH: Bagatellgrenze bei Abgabe ohne Rezept? APOTHEKE ADHOC, 05.01.2015 17:43 Uhr

Berlin - 

Der Bundesgerichtshof (BGH) verhandelt am Donnerstag über die Frage, unter welchen Umständen Apotheker verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Rezept abgeben dürfen. Dabei geht es auch um die grundsätzliche Frage, ob Verstöße gegen Arzneimittelgesetz (AMG) und Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) wettbewerbsrechtlich geahndet – sprich: abgemahnt – werden können.

Ein Apotheker aus Aulendorf bei Ravensburg hatte eine Kollegin aus demselben Ort zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert: Er wirft ihr vor, im Februar 2011 den Blutdrucksenker Tri-Normin 25 (Atenolol, Chlortalidon, Hydralazin) als N3-Packung ohne Rezept abgegeben zu haben.

Zuvor hatte seine eigene Mitarbeiterin die Abgabe abgelehnt und die Kundin an den ärztlichen Notdienst verwiesen. Diese hatte sich das Medikament dann in der benachbarten Apotheke besorgt. Die Abgabe ohne Rezept sei im Ort jahrelang „gang und gäbe“ gewesen, sagt der Pharmazeut, der erst 2010 zugezogen war und zunächst erfolglos das Gespräch mit seiner Kollegin gesucht hatte.

Bereits in den Vorinstanzen war das Verhalten der Apothekerin als eindeutiger Rechtsverstoß ausgelegt worden: Weder das Landgericht Ravensburg (LG) noch das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) ließen die Argumente der Verteidigung gelten, wonach die Apothekerin den Hausarzt der Patientin nicht erreicht und sich daher telefonisch bei einer befreundeten Ärztin rückversichert habe.

Einerseits habe gar kein echter Notfall bestanden – die Patientin habe nur zu einer Reise aufbrechen wollen. Andererseits sei die Ärztin für eine telefonische Verordnung nicht infrage gekommen, da sie ihre Praxis am Starnberger See betreibe und daher die Kundin weder kenne noch untersucht habe. Am Ende hatte sie das Rezept auch nicht ausgestellt, sondern ein Vertretungsarzt.

Die Ausnahmevorschrift nach AMVV sei dahingehend auszulegen, dass die Verschreibung bereits ausgestellt sei und nur nicht rechtzeitig an Patient oder Apotheke übermittelt werden könne, so das OLG: „Die Norm will förmliche Hindernisse aufgrund einer Gefahrenlage überbrücken, nicht aber die Grundlage der Norm, nämlich dass vorher eine ärztliche Verschreibung aufgrund einer eigenen ärztlichen Diagnose- und Therapieentscheidung vorgelegen hat, aufheben.“

Allerdings kam das OLG im Juni 2013 zu dem überraschenden Ergebnis, dass das Interesse von Marktteilnehmern noch nicht spürbar beeinträchtigt sei, wenn nur ein „einmaliger, versehentlicher oder gar entschuldbarer und geringer Gesetzesverstoß“ vorliege.

Die Apothekerin habe nicht einfach dem Drängen der Kundin nachgegeben, sondern versucht, den Arzt über dessen Privatnummer zu erreichen, dann eine befreundete Ärztin eingeschaltet und das Rezept letzten Endes auch unverzüglich nachgereicht.

Daher sei von einem „geringen Verschulden“ auszugehen, so das OLG. Insofern habe der Apotheker – trotz eindeutiger Rechtslage – keinen Unterlassungsanspruch und auch keinen Anspruch auf Schadenersatz.

Revision wurde nicht zugelassen. Der Apotheker legte jedoch Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH ein – mit Erfolg. Die Richter in Karlsruhe müssen nun klären, ob Vorschriften, die dem Gesundheitsschutz dienen, wettbewerbsrechtlich relevant sein können.